IM INTERVIEW: CLAUDIA ANDERSCH

"Wir schicken unsere Aktuare auf die Straße"

Um sich bei der Produktentwicklung an den Bedürfnissen der Kunden zu orientieren, geht die R+V Lebensversicherung neue Wege

"Wir schicken unsere Aktuare auf die Straße"

Die R+V Versicherung, traditionell nach Beitragseinnahmen die Nummer 5 am deutschen Markt, hat erste Zahlen für das Jahr 2018 vorgelegt. Danach wird sie insbesondere bei den laufenden Beiträgen ein deutliches Wachstum verzeichnen, während die Einmalbeiträge leicht rückläufig waren. – Frau Andersch, Sie sind seit etwas über einem Jahr Vorstandsvorsitzende der R+V Lebensversicherung. Was haben Sie sich in Ihrer neuen Position vorgenommen?Für mich war das erste Jahr insofern spannend, als der genossenschaftliche Verbund für mich etwas Neues war. Das hat mich vom Wertegefüge sehr angesprochen. Ganz besonders überzeugt hat mich die Unternehmensstrategie von Herrn Dr. Rollinger …- … dem Vorstandsvorsitzenden der R+V Versicherung …… unter dem Titel “Wachstum durch Wandel”. Der Grundgedanke dabei ist, wie können wir die Herausforderungen, die das gesamte Umfeld – Kapitalmarkt, Regulierung – uns stellt, am besten meistern, wenn wir auf Wachstum setzen.- Und was bedeutet das für die Personenversicherung, für die Sie ja zuständig sind?Das bedeutet, dass wir unsere Größe stabilisieren. Wir sind Bankenversicherer und damit sehr einmalbeitragslastig. Wir haben unseren Fokus darauf gelegt, den laufenden Beitrag stärker zu steigern. Dieses “Abogeschäft” stabilisiert unser Geschäft und unterfüttert den zukünftigen Bruttobeitrag. Einmalbeiträge sind gut, können aber großen Schwankungen unterliegen. Außerdem konnten wir die neuen Garantien stark fördern. Früher haben wir sehr stark auf klassische Garantien gesetzt. Nun bieten wir die gesamte Produktbreite inklusive Klassik an.- Wollen die Kunden diese Produkte weiter haben?Wir verkaufen weiter klassische Produkte. Das leisten wir uns. Für uns ist es wichtig, dass wir die ganze Palette darstellen können. Die Zahlen für die klassischen Produkte sind aber rückläufig. Es kommt immer auch auf die Risikoneigung des Kunden an. Es gibt aber Moden: Bei positiven Kapitalmärkten florieren die fondsgebundenen Versicherungen. Aber wenn die Kapitalmärkte volatiler werden und die ersten Verluste da sind, da hat auch dieses Pflänzchen oftmals gefühlt ein welkes Blättchen. Wie immer im Leben braucht man eine gute Mischung und Streuung. In der Beratung muss das angesprochen werden. Es gibt keinen einfachen Königsweg. Wir sind als Versicherer dazu da, Komplexität zu nehmen und so zu beraten, dass das Produkt zu den Bedürfnissen der Menschen passt.- Wie groß ist der Anteil der Klassik an Ihrem Neugeschäft?In der privaten Vorsorge 635 Mill. Euro. Im Neugeschäft Leben/Pension, das 2018 insgesamt um 0,6 % auf 4,4 Mrd. Euro anwuchs, sind die Einmalbeiträge leicht um 0,7 % auf 3,6 Mrd. Euro zurückgegangen, während die laufenden Beiträge deutlich um 7,5 % auf 742 Mill. Euro zugelegt haben.- Wie schlüsselt sich das auf?Insbesondere sind unsere neuen Garantien immens gewachsen und zwar im Einmalbeitrag um 86 % auf 1,4 Mrd. Euro. Daran sieht man, dass diese Produkte auch bei unseren Kunden sehr gut ankommen. Die betriebliche Altersvorsorge hat wieder mit knapp 30 % am Neugeschäft – das sind rund 1,2 Mrd. Euro – einen hohen Stellenwert. In diesem Geschäft gehören wir zu den beiden größten Anbietern.- Wie sieht es mit fondsgebundenen Versicherungen aus?Im Neugeschäft liegen die bei rund 775 Mill. Euro und haben ebenfalls einen signifikanten Anteil.- Wie sehen bei Ihnen die neuen Garantien aus?Am besten gelaufen ist unsere “Privatrente Performance”, die mit einer Garantie der eingezahlten Beiträge nach fünf Jahren ausgestattet ist. Sie wurde Ende 2017 eingeführt. Hier werden in erster Linie Verträge mit Einmalbeitrag abgeschlossen.- Wie ist das Geschäft mit fondsgebundenen Versicherungen bei Ihnen 2018 gelaufen?Dort arbeiten wir exklusiv mit unserer Schwester Union Investment im genossenschaftlichen Vertrieb zusammen. Sie stellt die Fonds zur Verfügung.- Wo sind Sie bei den laufenden Beiträgen gewachsen?Insbesondere in der betrieblichen Altersvorsorge. Das sind vor allem Verträge mit variablen laufenden Beiträgen. Auch in den neuen Garantien hatten wir früher wenig laufendes Geschäft.- Durch welche Maßnahmen stärken Sie die laufenden Beiträge? Setzen Sie auf Incentivierungen für Ihren Vertrieb?Wir haben keine besonderen Incentivierungen vorgenommen, sondern stark auf Werbung gesetzt, zum Beispiel über unsere Veranstaltungen nach dem Motto des Versicherungsverbands GDV “Wir leben sieben Jahre länger”. Unser Anliegen ist die Einkommenssicherung über den gesamten Lebensweg. Es ist daher sehr wichtig, früh mit dem Sparen zu beginnen und das möglichst laufend zu tun.- Sie haben einige Generalagenten und auch einen Maklervertrieb. Vermitteln die auch Leben-Geschäft?Die Generalagenten vermitteln im Schwerpunkt Sach-Geschäft. Im Leben-Geschäft spielen sie keine große Rolle. Dort geht unser Vertrieb ganz klar über die Volks- und Raiffeisenbanken. Etwas anders ist es in der betrieblichen Altersvorsorge, dort arbeiten wir zusätzlich zu unserem genossenschaftlichen Vertrieb mit spezialisierten Beratern für die betriebliche Altersvorsorge zusammen, weil da Geschäft auch über diese Vertriebswege gerade für große internationale und Dax-Unternehmen vertrieben wird. Das schwankt von Jahr zu Jahr stark, liegt aber im einstelligen Prozentbereich des Neugeschäfts.- Sind Sie mit dem Vertrieb über die Volks- und Raiffeisenbanken zufrieden? Sie stehen da ja im Wettbewerb mit anderen Versicherern.Es ist eine Herausforderung für uns, dass die Banken im Prinzip frei sind in der Wahl ihrer Produktgeber. Wenn es anders wäre, wäre die Versuchung groß, sich zurückzulehnen und sich in den Erfolgen der Vergangenheit zu sonnen. So müssen wir aber klar im Markt stehen. Da hilft uns unser kleiner Maklervertrieb, um zu sehen, was machen denn die anderen? Wir werden an anderen gemessen und müssen uns stark entwickeln. Themen sind die Digitalisierung und das veränderte Verhalten der Kunden. Da arbeiten wir sehr gut mit den Banken zusammen.- Inwieweit wirkt sich die Digitalisierung im Beratungs- und Abschlussprozess aus? Können Kunden auch online abschließen?Unser Geschäft läuft im Wesentlichen über Berater. Wir haben auch Online-Abschlussmöglichkeiten, sind aber kein Direktversicherer. Unsere Kunden sind als Genossenschaftsmitglieder zugleich die “Miteigentümer” der Banken. Unser Ziel ist es, Wertschöpfung bei den Kunden und den Banken zu betreiben. Das wollen wir auch stärken. Durch die Auslandsreisekrankenversicherung, die wir online vertreiben, sehen wir, dass Onlineprozesse wichtig sind. Kunden können so unsere Produkte einfacher erhalten. Wir schauen, wie wir die Prozesse vereinfachen können. Wir haben eine hohe automatisierte Bearbeitung. Wir sehen auch an den Beratern, dass sich der Umgang mit den modernen Medien massiv ändert.- Was haben Sie da konkret gemacht?Für unsere Kunden in der betrieblichen Altersversorgung haben wir ein Portal gebaut und ausgerollt, das sehr gut am Markt ankommt, weil die Betriebe ihre Daten dort eingeben und verwalten können. In der Krankenversicherung gibt es eine App zur Einreichung der Rechnungen. Wir wollen die Möglichkeiten der Digitalisierung an vielen Stellen nutzen. Natürlich machen auch die Banken in dem Bereich viel – Stichwort Online-Banking. Daran müssen wir uns anpassen. Entscheidend ist aber, welchen Zugangsweg der Kunde wählt. Das bestimmen nicht wir, sondern er.- Merken Sie beziehungsweise Ihre Berater, dass sich Kunden heute anders informieren als früher? Sind Sie dem Wettbewerb stärker ausgesetzt?Wir merken den Wettbewerb über unsere Banken. Sie wollen für ihre Kunden gute Produkte vertreiben. Wir müssen also zeigen, dass wir ein vergleichbar gutes oder idealerweise ein besseres Produkt haben als andere. Das betrifft auch die Prozesse. Kann man sich online etwas ansehen? Wir müssen da permanent gute Ideen haben.- Das Betriebsrentenstärkungsgesetz ist Anfang 2018 in Kraft getreten. Wirkt sich das auf Ihr Geschäft aus? In der betrieblichen Altersversorgung haben Sie ja im vorigen März zusammen mit der Union Investment die Zielrente aufgelegt.Im Sozialpartnermodell gibt es bisher branchenübergreifend bisher noch keine Abschlüsse. Es gibt durchaus Interesse, aber da ist noch nichts spruchreif. Ich stelle aber fest, dass das Thema eine größere öffentliche Bedeutung bekommen hat. Es wird viel mehr darüber geschrieben, aktuell auch wieder über das Thema Doppelverbeitragung der Betriebsrente.Wir sehen großes Interesse bei Unternehmen, übrigens nicht nur an der betrieblichen Altersversorgung, sondern auch an der betrieblichen Krankenversicherung. Das Halten von Mitarbeitern und das Gewinnen neuer Mitarbeiter über solche Angebote rücken mehr und mehr in den Fokus.- Da machen Sie auch Abschlüsse?Ja, in der betrieblichen Krankenversicherung wächst unser Bestand stark. Im Übrigen werden bei größeren Unternehmen die Versorgungsmodelle zum Beispiel bei Neuausschreibungen umgebaut, um sich perspektivisch für ein späteres Sozialpartnermodell vorzubereiten. Wenn es dann eine Einigung mit den Gewerkschaften gibt, kann man das schneller umsetzen. Absichtserklärungen gibt es dazu bereits einige.- Haben Sie eine Vorstellung, wann es so weit sein könnte?Es könnte sein, dass man Ende 2019 die ersten kleineren Branchenabschlüsse sieht. Bei den großen Branchen wird es wahrscheinlich noch dauern. Für die Sozialpartner gibt es im Moment einfach andere, wichtigere Themen wie Digitalisierung und Arbeitsplatzsicherung. Und nicht zuletzt gibt es ja auch in vielen Betrieben schon eine betriebliche Altersversorgung. Diese Systeme müssen aufeinander abgestimmt werden. Das ist ebenfalls nicht trivial.- Wie differenzieren Sie sich mit Ihrer Zielrente gegen andere Angebote im Markt?Wir sind die Einzigen, die eine “richtige” Zielrente haben. Ich habe bisher am Markt nicht gesehen, dass man aus der Direktversicherung mit Entgeltumwandlung rausgegangen ist. Wir aber wollten zeigen, wie man mit der Kapitalanlage umgehen kann, und sind deshalb bewusst die Verbindung mit der Union Investment eingegangen, um die Absicht des Gesetzgebers auch richtig umzusetzen.- Anfang 2017 begann bei der R+V ein Prozess unter dem Namen “Wachstum durch Wandel”. Wie ist da der Stand der Dinge?Das Programm ist vorerst bis 2022 geplant, da hat die R+V ihr 100-jähriges Jubiläum. Das treibt die gesamte Organisation. Der Vertrieb, die Kundenzentrierung, der klare Fokus auf die Genossenschaft sind unsere wesentlichen Themen. Das spiegelt sich auch in der Produktpalette im Leben-Bereich wider, in die wir stark investieren, um sie noch stärker auf die Bedürfnisse der Bankkunden auszurichten. Heute machen wir Produktentwicklung ganz anders.- Nämlich wie?Der Kunde steht im Fokus! Wir haben Kundenlabore, wir schicken neuerdings unsere Aktuare auf die Straße, wo sie Interviews führen. Das war für sie richtiges Neuland, Menschen am Wiesbadener Bahnhof zu befragen, um ein neues Produkt zu entwickeln. Da gab es in der Folge sehr gute Ideen. Zuhören können, sich auf den Stuhl des anderen setzen, das ist ein zentraler Teil unseres Transformationsprozesses. Damit werden wir schneller und finden ganz neue Lösungsmöglichkeiten.- Arbeiten Sie auch mit Fintechs zusammen?Ja, da gibt’s tolle Ideen, wie man Prozesse vereinfachen kann. Dafür gehen wir bis nach Israel. Eine Frage ist zum Beispiel, wie kann man für den Kunden bequeme Zugänge gestalten und zugleich alle rechtlichen Vorgaben sauber einhalten. Bei solchen Themen hilft uns auch der enge Austausch im Verbund.- Zur Zinszusatzreserve. Die Reform ist ja nun so gekommen wie von der Branche gewünscht. Bringt Sie Ihnen die erhoffte Erleichterung?Das ist schon sehr hilfreich. Das alte Verfahren arbeitete mit der Annahme, man könne den Durchschnitt der letzten zehn Jahre als Zinsergebnis erwirtschaften. Das ist aber nicht die Realität und hat dazu geführt, dass die Versicherer sehr stark zur Zinszusatzreserve zuführen mussten. Unter der neuen Regelung schmiegt sich der Aufbau eher an. Wir haben mehr Zeit zu Aufbau, so dass wir nicht gezwungen sind, die Bewertungsreserven aufzulösen. Das kommt auch den Kunden zugute, wie man an der Überschussbeteiligung gesehen hat. Wenn die Niedrigzinsphase weiter anhält, werden wir weiter diese Reserven aufbauen und am Ende des Tages werden sie das gleiche Volumen wie nach der alten Regelung haben. Es gilt jederzeit sicherzustellen, dass man die Garantien, die man eingegangen ist, auch wirklich nachhaltig bezahlen kann. Wir achten darauf, dass wir weiter die Finanzkraft haben, um diese Verpflichtungen erfüllen zu können.- Das schließt ein, dass Sie weiter Produkte mit Garantien anbieten?Ja, wir haben immer gesagt, dass wir weiter Garantieprodukte anbieten.—-Das Interview führte Thomas List.