Im InterviewHeiner Herkenhoff

"Wir brauchen mehr Europa, nicht weniger"

Seit April ist Heiner Herkenhoff neuer Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands deutscher Banken (BdB). Im ersten großen Interview nach Amtsantritt erläutert er, was er sich für die neue Aufgabe vorgenommen hat, wie er die Einigung zum Basel-III-Paket einschätzt und was mit der nationalen Bankenabgabe passieren soll.

"Wir brauchen mehr Europa, nicht weniger"

Herr Herkenhoff, Sie machen als neuer Hauptgeschäftsführer Frühstücksrunden, um die Mitarbeiter kennenzulernen. Sie kennen den Bankenverband und seine Leute doch sehr gut. Warum?

Die Frühstücksrunden sind außerordentlich interessant, weil ich die Kolleginnen und Kollegen noch besser kennenlerne und vor allem zuhören kann. Man glaubt nicht, welche verborgenen Talente bei unseren Mitarbeitern schlummern.

Locken Sie damit auch vom Homeoffice ins Büro?

Warum nicht? Wir verhandeln derzeit eine neue Betriebsvereinbarung zum mobilen Arbeiten. Aktuell liegt die durchschnittliche Präsenz im Haus bei etwa 50%. Wir haben keine starren Quoten und wollen das auch künftig nicht. An vielen Stellen macht es Sinn, von zu Hause aus zu arbeiten. Diese Flexibilität ist mir wichtig. Natürlich brauchen wir auch immer wieder persönliche Treffen im Büro. Dafür schaffen wir bewusst Anlässe. Neben persönlichen Meetings, Austausch mit Gästen sind es auch regelmäßige Town Halls. Wir brauchen eine gute Mischung. 

Ihr Vorgänger, Christian Ossig, hatte den Verband grundlegend umstrukturiert. Das hatte auch zu viel Unruhe geführt. Haben Sie Veränderungspläne im neuen Amt?

Der Verband arbeitet durch die neue Struktur agil und effizient. Wir haben uns von den klassischen Geschäftsbereichen verabschiedet und eine neue Themenstruktur etabliert. Das finde ich sehr gut. Die Praxis wird weiter zeigen, wie es funktioniert und mit Leben gefüllt wird. Das ist ein Prozess. Vielleicht ist hier oder da dann noch eine Anpassung nötig.

Die Struktur entspricht auch dem Trend der Organisation in den Banken?

Das ist richtig. Es geht darum, die Kommunikation zu verstärken und Silos aufzubrechen. Bei der Vielzahl der heutigen Aufgaben ist eine agilere und flexiblere Arbeitsorganisation sinnvoll. Das gilt für Banken und Verbände.

Lassen Sie uns über Inhalte reden. Was haben Sie sich vorgenommen in Ihrer neuen Funktion?

Zentral ist das Thema Europa. Hier liegt großes Potenzial für Wachstum und Entwicklung. Dann ist die Regulierung für uns stets ein wichtiges Thema. Und mein dritter Schwerpunkt: Banken gehören in die Mitte der Gesellschaft.

Was treibt Sie in puncto Europa um?

Wir brauchen mehr Europa, nicht weniger. Die Regulierung im Bankenbereich kommt heute im Wesentlichen von der europäischen Ebene. Das ist auch gut so, denn wir brauchen mehr Harmonisierung im europäischen Binnenmarkt. Nicht überall und voll umfänglich. Aber es ist sinnvoll, den Finanzmarkt weiter auszubauen. Vor allem beim Kapitalmarkt sind Fortschritte wichtig. Geostrategisch muss Europa in der neuen Weltordnung mit einer Stimme sprechen und gemeinsame Positionen finden und dann auch entschlossen vertreten. Wir brauchen neue Wege der Entscheidungsfindung in der Außenpolitik. Das Mehrheitsprinzip muss umfassend gelten, damit einzelne Mitgliedstaaten nicht immer wieder blockieren können.

Was haben Banken denn von einer besser abgestimmten Außenpolitik?

Nehmen Sie die Sanktionspolitik. Banken benötigen klare Vorgaben, die Einigkeit in der EU und mit den verbündeten G7-Staaten voraussetzen. Es ist wichtig, mit einer Stimme zu sprechen, um Europas Rolle im internationalen Konzert zu stärken. Auch in der Bankenregulierung: Innerhalb der EU sind die Verhandlungen zum Bankenpaket gerade auf politischer Ebene abgeschlossen worden. Das Ergebnis stellt einen guten Kompromiss dar. Wir brauchen klare Regeln, damit Banken wettbewerbsfähig Geschäft machen können. Für den riesigen Finanzierungsbedarf bei der grünen Transformation brauchen wir zudem einen funktionierenden Kapitalmarkt.

Sind Sie optimistisch, dass die europäische Kapitalmarktunion wirklich noch einmal vorankommt?

Ich bin vor allem Realist: Kurzfristig werden wir eine komplette Kapitalmarktunion sicher nicht erreichen. Wir müssen also schrittweise vorgehen. Aus Sicht der Banken ist es zum Beispiel wichtig, Verbriefungen zu fördern.

Warum gerade dies?

Wir stehen vor einem gigantischen Finanzierungsbedarf durch die grüne Transformation in Europa. Die Europäische Kommission schätzt ihn auf 520 Mrd. Euro pro Jahr in den kommenden zehn Jahren. Der überwiegende Teil muss aus privaten Mitteln gestemmt werden. Über Bankkredite allein kann dies nicht funktionieren, wir brauchen dazu auch den Kapitalmarkt. Gerade in Deutschland hat die Mehrzahl der Unternehmen keinen direkten Kapitalmarktzugang. Verbriefungen können daher eine wichtige Brücke sein. Das Bankenpaket trägt diesem Umstand Rechnung, da es Verbriefungen zumindest nicht verteuert. Wir brauchen aber noch weitere Änderungen.

Woran hakt es?

Der im Bankenpaket gefundene Kompromiss gilt nur temporär bis 2032. Er verhindert lediglich den zu erwartenden höheren Kapitalbedarf durch den Output Floor. Verbriefungen müssen aber insgesamt weniger kapitalintensiv werden, um sie attraktiv zu machen. Die Kommission sollte dies in der kommenden Legislaturperiode prüfen.

Meinen Sie synthetische Verbriefungen oder nichtsynthetische?

Für uns in Deutschland und auch in Europa sind traditionell die nichtsynthetischen Verbriefungen wichtig. Sie machen einen großen Teil des Marktes aus. Aber auch synthetische Verbriefungen haben eine große Bedeutung. Deswegen haben wir uns in der Vergangenheit sehr dafür verwendet, dass sie mit in das STS-Rahmenwerk aufgenommen werden. Wir hoffen sehr, dass es klappt, den Verbriefungsmarkt wieder stärker in Gang zu bringen. Überall auf der Welt wächst dieser Markt stark. Nur in Europa und Deutschland bewegt sich im Moment noch relativ wenig.

Viele Kunden schrecken davor zurück, dass die Bank ihre Kredite verkauft.

Das mag auch eine Rolle spielen, ist aber gerade bei synthetischen Verbriefungen gar nicht der Fall. Wir benötigen vor allem eine grundlegende Überprüfung der Verbriefungskosten, eine schnellere Genehmigung durch die Aufsichtsbehörden, die Einstufung bestimmter Verbriefungen in eine höhere Liquiditätsklasse und eine angemessene Entschlackung überflüssiger Berichtspflichten. Es geht darum, den Prozess zu verschlanken und zu beschleunigen, um auch internationale Investoren für den Markt zu interessieren. Bankbilanzen werden damit entlastet, um wieder Spielraum für neue Kredite zu schaffen.

Welche Schwerpunkte setzten Sie bei der Regulierung?

Selbstverständlich brauchen wir Regulierung. Aber sie muss zu den Anforderungen passen und den Banken ermöglichen, profitabel zu arbeiten. Nur profitable Banken sind auch stabil. Regulierung muss passen wie ein guter Schuh: Ist er zu eng, drückt es und man kommt nicht richtig voran, weil jeder Schritt schmerzt. Ist er zu weit, droht man zu stolpern.

Was haben Sie mit Ihrem dritten Arbeitsschwerpunkt zur gesellschaftlichen Rolle von Banken vor?

Mir ist wichtig: Banken gehören in die Mitte der Gesellschaft. Banken stehen für Stabilität. Wir genießen das Vertrauen unserer Kunden: Neun von zehn Kunden der privaten Banken sagen, sie sind mit der Arbeit ihrer Hausbank zufrieden und vertrauen ihr. Das ist ein Pfund, mit dem wir wuchern können. Zugleich ist die Branche als Ganzes aber nicht so gut angesehen. Das ist nicht neu. Deshalb müssen wir viel stärker in die öffentliche Debatte eintreten. Wir müssen den Dialog suchen und besser erklären, was wir tun, etwa welche volkswirtschaftliche Rolle wir spielen. Da gibt es noch viel zu tun.

Wie wollen Sie vorgehen?

Banken sind Bestandteil des täglichen Lebens. Jeder von uns hat ein Konto. Die Kunden vertrauen in hohem Maße ihren Banken. Banken behandeln deren Geld genauso vertraulich wie ihre Daten. Aber: Die Finanzkrise hat die Reputation der Banken deutlich beschädigt. Die Banken von heute sind ganz andere Banken als vor 15 Jahren. Sie haben sich verändert und weiterentwickelt. Die Banken haben mehr Kapital, mehr Liquidität, viel besseres Risikomanagement. Sie sind heute Teil der Lösung.

Wie wollen Sie die Rolle der Banken besser sichtbar machen?

Es gibt verschiedene Kanäle. Das Spektrum reicht von Veranstaltungen bis zu Sozialen Medien, um unterschiedliche Zielgruppen zu erreichen. Wir möchten mehr in Sachen Finanzbildung für junge Menschen machen. Wir suchen den Dialog mit verschiedenen Stakeholdern. Wir wollen uns auch mit Kritikern auseinandersetzen. Wir werden besser erklären, was wir als Banken tun und warum wir nützlich sind. Das ist mir eine sehr wichtige Botschaft. Banken gehören in die Mitte der Gesellschaft.

Sie haben den großen Finanzierungsbedarf erwähnt. Können die Banken die Transformation finanzieren?

Die Kreditvergabe steigt nach wie vor – im ersten Quartal um 6,9% gegenüber Vorjahr. Das ist positiv. Aber uns besorgt, dass die Nachfrage nach langfristigen Krediten stark zurückgegangen ist. Wir sind auf einem Sieben-Jahres-Tief bei Investitionskrediten. Die Kunden würden zwar Kredite bekommen, aber sie warten ab. Die Probleme liegen im Arbeitsmarkt, in der Inflation und der Bürokratie. Die Kreditkonditionen sind bei gestiegenen Zinsen natürlich auch gestiegen. Aber wir sind auf einem Normalisierungspfad. Wir würden gerne deutlich mehr finanzieren, weil wir vor dieser großen Aufgabe stehen.

Bei der Finanzierung der Transformation spielt auch die Taxonomie eine Rolle. Limitiert das Regelwerk die Kreditvergabe?

Die Taxonomie ist als Orientierungsrahmen von der Idee her gut. Sie ist aber auch sehr aufwendig und detailorientiert. Sie verlangt sehr umfangreiche Offenlegungspflichten für Unternehmen und Banken. Gerade mittelständischen Unternehmen, die bisher noch nicht berichten müssen, fällt es schwer, die nötigen Daten zu liefern. Das ist ein Riesenproblem. Hinzu kommt: Nur ein kleiner Teil der Wirtschaft ist bisher von der Taxonomie erfasst. Die Banken versuchen, sich darauf einzustellen. Soweit wir das überblicken können, arbeiten alle Banken an Strategien, wie sie ihr Geschäft künftig ausrichten.

Wo muss die Taxonomie besser werden?

Für uns ist „Transition Finance“ das zentrale Thema. Eine Strategie, die lediglich heißen würde „Raus aus CO2“, greift zu kurz. Wenn wir nur das finanzieren, was schon grün ist, bekommen wir die Veränderung nicht hin. Darauf muss es eine Antwort geben. Wir wünschen uns hier ein prinzipiengeleitetes Rahmenwerk, das sich nicht im Klein-Klein verliert. Das hilft, die gesamte Wirtschaft zu erreichen, ohne den bürokratischen Aufwand signifikant zu erhöhen.

Europa steht vor einer weiteren wichtigen politischen Entscheidung im Finanzsektor. Es geht um den digitalen Euro. Was ist dabei aus Sicht des Bankenverbands zu beachten?

Die Entwicklung eines digitalen Euro haben wir von Anfang an begleitet. Für uns sind dabei Finanzmarktstabilität, Zuverlässigkeit und Datensicherheit wichtig. Hier muss der digitale Euro die höchsten Standards erfüllen. Entscheidend ist zudem, in welcher Form die Banken eingebunden werden. Was wir jetzt brauchen, ist eine Risikoanalyse, die die EZB liefern muss. Das haben wir auch schon mehrfach eingefordert.

Was soll diese genau klären?

Aus meiner Sicht ist es dringend notwendig zu analysieren, welche Vorteile und welche Risiken ein digitaler Euro mit sich bringen würde. Es stellt sich auch die Frage nach der Verfügbarkeit. Was würde passieren, wenn in einem Krisenfall plötzlich größere Mengen des Geldes per Knopfdruck auf EZB-Konten wandern würden? Wie würde sich das auf die Finanzstabilität auswirken? Deshalb ist es wichtig, klare Obergrenzen für den digitalen Euro zu haben. 

Wo sollte diese liegen?

Ich möchte keine Zahlen nennen. Nötig ist eine genaue Analyse der Auswirkungen. Ich bin für eine niedrige Obergrenze, ansonsten gefährden wir die Refinanzierungsmöglichkeiten der Banken und ihre Fähigkeit, Kredite zu vergeben. Wir sehen durchaus Chancen für einen digitalen Euro, aber eben auch Risiken. Es braucht eine nüchterne Abwägung. Und es braucht vor allem eine öffentliche Debatte. Wir täten gut daran, diese öffentliche Debatte zu führen, um zu verhindern, dass der digitale Euro für populistische Angriffe instrumentalisiert wird.

Wie sieht die Stimmung diesbezüglich in anderen EU-Ländern aus?

Im europäischen Bankenverband ist die Stimmung in den vergangenen Monaten deutlich kritischer geworden. In Frankreich, aber auch in anderen Ländern gibt es erhebliche Zweifel, auch wenn die Position noch nicht überall final ist. Die Aussage ist jedoch die gleiche: Wir brauchen funktionierende Geschäftsmodelle, für die ein digitaler Euro erforderlich wäre oder für die er zumindest einen echten Mehrwert bringt. Und wir brauchen die Akzeptanz der Bevölkerung. Denn nur wenn die Bevölkerung das Zahlungsmittel auch akzeptiert, ist es sinnvoll. 

Es gibt noch ein nationales Thema, das Sie umtreiben dürfte: die Bankenabgabe. Bis Jahresende müssen Regierung und Gesetzgeber entscheiden, wie mit den Mitteln verfahren wird, die die Kreditwirtschaft hierzulande eingezahlt hat. Hoffen Sie auf Rückzahlung?

Es liegen heute Altmittel von rund 2,2 Mrd. Euro in einem nationalen Topf, der seine Funktion nach Einführung und Befüllung des europäischen Abwicklungsfonds verloren hat. Der europäische Fonds hat in diesem Jahr seine Zielausstattung erreicht. Aus unserer Sicht wäre es daher nicht nur rechtlich angezeigt, die Mittel an die damaligen Beitragszahler zurückzuerstatten. Diese könnten dann die Mittel für die Finanzierung der Transformation nutzen.

Wie könnte das aussehen? Hauptzahler waren die großen Banken, allen voran die Deutsche Bank.

Es geht uns nicht darum, dass die Mittel einfach an die Banken zurückgegeben werden. So könnten Banken die Mittel auch in einen Fonds einbringen, aus dem dann die grüne Transformation finanziert wird. Da gibt es verschiedene Modelle. Dies wird derzeit sehr intensiv geprüft. Das Verfahren muss rechtssicher sein.

Es gibt Überlegungen der Politik, die Mittel staatlich zu verausgaben – etwa über den Bundeshaushalt.

Ja, dann hätten sie einen ganz anderen neuen Verwendungszweck. Dies wäre mit den verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht vereinbar. Wir sind der Meinung, dass die Mittel zielführender eingesetzt werden sollten, damit wir die Transformationsfinanzierung hinbekommen.

Wie würde die Governance eines solchen Fonds aussehen?

Es wird gerade sehr intensiv diskutiert, wie Finanzierungen über einen solchen Fonds im Einzelnen auszugestalten sind.

Die Fragen stellten Angela Wefers, Andreas Heitker und Anna Sleegers.

IM INTERVIEW: HEINER HERKENHOFF

"Wir brauchen mehr Europa, nicht weniger"

Der neue BdB-Hauptgeschäftsführer zu seinen künftigen Arbeitsschwerpunkten, zur Regulierung in Brüssel und den Geldern aus der deutschen Bankenabgabe

Seit April ist Heiner Herkenhoff neuer Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands deutscher Banken (BdB). Im ersten großen Interview nach Amtsantritt erläutert er, was er sich für die neue Aufgabe vorgenommen hat, wie er die Einigung zum Basel-III-Paket einschätzt und was mit der nationalen Bankenabgabe passieren soll.

Das Interview führten Angela Wefers, Andreas Heitker und Anna Sleegers.