IM INTERVIEW: STEFAN LEPP, CLEARSTREAM

"Wir liegen gut im Zeitplan"

Zentralverwahrer setzt auf Unternehmenskunden und Kooperationen - Regulierung treibt das Geschäft

"Wir liegen gut im Zeitplan"

Große Unternehmen drängen zunehmend in den Repo-Markt vor und übernehmen dort die Rolle des Kreditgebers. Denn die Banken können immer weniger Einlagen annehmen, berichtet Clearstream-Vorstand Stefan Lepp.- Herr Lepp, Clearstream hat für 2014 Rekordzahlen vorgelegt. Vor allem das verwahrte Vermögen ist erneut gestiegen. Geht das im laufenden Jahr so weiter?Wir sind optimistisch. Schließlich ist das Umfeld gut: Die einheitliche europäische Wertpapierabwicklungsplattform Target2-Securities wird die bislang fragmentierten Märkte harmonisieren. Zudem steigern diverse regulatorische Änderungen die Nachfrage nach unseren Produkten.- Fangen wir mit Target2-Securities – kurz: T2S – an. Wird der Wettbewerb in einem funktionierenden europäischen Binnenmarkt für Wertpapiere schärfer?Grundsätzlich kann man sagen, dass unsere Kunden und die Kunden unserer Wettbewerber sehr genau beobachten, wie sich die verschiedenen künftigen T2S-Abwicklungsinstitute positionieren. Wir glauben, dass wir in der Topliga mitspielen werden, weil wir ein breites Produkt- und Serviceportfolio haben, welches bereits zu einem frühen Zeitpunkt darauf ausgerichtet wurde, zusätzliche Synergien für unsere Kunden im T2S-Umfeld zu heben. Davon werden T2S-Kunden über Clearstream und über unsere strategischen Partner profitieren.- Inwiefern?T2S versetzt unsere Kunden in die Lage, ihr Europageschäft zu konsolidieren und in T2S zu überführen. Gleiches gilt für die Geldpositionen. Heute müssen Marktteilnehmer in jedem einzelnen Markt nicht nur einen dedizierten Wertpapierverwahrer (Custodian) für Wertpapiere einschalten, sondern auch eine individuelle Geld-Liquiditätssteuerung pro Markt sicherstellen. Künftig kann dies konsolidiert mit Zentralbankgeld sichergestellt werden. Das Geschäft kann dann über eine oder zwei Stellen gesteuert werden – zum Beispiel über uns. Das reduziert Kosten signifikant, hat positive Netting-Effekte und erleichtert die Abwicklung, was automatisch zu einer erhöhten Sicherheit führt.- Noch wird die Plattform getestet. Wie laufen die Arbeiten?Wir liegen gut im Zeitplan und erwarten, dass wir einen sehr sanften und glatten Übergang auf T2S erleben werden. Allerdings sind wir ja auch nicht in der ersten Welle der insgesamt fünf Migrationswellen. Doch wenn die erste Welle gut verläuft, würden wir alle davon profitieren.- Steht inzwischen ein Datum fest?Migriert wird am 10. und 11. September 2016. Damit ist der 12. September der erste Tag in der neuen Umgebung.- Ihren Unternehmenszahlen zufolge locken Sie regelmäßig neues Geschäft an. Liegt das nur an T2S?Neue Kunden ziehen uns als T2S-Zugangspunkt in Betracht, die Geschäftszuflüsse sind aber auch durch unser Angebot im Bereich Sicherheiten- und Liquiditätsmanagement begründet.- Clearstream und Eurex Clearing und Eurex Repo haben mit GC Pooling eine Möglichkeit geschaffen, Teile des Interbankenmarkts auf eine Plattform zu bringen, in der Clearstream die zentrale Gegenpartei darstellt.Genau. Wir haben eine bislang einmalige Lösung entwickelt, die sich trotz des Niedrigzinsumfelds gut entwickelt. Wir sind jetzt mit einem ausstehenden Volumen in Höhe von 170 Mrd. Euro ziemlich nahe am Allzeithoch und sehen eine hohe Dynamik bei der Entwicklung der Anzahl neuer Teilnehmer. Vor allem internationale Banken kommen verstärkt an Bord, und wir gehen davon aus, dass dieser Trend anhält.- Warum?Weil wir alles aus einer Hand anbieten: Die Front-Office-Funktionalität liegt bei der Eurex Repo, die Clearing-Funktionalität bei Eurex Repo und die Abwicklung einschließlich des automatisierten Sicherheiten-Managements bei Clearstream. Damit bieten wir ein komplett integriertes Umfeld. Hinzu kommt eine gute Zusammenarbeit mit der Bundesbank. GC Pooling ermöglicht es den Geldgebern, die erhaltenen EZB-geeigneten Sicherheiten jederzeit per Knopfdruck an die Zentralbank zu transferieren. Das hilft bei kurzfristigem Liquiditätsbedarf. Bei anderen Produkten müssen Teilnehmer ihre Sicherheiten bei Liquiditätsengpässen beziehungsweise in einem Stressszenario zunächst am Markt liquidieren – und wir wissen alle, dass in solchen Stresssituationen die Preise rapide fallen können.- Andere Anbieter arbeiten an ähnlichen Produkten. Wird die Luft dünner?Tatsächlich versuchen andere, unser Modell zu kopieren. Sie tun sich aber schwer, Liquidität auf die Maschine zu kriegen. Hier spielt die fehlende Integration der einzelnen Komponenten sicherlich eine bedeutende Rolle.- Wie reagieren Unternehmenskunden auf Ihr Angebot?Wir stellten fest, dass vor allem die großen Corporates aus dem Dax, MDax, dem CAC oder dem FTSE die Thematik alternative Investment- und Finanzierungschancen zweit- bis drittrangig behandelt haben. Sie hatten ihre Hausbank und sind davon ausgegangen, dort vernünftige Konditionen zu bekommen.- Das hat sich schon vor einiger Zeit geändert. Firmen sorgen sich um ihre Kontrahentenrisiken und streuen das Risiko.Das ist richtig. Im gegenwärtigen Niedrigzinsumfeld kommt nun zudem das Thema Strafzinsen hoch. Plötzlich stellen Finanzvorstände und Treasurer fest, dass ihre Hausbank Guthaben entweder nicht mehr verzinst oder gar einen Strafzins erhebt. Das ist für die Unternehmen neu. Bei einer klassischen Investitionsstrategie besteht mittlerweile das Risiko eines Geldverlusts. Wir erleben seit einigen Monaten ein stark wachsendes Interesse von Firmen an unseren Finanzierungs- und Liquiditätsprodukten. Insbesondere unser klassisches Tri-Party-Repo-Produkt ist sehr gefragt.- Was bietet das Produkt?Corporates können sogenannte Triparty-Repo-Geschäfte abschließen. Dabei agiert das Unternehmen als Geldgeber. Clearstream ist als Sicherheitenmanager eingeschaltet und stellt sicher, dass der Geldnehmer die im Vorfeld vereinbarten Sicherheiten zugunsten des Geldgebers hinterlegt. Dabei sind interessante Spreads möglich.- Das klingt allerdings nach einem erheblichen Aufwand. Schließlich müssen die Unternehmenskunden doch zunächst mit allen möglichen Kontrahenten Vertragswerke unterzeichnen.Tatsächlich war das bis zum vergangenen Jahr ein erheblicher Aufwand. Bei jedem neuen Kontrahenten waren dicke Vertragsdokumente zu prüfen. Das hat viele Kunden abgeschreckt. Daher haben wir 2014 ein neues Vertragskonzept entwickelt, die Clearstream Repurchase Conditions – ein multilaterales Repo-Agreement. Die Kontrahenten unterschreiben ein Master Agreement, und für jeden neuen Kontrahenten gibt es nur noch ein zweiseitiges Supplement. Das kommt bei Banken und Unternehmen sehr gut an. Wir haben mittlerweile schon eine hohe zweistellige Kontrahentenanzahl, die mit diesen Verträgen unterwegs ist.- Kommen die alle aus Europa?Bislang ja. Es handelt sich vor allem um große Unternehmen mit hohen Bargeldreserven, denen die Hausbanken – auch aufgrund von Bilanzrestriktionen und negativen Auswirkungen auf ihre Eigenkapitalkosten – nicht mehr das gewohnte Angebot machen können. Sie suchen also nach alternativen Investitionsmodellen.- Bei Clearstream taucht zudem der Name GC Pooling Select auf. Was ist das?Das ist die dritte Evolutionsstufe des Repo-Geschäfts und, wenn Sie mir diese persönliche Anmerkung erlauben, vermutlich der zukünftige Standard. Die erste Stufe war die des unbesicherten Geschäfts, wie wir es vor der Finanzkrise noch kannten. Dann kamen die klassisch besicherten Geschäfte, und nun ist die dritte Stufe erreicht, bei der Repo-Geschäfte über einen zentralen Kontrahenten wie Eurex Clearing abgewickelt werden. Wir erwarten, dass künftig auch Geldplatzierungen zwischen Unternehmen und Banken verstärkt über einen zentralen Kontrahenten laufen werden analog dem heute schon starken Trend in GC Pooling.- Warum? Wollen die Unternehmen auf einmal Clearingmitglieder werden?Nein, hier beobachten wir eher noch Zurückhaltung. Aber die Banken gehen verstärkt auf Corporates zu und sagen, wenn du mir dein Geld über eine zentrale Gegenpartei andienst – zum Beispiel über GC Pooling Select – kann ich das Geld über die gleiche Funktionalität – GC Pooling classic – an den Interbankenmarkt weiterreichen. Das ist dann bilanz- und eigenkapitalkostenschonend, weil beides über eine zentrale Gegenpartei läuft. Dafür gibt es bessere Konditionen und vielleicht noch Folgegeschäfte.- Wann wird das so weit sein? Noch hören wir davon nicht sehr viel.Das kann ich nicht genau sagen. Als wir 2005 GC Pooling lancierten, haben uns alle gefragt, warum wir das machen. Schließlich würde doch keiner Interbankgeschäfte über eine zentrale Gegenpartei abwickeln. Und dann kam 2008, und das Produkt war auf einmal gefragt. Bei GC Pooling Select erwarten wir eine ähnlich Entwicklung, die vermutlich auch wieder durch externe Ereignisse ausgelöst wird – zum Beispiel regulatorische Veränderungen.- Neben regulatorischen Veränderungen setzt Clearstream stark auf strategische Partnerschaften auf der ganzen Welt. Warum machen Sie das?Weil wir glauben, dass dies die richtige Strategie ist. Bei unseren Kooperationen stellen wir den lokalen Verwahrern in Ländern wie Singapur, Brasilien, Australien, Südafrika und anderen die Technik für ein effizientes Sicherheitenmanagement zur Verfügung. Die Sicherheiten bleiben beim lokalen Verwahrer liegen. Die ganze Diskussion um einen Mangel an Sicherheiten – der sogenannte Collateral Squeeze – halten wir für verzerrt. Es gibt genug Sicherheiten, aber diese Sicherheiten sind lokal und global fragmentiert und müssen identifiziert, zugewiesen und mobilisiert werden. Das ist im klassischen Umfeld aufwendig und teuer.- Warum versuchen Sie nicht, die Sicherheiten auf Ihre Bücher zu bekommen?Das würde nicht funktionieren. Viele Sicherheiten müssen lokal verwahrt werden, der Bund ist nun einmal in Deutschland beheimatet, japanische Staatsanleihen liegen bei der Bank of Japan und so weiter. Das rechtliche Umfeld macht es nahezu unmöglich, so ein Supersystem zu bauen, auf dem weltweit verstreute Wertpapiere verbucht werden können. Und selbst wenn wir ein solches System hätten, würden wir nur auf neue Probleme stoßen.—-Das Interview führten Grit Beecken und Christopher Kalbhenn.