Fußball

Windhorst zurück auf null bei Hertha BSC

Hertha BSC Berlin tritt sportlich immer noch auf der Stelle. Zugleich sorgen Transfer-Wahnsinn und coronabedingte Mindereinnahmen für ein Loch in der Kasse.

Windhorst zurück auf null bei Hertha BSC

Von Björn Godenrath, Frankfurt

Seitdem Fredi Bobic im vergangenen Sommer den Job als Sport-Geschäftsführer bei Hertha BSC Berlin übernahm, tritt der von Lars Windhorst über seine Holding Tennor mit bislang 374 Mill. Euro unterstützte Club sportlich immer noch auf der Stelle. In der Bundesliga rangiert der Traditionsclub mit mageren 22 Punkten auf Platz 13, nur fünf Vereine haben weniger Tore erzielt als die Hertha-Offensive mit 21 Treffern. Vier Punkte beträgt das Polster auf die Relegations- und Abstiegsränge – und der Trend ist schlechter als bei Augsburg und Bielefeld, aber immerhin besser als bei Wolfsburg und Gladbach.

Doch für solch ein Benchmarking nach unten sind weder Bobic noch Windhorst angetreten. Der mit früheren Investments wiederholt in Schieflage geratene Investor ist bei Hertha seit Mitte 2019 mit viel Geld ins Risiko gegangen, um einen „Big City Club“ zu formen, der perspektivisch in der Champions Legaue mitspielt. Dabei wurde die erste Investitionsphase bei Hertha noch von Bobic-Vorgänger Michael Preetz betreut, der eine fürchterliche Transferbilanz hinlegte und dann hinauskomplimentiert wurde. 140 Mill. Euro soll Preetz mit seinen Transfers kumuliert in den Sand gesetzt haben, wurde vorgerechnet – das ist allerdings übertrieben, stehen dem doch auch – dank Bobic – beträchtliche Transfereinnahmen entgegen. Allerdings kommt ja immer noch das Gehaltspaket eines Profis obendrauf, was schwer wiegt, wenn dem weder Leistung noch sportlicher Erfolg gegenübersteht.

Bobic entkernt den Kader

Wie auch immer, die Preetz-Bilanz ist verheerend. Und Bobic hat es sich nun zur Aufgabe gemacht, den Kader zu entkernen, um dann auf erneuerter Basis von vorne anzufangen. Der Kehraus umfasst folgende Spieler: Abgeben will man bis Ende Januar Lucas Tousart, den man im Sommer 2020 für 25 Mill. Euro von Olympique Lyon verpflichtete. Bei Transfermarkt.de wird Tousart nur noch auf 8 Mill. Euro taxiert. AS Rom soll zumindest interessiert sein, die Hertha will wohl 12 Mill. Euro. Der nach Tousart mit 24 Mill. Euro zweitteuerste Transfer der Hertha-Geschichte, Stürmer Krzysztof Piatek, kehrt leihweise zu AC Florenz zurück, die ihn für eine Ablöse von 15 Mill. Euro fest verpflichten kann. Beide haben noch einen Vertrag bis 2025 und gelten als Großverdiener bei der Hertha.

Verabschiedet wurde jetzt per Leihe zu den Blackburn Rovers auch Deyovaisio Zeefuik, 2020 für 4 Mill. Euro aus Groningen verpflichtet. Eigengewächs Arne Maier wurde zum Saisonanfang per Leihe nach Augsburg gegeben, die ihn auch verpflichten dürfen für 5 Mill. Euro. Ebenfalls per Leihe wurde der ehemalige 20-Milllionen-Transfer Dodi Lukébakio nach Wolfsburg weitergereicht. Zu den Abgängen zählen weitere junge Spieler wie Daishawn Redan (Leihe nach Zwolle) und Javairô Dilrosun (Leihe nach Bordeaux). Von den im 2020er und 2021er Wintertransferfenster verpflichteten Omar Alderete, Mattéo Guendouzi (war Leihe), Eduard Löwen sowie Nemanja Radonjic und Sami Khedira ist heute keine Rede mehr, sie alle zogen weiter; mal mehr, mal weniger freiwillig.

Nicht verschwiegen werden sollen die beiden Top-Transfers der Ära Windhorst: Der für 15 Mill. Euro verpflichtete Jhon Córdoba zog für eine Ablösesumme von 20 Mill. Euro plus Boni weiter nach Krasnodar. Und für den zum spanischen Meister Atlético Madrid gewechselten Matheus Cunha erhielt die Hertha eine Ablösesumme von 30 Mill. Euro. Für 18 Mill. Euro war der Brasilianer verpflichtet worden. Und eigentlich wäre Stürmer Davie Selke für 12 Mill. Euro zu Werder Bremen gewechselt, wenn dieser Club den Klassenerhalt geschafft hätte. Wie sagte es Jürgen Wegmann damals so schön: „Erst hatten wir kein Glück, und dann kam auch noch Pech dazu.“

Die Kombination aus Transfer-Wahnsinn und coronabedingten Mindereinnahmen brockte der Hertha im Geschäftsjahr per 30. Juni 2021 einen Verlust von 83,3 Mill. Euro ein. Immerhin sind das Eigenkapital der Hertha BSC GmbH & Co. KGaA, an der Tennor 66,6% hält, dank der Windhorst-Millionen um 65,5 Mill. Euro auf 212,2 Mill. Euro angewachsen und die Verbindlichkeiten von 141,8 auf 99,7 Mill. Euro reduziert worden. Allerdings ist schon einiges der Windhorst-Gelder verbrannt worden und sportlich bewegt man sich auf demselben Niveau wie zum Zeitpunkt des Einstiegs vor anderthalb Jahren – vorausgesetzt man schafft den Klassenerhalt. Und strukturell hat sich, soweit man das von außen beurteilen kann, auch noch nichts verbessert: Für welche Fußball-Kultur soll Hertha BSC stehen?

Für Windhorst heißt das, dass sein Hertha-Investment noch weiterer Finanzspritzen bedürfen könnte. Zum einen will man ja in ein neues Stadion als echten Fußballtempel investieren. Zum anderen dürfte der Kader weiterhin eines „deficit spending“ bedürfen, wenn man nach oben will und Zuschauereinnahmen fehlen.

Auf einem ganz anderen Blatt steht, ob Windhorst überhaupt in der Lage sein wird, weitere Millionen in die Hertha zu pumpen. Bislang konnte er jedenfalls immer pünktlich genug aus seinem Geflecht an Firmen und Konten mobilisieren. Mehr als 1,5 Mrd. Euro an Verbindlichkeiten sind in seinem wichtigsten Vehikel aufgelaufen, Rückflüsse von mehr als 1Mrd. Euro durch Asset-Verkäufe stellte er in Aussicht, um Mitte 2022 in der Holding Tennor schuldenfrei zu sein. Kurz vor Weihnachten wurde ihm diese Frist auch formal zugebilligt: Ein Amsterdamer Berufungsgericht hob ein vorheriges Insolvenz-Urteil gegen Tennor auf, da Windhorst sich mit dem Gläubiger außergerichtlich geeinigt habe, heißt es.

Die Insolvenz in Bewegung gesetzt hatte eine Forderung des panamaischen Vehikels Corallis Navigation, das zur Sphäre von Athina Onassis zählt, einer Enkelin des legendären Reeders Aristoteles Onassis. Mit dem in Monaco residierenden Manfredi Lefebvre d’Ovidio zählt ein weiterer Schifffahrts-Unternehmer zum Kreis der Gläubiger, der über sein Bahamas-Vehikel „Heritage Travel and Tourism“ bei Tennor investierte – und irgendwie sieht man vor seinem geistigen Auge alle Vorurteile über Offshore-Konten und Steuerparadiese vorbeiziehen.

Gläubiger halten vorerst still

Wichtigster Gläubiger ist aber wohl die zu Natixis zählende Fondsgesellschaft H2O Asset Management. Zwar gibt Tennor an, man habe allen Gläubigern inklusive H2O „substanzielle Rückzahlungen“ geleistet, aber es ist immer noch einiges offen. Und dafür hat Windhorst mit seinen Gläubigern eine Stillhaltefrist von sechs Monaten vereinbart, was nach dem Insolvenzurteil vom November der Rettungsring sein kann. H2O musste allerdings zunächst weitere Abschreibungen auf Positionen vornehmen, die man als Forderung gegenüber Tennor in einem Bond gebündelt hatte.

Allein das Stillhalteabkommen demonstriert, dass man Windhorst nicht abschreiben sollte, auch wenn er arg in Bedrängnis gerät. Fast scheint es, er habe als Finanzmanager die sieben Leben einer Katze. Wobei einem da mit Thomas Middelhoff ein anderer deutscher Manager einfällt, der gegen seine Insolvenz kämpfte und nach einem Gerichtstermin einen abenteuerlichen Fluchtweg hinlegte, um nicht der Presse in die Arme zu laufen: „Ich bin wie die Katze übers Dach. Ich musste drei Meter tief auf eine Garage springen und dann noch mal drei Meter auf die Straße. Dann bin ich durch den Hinterhof, fröhlich pfeifend, zu einer Nebenstraße gegangen.“

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