Assetmanagement

„Wir versuchen nicht, Scheinliquidität zu generieren“

Die Tokenisierung von Vermögenswerten befindet sich noch in der Experimentierphase, aber Invesco-Emea-Vertriebschef Oliver Bilal plaudert im Interview der Börsen-Zeitung aus dem Nähkästchen. Er will die Technologie weder dazu nutzen, Illiquides liquide zu machen, noch dazu, in den Direktvertrieb an Kleinanleger einzusteigen.

„Wir versuchen nicht, Scheinliquidität zu generieren“

Herr Bilal, was ist der Stand der Dinge bei der Digitalisierung der Fondsbranche?

Es ist schon sehr viel an Technologie da. Viele Fondshäuser nutzen Machine-Learning-Applikationen im Front und Back Office. Auch hat jedes große Fondshaus bereits Tokenisierungsprojekte durchgeführt. Somit könnten viele Fondshäuser schon stärker digitale Lösungen, z.B. tokenisierte Wertpapiere, an Kunden liefern. Allerdings fehlen die einheitlichen Standards, um Marktplätze zu bauen, die Fondshäusern die notwendige Skalierung bieten. Alle warten auf den großen Moment, wenn die Standardisierung kommt. Aber grundsätzlich gibt es jetzt schon viele interessante Projekte. Ich selbst bin in Fintechs investiert.

Was sind das für Unternehmen?

Das eine Start-up hilft Finanzunternehmen, Wertpapiere und Assets zu tokenisieren. Das Team hat bei Computershare gearbeitet, dem früheren Marktführer für Aktienregister, und verfügt über zwei Jahrzehnte Erfahrung in der Distributed Ledger Technologie. Das andere Start-up ist von der BaFin lizenziert und bietet Privatkunden Tokens auf Diamanten und Oldtimer an. Ein weiteres Fintech bietet Private Equity und Venture Capital für Privatinvestoren.

Was steht der Tokenisierung noch im Weg?

Der Token als Instrument wird in den gängigen Regelwerken de facto nicht als Wertpapier betrachtet. Das ist das wesentliche Problem. Den Token zu generieren und zu handeln ist technologisch gesehen wirklich kein Problem. Es gibt schon viele Fintechs, die das machen. Ich kann es nur nicht verbuchen. Und ich kann auch nicht damit handeln oder es versteuern, weil es in den meisten Regularien einfach nicht vorgesehen ist. Die einzigen, die in unserer Nachbarschaft schon eine wirklich fortschrittliche Regelung haben, sind die Liechtensteiner.

Gibt es nicht auch in Gibraltar schon einen Rechtsrahmen?

Ja, das ist ähnlich. Uns bringt das aber wenig, denn man ist damit gleich im dunkelgrauen Investmentbereich. Das ist für niemanden einen echte Alternative. Wir müssen wirklich darauf warten, dass die EU bei diesen Richtlinien, die ja im Gespräch sind, handelt. Wenn die Mica-Richtlinie in regionales bzw. Länderrecht übertragen wird, haben wir erstmals einen ersten Ansatz von Regulatorik, die für das tatsächliche Bestandsgeschäft Wirksamkeit hat.

Würde das nicht wieder zu einer Zersplitterung a la „27 shades of Mifid“ führen?

Das wird sich relativ schnell erübrigen. Es gibt jetzt schon interessante Projekte. Die Plattform Allfunds hat z.B. in Italien mehrere Vertriebspartner, Distributoren und Assetmanager zusammengebracht und will jetzt schon bestimmte Fondsfamilien über die Blockchain transferieren. Wir wissen, dass Clearstream auch ganz viel in dem Bereich unternimmt.

Wo könnte das hinführen?

Wenn diese Intermediäre einen gewissen Standard setzen und anbieten, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass ihn sehr viele akzeptieren werden. In der Übergangsphase wird es noch Fragmentierung geben. Das wird sich aber schnell erübrigen, weil es nur ein paar große Player geben wird. Das wird weniger von der Assetmanager-Seite her passieren, sondern mehr von Plattformen und Intermediären kommen.

Was bedeutet das für Invesco?

Man müsste einen Business Case bauen, der zeigt, dass Invesco die Möglichkeit anbietet, Invesco-Fonds in Form von Tokens zu kaufen, auf der Blockchain zu handeln und zu vertreiben. Dann braucht man aber die Anbindung an den Fund Administrator und an die Depotbank. Warum sollten die das machen, nur für einen Invesco-Fonds? Und vielleicht kommt dann Blackrock mit einem anderen Protokoll. Das hat irgendwie keinen Sinn. Aber wenn die Plattform selbst, wenn der Fund Administrator und die Depotbank das machen, dann bekommt es auf einmal eine andere Dynamik.

Wie lange könnte es denn dauern, bis es so weit ist?

Die Mica wird uns ja für die Kryptowährungen schon einmal einen ersten Rechtsrahmen geben. Wenn ich das analog zur SFDR (Sustainable Finance Disclosure Regulation) betrachte, sind wir drei Jahre später so weit, dass wir die erste richtige Novelle bekommen, die wohl praktikabler sein wird. Wenn man das hochrechnet, könnte man sagen, dass in vier bis fünf Jahren Mica 2.0 kommt. Das wäre ein realistischer Zeitrahmen. Bis dahin wird viel Druck von der Kundenseite kommen, weil sich gerade so vieles am Einkaufsverhalten von Investoren ändert. Das dürfte den nötigen Schub geben.

Wer bleibt denn von den Intermediären dann noch übrig?

Ich habe höchsten Respekt davor, was ich bei der gesamte Deutsche-Börse-Gruppe sehe – unabhängig davon, dass ich Deutscher bin. Das Fintech-Ökosystem, das die Deutsche Börse aufgebaut hat, kann die komplette Wertschöpfungskette abbilden. Auf der Seite der Intermediäre würde ich die Deutsche-Börse-Gruppe als sehr stark einschätzen.

Was macht die Assetmanagement-Branche?

Auf der Assetmanager-Seite sieht es prinzipiell so aus: Jede größere Fondsgesellschaft experimentiert, um zu verstehen, wie die Technologie funktioniert und was auf dem Portfoliomanagement-Front-Office-System nötig ist, um entsprechend Portfolien konstruieren, Tokens als Wertpapiere kategorisieren und in die Risikobewertung mit aufnehmen zu können. Das sind jedenfalls die Experimente, die hier laufen.

Wie sehen Sie die Bemühungen der Konkurrenz?

Meine Interpretation ist, dass Firmen wie Franklin Templeton und Vanguard diese Technologie als Eingangstor ins direkte Retailgeschäft sehen. Sie machen das heute schon auf der konventionellen Architektur. Sie sind natürlich sehr aktiv im Blockchain-Bereich, weil sie sich bereits eine Plattform mit registrierten aktiven Kunden geschaffen haben. Wenn sie die Blockchain live schalten, können sie relativ schnell weitergehen. Die wesentliche Herausforderung wird sein, dass diese Plattform-Idee darauf basiert, dass es Transparenz, Auswahl und Optionen gibt. Wenn jetzt Franklin Templeton, Vanguard und andere sagen, „Okay wir machen komplett auf. Wir bauen eine komplett offene Architektur“, dann glaube ich, hat es eine Chance. Solange es auf die eigene Produktpalette begrenzt bleibt, kann ich mir nicht vorstellen, wie sich das mittel- bis langfristig am Markt durchsetzen kann.

Was passiert bei Invesco?

Wir experimentieren sehr viel auf der Portfoliomanagement-Seite. Wir haben einen Proof of Concept gemacht, bei dem wir einen am Markt registrierten Immobilienfonds der Invesco Real Estate tokenisiert und dann gehandelt haben. Unsere mittel- bis langfristige Perspektive ist, dass wir dem Ökosystem B2B2C verbunden bleiben.

Also kein Direktvertrieb?

Wir haben nicht den Anspruch, direkt auf Investoren, auf Kleinanleger zuzugehen. Wir möchten aber gerne Partnerschaften mit Vertriebspartnern aufbauen, die sich genau überlegen, wie sie den ersten Schritt in diese neue digitalisierte Welt machen. Wir unterhalten bereits Partnerschaften mit Fintechs und diversen Plattformen. Dadurch konnten wir in den vergangenen zwei, drei Jahren sehr viel Erfahrung damit sammeln, wie sich das Marketing verändert.

Wie verändert es sich?

Das Marketing ist komplett anders. Es ist viel mehr ad hoc. Es geht viel schneller, auf Marktereignisse zu reagieren. Das wird dann in einem Stil umgesetzt, der sich viel stärker an Privat- und Kleinanleger richtet. Das ist etwas ganz anderes als das, was wir im Assetmanagement gewohnt sind. Wir haben eigentlich immer an den professionellen Fondseinkäufer berichtet, Vertriebspartner, die schon mit einer sehr großen Wissensbasis kommen. Da war ein komplett anderer Transfer an Informationen da. Die Art der Kommunikation war anders, sehr viel E-Mail, sehr stark institutionalisiert. Jetzt würden wir quasi ausschließlich über APIs kommunizieren. Der Input wäre retailbezogen und entsprechend zugeschnitten. Das wollen wir stärker standardisieren, so, dass wir das traditionellen Vertriebspartnern anbieten können. Wir könnten ihnen dann bei der Digitalisierung helfen – mit uns zusammen im Boot.

Ist das alles nicht sehr kostspielig?

Wir machen sehr viel Benchmarking. Man sieht aus den Quartalsberichten ziemlich genau, wie viel Firmen wie Blackrock in F&E investieren. Wir wissen, dass wir in dem Bereich sehr stark investieren müssen. Im Peergroup-Vergleich auf Grundlage der uns zugänglichen Informationen wissen wir, dass wir uns bei den IT-Ausgaben im ersten Quartil befinden. Wir haben da einen gewissen Schlüssel, wie wir das allokieren. Da sind die Kosten für den Unterhalt der bestehenden Infrastruktur, das, was wir in bestehendes Geschäft investieren, das wir weiterentwickeln.

Was wäre dafür ein Beispiel?

Wir haben zum Beispiel ein Fund Office, das wir noch stärker durchdigitalisieren wollen. Und dann haben wir noch den letzten Bereich. Das wäre das, was wir in Innovation stecken. Der Schlüssel ist: Wir stecken 30% in Maintenance („Run the Bank“), 60% in die Weiterentwicklung dessen, was wir haben, und 10% in Innovationen. Das geht direkt in Projekte wie Blockchain und Tokenisierung.

Sind das direkte Investitionen?

Das sind 10%, die wir in innovative Initiativen investieren. Es kann durchaus sein, dass es auch einmal eine Partnerschaft mit einem Start-up ist. Wir haben selber Teams mit Datenanalysten, Kollegen in Atlanta, die sich nur mit dem Thema maschinelles Lernen beschäftigen. Die Projekte, die wir mit diesen Teams durchführen, würden auch darunter fallen.

Man könnte auch ganz andere Produkte machen.

Es hat ja den sehr erfolglosen Eltif gegeben, der jetzt novelliert wird und dadurch deutlich interessanter wird. Es hat auch Luxemburger Strukturen gegeben, mit denen man die Minimumvolumina schon deutlich herunterschrauben kann. Aber der letzte große Schritt fehlt dabei. Man ist immer noch in diesem traditionellen Ökosystem. Mit der Blockchain- und Tokenisierungstechnologie gäbe es keine Grenzen mehr. Ich könnte jedes Asset tokenisieren. Ich könnte theoretisch ein Unendlichstel anbieten und jedem Investor Zugang verschaffen. Das ist superspannend für Assetmanager, die mit Vertriebspartnern strategisch zusammenarbeiten.

Warum?

Weil wir das gesamte Warehousing mitverwalten, mitgestalten können, weil wir das kennen, seien es Immobilien oder private Kredite, dann diese Schnittstelle darstellen können, dadurch, dass wir einen Token generieren können. Dann könnte der Vertriebspartner durch seinen Zugang zu den Kunden Skaleneffekte reinbringen. Man könnte sagen: Wir machen das für alle unsere 50.000 Privatkunden zugänglich. Man könnte eine Zeichnungsfrist vorgeben. Das lässt sich gut in ein Paket bringen. Wir würden vor allem illiquide Strategien entsprechend verpacken. Derzeit machen wir das mit Partnern auf der traditionellen Schiene. Für den nächsten Schritt finden wir hoffentlich Partner, die das mit der Blockchain-Technologie mit uns machen.

Wie muss man das verstehen?

Wir versuchen nicht, mit dem Instrument Scheinliquidität zu generieren. Wir würden vielleicht, wenn wir einen neuen Immobilienfonds auflegen, eine gewisse Quote einem Vertriebspartner zur Verfügung stellen, der ihn dann in tokenisierter Form an seine Privatkunden vermarktet. Wir möchten die Technologie aber nicht dazu nutzen, Illiquides liquide machen zu wollen. Es gibt eine der Liquidität der Assetklasse entsprechende Haltedauer, aber sie wird eben investierbar. Ein Privatkunde kann dadurch an Transaktionen partizipieren, die ihm in der Vergangenheit nicht zugänglich waren.

Wie organisiert Invesco diesen Prozess?

In der Vergangenheit hat es entweder solitäre Projekte von Investmentteams gegeben oder solitäre Projekte auf der Vertriebs- und Marketingseite. In unserer Struktur haben wir dem jetzt Rechnung getragen und uns alle, bis hin zum weltweiten CEO, darauf verständigt, dass das eines der absolut kritischen Wachstumsthemen ist. Wir überlegen uns jetzt, unsere verschiedenen Initiativen in Europa, Amerika und Asien zusammenzubringen und stärker zu konzeptualisieren, um daraus ein konkretes Geschäft zu bauen.

Im Interview: Oliver Bilal

Das Interview führte Andreas Hippin.

IM INTERVIEW: OLIVER BILAL

„Wir versuchen nicht, Scheinliquidität zu generieren“

Der Invesco-EMEA-Vertriebschef über Tokenisierung, Regulierung von Kryptoassets und die Zukunft der Assetmanagementbranche

Die Tokenisierung von Vermögenswerten befindet sich noch in der Experimentierphase, aber in einer Hinsicht hat Oliver Bilal klare Vorstellungen: Der Invesco-EMEA-Vertriebschef will die Technologie weder dazu nutzen, Illiquides liquide zu machen, noch dazu, in den Direktvertrieb an Kleinanleger einzusteigen.

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