IM INTERVIEW: GUIDO FÜRER, SWISS RE

"Wir denken stark in Szenarien"

Der Investmentchef vertraut nicht nur auf quantitative Modelle, sondern führt eigene Stresstests durch

"Wir denken stark in Szenarien"

Guido Fürer, Investmentchef von Swiss Re, beschreibt im Interview der Börsen-Zeitung die Sorgen eines Großinvestors im Tiefzinsumfeld und wie er die Risiken des massiv gewachsenen Bestandes an “BBB”-Anleihen einschätzt. Zugleich profitiert Swiss Re laut Fürer von “Überrenditen” nachhaltiger ESG-Anlagen. Herr Fürer, die Europäische Zentralbank (EZB) nimmt im November ihre Anleihenkäufe wieder auf. Lässt sie den privaten Investoren noch genügend Raum für Investitionen?Die EZB ist sehr aktiv im Markt, wie übrigens andere Notenbanken auch. Die EZB hält bereits 28 % aller europäischen Staatsanleihen, wobei der Anteil deutscher Bundesanleihen noch höher ist. Das ist unglaublich viel. Damit treibt die EZB natürlich mit Absicht die Preise am Anleihenmarkt nach oben und senkt so das Zinsniveau. Aber diese Interventionen sind auch mit Kosten verbunden. Einerseits führen sie zu einer Verzerrung des Zinsgefüges, und anderseits schränkt die EZB den Handlungsspielraum privater Investoren wie der Swiss Re erheblich ein. Wir sind der Meinung, dass die langfristigen Kosten dieser Interventionen nun deutlich höher sind als ihr Nutzen. Weltweit fallen die Zinsen immer tiefer, und die Verschuldung der Staaten, der Unternehmen und der privaten Haushalte nimmt zu. Inwieweit taugt der Zins noch als Risikomaß für eine Investition?Der Preisfindungsprozess und somit das Preissignal insbesondere von Staatsanleihen ist ganz klar von der starken Präsenz der Zentralbanken beeinflusst beziehungsweise verzerrt. Das macht die Risiko-Rendite-Überlegung in der Tat nicht einfacher. Dennoch, es sind ja nicht nur die Zentralbanken, die alleine für das niedrige Zinsumfeld verantwortlich sind. Der seit über dreißig Jahren andauernde Zinsbullenmarkt hat auch mit strukturellen und globalen Faktoren zu tun, wie zum Beispiel der demografischen Entwicklung, der hohen Verschuldung oder der tiefen Produktivität. Die extrem tiefen Zinsen spiegeln auch die nach wie vor sehr starke Nachfrage nach diesen Papieren wider, sei es von Zentralbanken oder Finanzinstituten. Rund 18 % aller gruppeneigenen Kapitalanlagen von Swiss Re sind in “BBB”-Anleihen investiert. Vor zehn Jahren lag dieser Anteil noch bei etwas mehr als 4 %. Was ist der Grund für diese massive Erhöhung?Ein Grund ist, dass es in diesem Segment seit einigen Jahren viel mehr Emissionen gibt. Ganz unabhängig von unserer eigenen Präferenz ist das Gewicht der “BBB”-Anleihen in den relevanten Referenzindizes von 37 % im Jahr 2010 auf aktuell 52 % gestiegen. Ein institutioneller Anleger wie die Swiss Re kann sich solchen Entwicklungen nicht einfach entziehen. Wie werten Sie die Entwicklung?Wir beobachten, dass der Anteil der Großunternehmen im “BBB”-Segment zugenommen hat. Das hat teilweise damit zu tun, dass solche Unternehmen beim Rating zurückgestuft wurden. Positiv werten wir, dass Großfirmen im Bedarfsfall mehr Spielraum haben, ihre Schulden zu restrukturieren als kleinere Firmen. Wir sehen auch, dass die Firmen im Schnitt eine größere Kraft besitzen, den Zinsendienst zu leisten. Das sieht man etwa am Zinsdeckungsgrad, der den Cash-flow ins Verhältnis zu den jährlichen Zinszahlungen setzt. Diese Kennzahl hat sich seit den 2000er Jahren sogar leicht verbessert, von einem Faktor 11 auf 10. Das zeigt, dass sich die Zahlungsfähigkeit der Firmen im weltweiten Durchschnitt verbessert hat, obwohl es mehr “BBB”-Firmen gibt. Aber in den Nullerjahren waren auch die Zinsen höher als heute.Das stimmt. Aber eben: Das “BBB”-Segment ist gewachsen, die Firmen sind jedoch auch diszipliniert genug, ihre Zinsverpflichtungen in einem konstanten Verhältnis zum Cash-flow zu halten. Ist das Risikoprofil einer “BBB”-Anleihe von heute mit dem Risikoprofil einer “BBB”-Anleihe vor zehn Jahren vergleichbar? Oder anders gefragt: Sind die Ratings von heute ebenso streng wie unmittelbar nach Ausbruch der Finanzkrise?Ich würde Ihre Aussage nicht unterschreiben, dass die Ratings unmittelbar nach Ausbruch der Finanzkrise strenger waren als heute. Fakt ist aber, dass das Gewicht von “BBB”-Anleihen in den Kapitalanlagen der meisten institutionellen Anleger stark gestiegen ist, auch bei uns, und dass der Verschuldungsgrad im Schnitt zugenommen hat. Wir sind uns dessen bewusst und unterlegen diese Anlagen auch mit mehr Eigenkapital. Lohnen sich “BBB”-Anlagen, wenn diese mehr Eigenkapital binden?Wir erreichen mit unseren “BBB”-Anlagen eine Überrendite, und diese wiegt die höheren Kapitalerfordernisse auf, die wir uns selber stellen. Unsere “BBB”-Anlagen beruhen auf einem bewussten Entscheid und haben ihren Grund nicht nur in ihrem stark gewachsenen Index-Anteil. Die risikoadjustierte Rendite unserer “BBB”-Anlagen stimmt. Wenn das nicht so wäre, würden wir diese Anlagen reduzieren oder anpassen. Was geschieht, wenn im nächsten konjunkturellen Abschwung viele “BBB”-Bonds in den Ramschbereich abgestuft werden sollten? Müsste Swiss Re dann verkaufen, und wie viel Zeit hätte sie dafür?Swiss Re wäre im Falle einer Herabstufung nicht prinzipiell ein Zwangsverkäufer. Unsere Richtlinien für Investments schließen solche herabgestuften Anleihen nicht grundsätzlich aus. Basierend auf unserem Wirtschaftsausblick setzen wir zurzeit auf Qualität, und der Anteil von Anleihen mit einem Rating tiefer als “BBB” ist sehr klein. Wir würden die Marktlage zum Zeitpunkt der Herabstufungen beurteilen und sehen, wie wir das Portfolio in der konkreten Situation positionieren. Die Swiss Re hatte vor zehn Jahren einen hohen Preis bezahlt, weil sie zu stark auf die Ratingagenturen vertraute und viel Kapital in überdurchschnittlich rentierende und scheinbar sichere Credit Loan Obligations (CLO) investierte. Welche Lehren hat Swiss Re daraus gezogen?Eine große Lehre aus dieser Erfahrung ist, dass wir, ähnlich wie im Versicherungsgeschäft, nun auch im Anlageprozess sehr stark in Szenarien denken. Darauf verwenden wir viel mehr Zeit als früher. Wir vertrauen also nicht nur auf quantitative Modelle, ganz gleich, ob diese von den Regulatoren, den Banken oder von Ratingagenturen entwickelt wurden, sondern führen unsere eigenen Stresstests durch. Wir versuchen selber, die großen Risiken zu erkennen und wichtige Trends zu identifizieren, die sich verstärken oder abschwächen können. Swiss Re hatte sich in der damaligen CLO-Krise in falscher Sicherheit gewogen. Man glaubte, es reiche aus, Zahlungsausfälle verkraften zu können. Dabei unterließ man den Aspekt, dass ein Wertezerfall solcher CLO-Papiere die eigene Solvenz gefährden kann.Wir haben bestimmt Fehler gemacht, aus denen wir unsere Lehren gezogen haben. Ich möchte jedoch betonen, dass die Swiss Re nie vom Staat gerettet werden musste. Zudem haben wir unsere Finanzmarktstresstests seit der Finanzkrise ganz neu aufgesetzt. Ein Ereignis wie die globale Finanzkrise hatte es in der Welt zuvor nie gegeben – es ist jetzt aber auch fest in unseren Stresstests eingebaut. Swiss Re hat vor zwei Jahren nachhaltige, also ESG-taugliche Referenzindizes in ihren Anlageprozess und in die Performancemessung eingebaut. Wie sieht das Ergebnis dieser Neuausrichtung aus?Das Ergebnis fällt positiv aus. Im Kredit-Portefeuille, das 41 % unserer ganzen Kapitalanlagen repräsentiert, erreichen wir über einen Beobachtungszeitraum von fünf Jahren eine Überrendite gegenüber einem traditionellen Benchmark von zwei Basispunkten. Im Aktienportefeuille beträgt die Outperformance zwischen April 2018 und März 2019 sogar 40 Basispunkte, was sehr viel ist. Sollte man diese guten Ergebnisse nicht in den Kontext der zurzeit weltweit stark zunehmenden Nachfrage nach nachhaltigen Anlagen stellen? Anders gefragt: Profitieren Sie nicht einfach von einem Hype?Wir werten die Überrendite unserer ESG-Strategie tatsächlich als eine positive Überraschung. Aus theoretischer Sicht war sie nicht zu erwarten, weil unser Portefeuille durch die Umstellung auf ESG sicherer geworden ist. Wir hätten deshalb problemlos auch eine leicht tiefere Rendite akzeptiert. Wir profitieren sicher von der starken Nachfrage, die uns nun einen Zusatzgewinn beschert. Dieser wird aber realistischerweise verschwinden, sobald die Nachfrage nach ESG-Anlagen gesättigt ist. Ist Swiss Re dem Markt voraus?Ja, wir sind die erste Versicherungsgesellschaft, die ihr Portefeuille vor zwei Jahren vollständig auf ESG-Benchmarks umgestellt hat. Meines Wissens sind wir bis heute immer noch die Einzigen in der Branche, die den ESG-Ansatz konsequent im ganzen Portefeuille umsetzen. Ein Pionier, der allein in ein unerforschtes Territorium vorstößt, muss sich immer auch die Frage stellen, ob er eine Gefahr übersieht, welche die Zurückgebliebenen erkannt haben.Dieses Risiko hat jeder, der sich zuerst bewegt. Wir gehen es ein, weil wir für uns Vorteile sehen. Zum Beispiel brauchen ESG-Anlagen eine geringere Eigenkapitalunterlegung, weil die Volatilität solcher Anlagen überdurchschnittlich tief, sprich deren relative Sicherheit überdurchschnittlich hoch ist. Das relevante Maß für uns ist nicht allein die absolute Performance einer Anlage, sondern die risikoadjustierte Rendite. Und diese ist bei ESG-Anlagen überdurchschnittlich hoch. Swiss Re will mehr in Green Bonds investieren. Wie stellen Sie sicher, nicht in die Fänge von Etikettenschwindlern zu geraten?Wir stützen uns auf die Standards der International Capital Market Association (ICMA). Damit können wir die Gefahr einer missbräuchlichen Verwendung des grünen Etiketts von Finanzanlagen massiv reduzieren. ICMA hat einen der höchsten Standards für grüne Anlagen etabliert. Aber das Problem des Greenwashing ist real. In welchem Ausmaß ist das für Swiss Re investierbare Anlageuniversum durch die Neuausrichtung kleiner geworden?Wir beschränken unsere Investitionen auf Anlagen, die über ein ESG-Rating von mindestens “BB” verfügen. Damit ist unser Anlageuniversum rund ein Viertel kleiner geworden. Im Bond-Bereich können wir zurzeit noch 510 Emittenten berücksichtigen. Nehmen Sie dadurch nicht ein höheres Konzentrationsrisiko in Kauf?Doch, das tun wir. Eine Erhöhung des Konzentrationsrisikos ist nicht gut. Deshalb haben wir sehr genau überlegt, wie weit wir dabei gehen sollen. Es war der schwierigste Entscheid in der Umstellung unseres Portefeuilles. Wir haben jetzt eine Schwelle definiert. Diese sollte unseren Investmentmanagern noch genügend Spielraum geben, Überrenditen zu erwirtschaften. Das Interview führte Daniel Zulauf.