„Wir wissen über den Private-Credit-Sektor zu wenig“
„Wir wissen über den Private-Credit-Sektor zu wenig“
Im Interview: Harald Vogelsang
„Wir wissen über den Private-Credit-Sektor zu wenig"
Der Chef der Hamburger Sparkasse über Gefahren für die Finanzmarktstabilität, Gründe für eine Regulierungspause, über Bargeld und Wechsel im Vorstand
Wie gerechtfertigt sind Warnungen von Notenbankern vor einem Börsencrash? Harald Vogelsang, Vorstandssprecher der Hamburger Sparkasse (Haspa), rät zur Vorsicht bei Aussagen zu einzelnen Märkten. Zugleich verweist der Chef der größten deutschen Sparkasse auf Gefahren, die vom bislang wenig regulierten Private-Credit-Sektor ausgehen. Bargeld hält Vogelsang weiterhin für unverzichtbar, den neuen Zahlungsdienst Wero für erfolgversprechend. Wer die Haspa von 2027 an führen wird, zeichnet sich ab.
Herr Vogelsang, der Preis für die Feinunze Gold hat 2025 um mehr als 50% auf über 4.000 Dollar zugelegt. Die Haspa ist auch Edelmetallhändler: Wie läuft das Geschäft mit Gold in diesem Jahr?
Unser Umsatz im Handel mit Gold hat sich bis Ende September um 40% im Vorjahresvergleich erhöht. Wir stellen fest, dass es immer noch sehr viel mehr Käufe als Verkäufe gibt. Das Verhältnis liegt in diesem Jahr bei fünf zu eins. Gold wird in unserer Kundschaft nach wie vor stark nachgefragt.
Wie erklären Sie sich das?
Weil die Welt in Unordnung geraten ist, greifen Menschen vermehrt zu Gold. Auch Assetklassen wie Staatsanleihen sehen Anleger derzeit mit Unsicherheiten behaftet. Die Anlage in Gold empfinden viele hingegen als sehr sicher. Physisches Gold hat auch den Vorteil, dass man es mitnehmen kann, wenn man sich große Sorgen macht und die Destination wechseln will. Aus unserer Sicht ist Gold eine sinnvolle Beimischung in einem großen Anlageportfolio. Wir empfehlen einen Anteil von 5 bis 10%. Man sollte nicht alle Eier in einen Korb legen.
Das für Deutschland nicht untypische Angstsparen nimmt wieder zu.
Wie entwickeln sich vor dem Hintergrund der Gold-Rally andere Spar- und Anlageformen in diesem Jahr?
Das für Deutschland nicht untypische Angstsparen nimmt wieder zu. Wir erleben in der Haspa in diesem Jahr bis jetzt einen Einlagenzuwachs von 1 Mrd. Euro. Die Leute halten ihr Geld zusammen, weil sie sich Sorgen machen um ihre Arbeitsplätze. Es werden ja nicht nur in der Automobilindustrie, sondern auch in anderen Branchen viele Stellen abgebaut. Es gibt aber auch positive Entwicklungen.
Welche?
Wir stellen erfreulicherweise fest, dass gerade die Jüngeren vermehrt in Aktien investieren. Investiert wird – und das halte ich für sehr sinnvoll – vor allem in Aktiensparpläne. Ein solcher Sparplan geht mit einem breiten Anlagehorizont einher.
Dass Jüngere vermehrt in Aktien investieren, wird auch mit Sorgen zusammenhängen.
Hier schwingen sicherlich Sorgen um die Zukunft der Altersversorgung mit.
Zur Person
Seit 2007 ist Harald Vogelsang Vorstandssprecher der privatrechtlich aufgestellten, freien Hamburger Sparkasse. Der promovierte Jurist und Bankkaufmann ist auch Präsident des Hanseatischen Sparkassen- und Giroverbandes. Das Wort des 66-Jährigen hat Gewicht im Sparkassensektor. Ende 2026 – kurz vor dem 200-jährigen Bestehen der Haspa – soll für den gebürtigen Hamburger beruflich Schluss sein – nach dann rund 27 Jahren im Haspa-Vorstand.
Herr Vogelsang, höhere Lebenshaltungskosten, fehlendes Wirtschaftswachstum, eine steigende staatliche Schuldenlast: Es kommen einige Faktoren zusammen, die Anlass zur Sorge geben. Zudem bestehen Gefahren für die Finanzmarktstabilität. Wie beurteilen Sie die Risiken, etwa im Zusammenhang mit dem Boom bei Künstlicher Intelligenz (KI)?
Die Kursentwicklung einzelner Technologiewerte in diesem wie auch im vergangenen Jahr war teilweise rasant. Die Erfahrung zeigt aber: Nach starken Aufwärtsbewegungen folgen immer mal Korrekturen. Korrekturen in einzelnen Märkten halte ich für gesund und nicht per se für besorgniserregend.
Akteure wie der (IWF) oder einzelne Notenbanker warnen, der KI-Boom schaffe eine Blase an den weltweiten Aktienmärkten mit dem steigenden Risiko einer abrupten starken Korrektur.
Die Frage, ob wir gerade Blasen in einzelnen Märkten oder Marktsegmenten erleben, ist schwer zu beantworten. Vor rund 15 Jahren gab es Warnungen vor einer Blase am Immobilienmarkt. Gewarnt haben damals auch Vertreter von Notenbanken. Gezeigt hat sich eine Blase aber zwölf Jahre lang nicht. Auf eine Überteuerung folgte nach Beginn des Kriegs in der Ukraine und im Zuge deutlich gestiegener Inflationsraten eine gesunde Korrektur an den Immobilienmärkten, ebenso wie demnächst vielleicht auch an den Aktienmärkten.

picture alliance / Sipa USA | Sipa USA
Das heißt?
Es ist nach ersten Warnungen nicht immer so, dass einzelne Märkte bereits kurz vor einem Zusammenbruch oder vor dem Platzen einer Blase stehen. Insofern bin ich mit Aussagen zu den Entwicklungen einzelner Märkte vorsichtiger.
Warnungen seriöser Adressen sind schon länger zu vernehmen.
Ich möchte daran erinnern, dass es Zeiten gab, in denen die Apple-Aktie Jahr für Jahr für überbewertet gehalten wurde. In dieser Zeit kostete sie nur einen Bruchteil dessen, was sie heute wert ist. Gerade im Technologie-Sektor kann man sich mit Einschätzungen auch böse täuschen.
Die Erfahrungen mit dem Neuen Markt vor rund einem Vierteljahrhundert haben Anleger in Deutschland nicht vergessen.
Die Firmen, die in der Dotcom-Krise ins Straucheln gekommen oder verschwunden sind, haben kein Geld verdient. Heute verdienen die meisten Technologiekonzerne Geld, und zwar enorm viel Geld. Das ist ein fundamentaler Unterschied. Ob deshalb jede Kursbewertung von Nvidia und Co. gerechtfertigt ist, hängt davon ab, wie viel Geld diese Firmen in der Zukunft verdienen werden, weil die Börse Gewinnerwartungen der folgenden Jahre einpreist. Wenn sich diese Gewinne nicht einstellen, sinken die Kurse. Die Unternehmen verdienen aber immer noch Geld, nur etwas weniger als erwartet. Das ist per se keine ungesunde Entwicklung.
Die Bundesbank hat sich früher mit Äußerungen immer sehr zurückgehalten, weil jedes Wort auf die Goldwaage gelegt wurde.
Wie ernst nehmen Sie denn grundsätzlich Warnungen von Notenbankern vor einem Börsen- oder Marktcrash?
Der Regulator oder Aufseher soll für die Stabilität von Märkten sorgen. Als Verantwortlicher dieser Institutionen ist man besser beraten, zu warnen als nicht zu warnen. Die Frage ist aber doch auch, wann und wie häufig.
Wie meinen Sie das?
Wenn ich dreimal im Schwimmbad rufe, ich ertrinke, obwohl ich noch Boden unter den Füßen spüre, dann kommt mir beim vierten Mal, wenn es wirklich kritisch ist, womöglich niemand zu Hilfe. Die Bundesbank hat sich früher mit Äußerungen immer sehr zurückgehalten, weil jedes Wort auf die Goldwaage gelegt wurde. Mein Eindruck ist heute, dass die EZB einen anderen Kurs verfolgt und dass es deshalb umso schwieriger wird zu deuten, wann man auf Warnungen hören muss und wann nicht.
Wie halten Sie es?
Wir müssen uns immer auf Rückschläge im Geschäft und auf Marktkrisen vorbereiten. Der berühmte schwarze Schwan, vor dem keiner gewarnt hat, kann plötzlich um die Ecke kommen. Mit diesem Bewusstsein müssen wir unsere Kunden beraten und unsere Bank steuern. Die eigentlichen, die wirklichen Krisen sind in aller Regel solche, vor denen niemand gewarnt hat.
Was folgt daraus?
Es ist ratsam, sich in Zeiten wie diesen, in denen Kurse hochgelaufen sind, in denen sich andere Dinge geopolitisch als sehr schwierig erweisen, möglichst breit aufzustellen und nicht alles auf eine Karte zu setzen. Es gilt, breit zu streuen, um Verwerfungen abfedern zu können. Es geht darum, eine gewisse Cash-Position vorzuhalten, falls es vorübergehend wegen schlechter Kurse nicht möglich oder sinnvoll sein sollte, Positionen aufzulösen, obwohl man Liquidität benötigt.
Das heißt, die Haspa hält sich bei rentierlicheren Anlagen derzeit stärker zurück?
In heiß laufenden Märkten ein bisschen Performance nach oben abzuschneiden, mag ärgerlich sein. In einem solchen Umfeld auf Rendite zu verzichten, kann aber bei Märkten, die natürliche Rücksetzer haben und auch haben müssen, dabei helfen, nicht in Schwierigkeiten zu geraten. Wer sich bei der Kapitalanlage ausgewogen verhält, der kann und sollte auch weiterhin in Aktien investieren.
Der Bereich der Schattenbanken ist gefahrenträchtig.
Wie schätzen Sie die Risiken für die Finanzmarktstabilität ein, die vom Wachstum der Private-Debt-Fonds als relativ neuem Finanzierungsformat ausgehen?
Wir wissen über den Private-Credit-Sektor zu wenig. Das ist gerade ein Teil des Problems, um die Risiken beurteilen zu können. Gefahren schlummern dort, wo wenig reguliert wird. Dieser Teil des Finanzsystems ist zu wenig reguliert, während andere Teile inzwischen deutlich überreguliert sind.
Könnte der schwarze Schwan aus dem Sektor der Schattenbanken kommen?
Ich würde mich anstelle der Regulatoren darum kümmern, ausgewogener zu regulieren, und mir diesen weißen Fleck, aus dem eines Tages ein schwarzer Schwan kommen könnte, nicht leisten. Der Bereich der Schattenbanken ist gefahrenträchtig.
Können Sie das verdeutlichen?
Wir haben mal erlebt, dass die Aufsicht eine Zeitlang bestrebt war, Fintech-Unternehmen in einer „Sandbox“ zu halten und von Lasten durch Regulierung vorläufig freizustellen, damit sie sich entwickeln können. Dieser Gedanke hat zum Beispiel ein Unternehmen wie Wirecard groß werden lassen. Man kann daher sagen: Dieser regulatorische Ansatz hat sich nicht bewährt. Je ausgewogener Aufseher nicht nur bereits etablierte Anbieter von Finanzdienstleistungen, sondern auch neue Anbieter regulieren, je mehr ein Regulierungsgleichgewicht erzeugt wird, umso besser ist man geschützt.
Ein Regulierungsgleichgewicht existiert schon regional zwischen den USA und Europa nicht.
Ich sehe eine große Gefahr darin, dass wir uns auf beiden Seiten des Atlantiks – in den USA und in Europa – weiterhin darin bestärken, jeweils die richtige Sicht der Dinge zu haben. Die Amerikaner werden dann noch weiter deregulieren, was gefährlich werden kann. Die USA haben in der Vergangenheit mit zu starker Deregulierung schon Schiffbruch erlitten. Ebenso gefährlich wäre es, wenn die Europäer noch stärker regulieren, weil es auch so um die Existenz und die Funktionsfähigkeit der Finanzwirtschaft geht. Beide Seiten wären gut beraten, sich in Fragen der Finanzregulierung anzunähern.
Einen Baseler Eigenkapitalakkord wie Basel III oder Basel IV, der in Europa, Amerika und Asien gleichermaßen gilt, kann man vergessen, wenn sich US-Amerikaner und Chinesen nicht beteiligen.
Das war mal intendiert durch den Baseler Ausschuss für Bankenaufsicht.
Ja. Allerdings haben die Amerikaner vieles nicht mitgemacht. Die Europäer hingegen haben mit ihren regulatorischen Vorgaben – Stichwort: Goldplating – immer noch obendrauf gelegt, und die Deutschen noch mal mehr. Wir können deshalb heute ein krasses Regulierungsungleichgewicht zwischen dem US-amerikanischen Finanzsystem einerseits und dem europäischen und deutschen andererseits beobachten. Das darf nicht so bleiben.
Die Trump-Regierung wird sich mit ihrer Finanzmarktagenda sicherlich nicht an Europa annähern.
Wir müssen uns in Europa fragen, wo in der Bankenregulierung der vergangenen Jahre übertrieben wurde. Wir müssen aber dann in Europa auch unser eigenes Ding machen und dürfen uns nicht dem amerikanischen Deregulierungswahn anschließen. Wir brauchen ein gesundes Maß von Finanzregulierung in Europa, in Deutschland möglichst im Gleichklang mit Europa. Wir sollten uns von den Amerikanern nicht verrückt machen und in die falsche Richtung führen lassen. Umgekehrt dürfen wir nicht versuchen, die Welt zu retten, indem wir in Europa und hier in Deutschland noch mehr regulieren. Dann vernichten wir nur das gesamte System. Und der amerikanische Ansatz in der Finanzregulierung hätte sich durchgesetzt. Der chinesische sowieso.
Weltweit geltende Standards, die die erforderliche Eigenkapitalausstattung von Banken vereinheitlichen und stärken sollen, sind nicht zu erreichen?
Ich würde sagen, das hat sich erledigt. Einen Baseler Eigenkapitalakkord wie Basel III oder Basel IV, der in Europa, Amerika und Asien gleichermaßen gilt, kann man vergessen, wenn sich US-Amerikaner und Chinesen nicht beteiligen. Dabei wäre ein Übereinkommen zur Finanzregulierung, das weltweit befolgt wird, wünschenswert. Derzeit sehe ich dafür keine realistischen Chancen.
Was ist denn für sie „ein gesundes Maß“ von Finanzregulierung in Europa?
Ich habe kein Patentrezept. Ich habe nur eine Vorstellung, was in Europa helfen könnte.
Wie sieht die aus?
Wir sollten jetzt in Europa und in Deutschland nicht darüber diskutieren, welche Regeln wir abschaffen oder welche Vorgaben wir entschärfen wollen. Erst einmal geht es schlicht darum, dass Ruhe und Berechenbarkeit einkehrt. Das Einzige, was uns in der Finanzindustrie in Europa derzeit helfen kann, ist ein Moratorium. Auf englisch: Stop the clock!
Wir brauchen am besten schon ab Anfang 2026 ein Regulierungsmoratorium, um in Ruhe über den Umgang mit Regulierung nachdenken und diskutieren zu können.
Was stellen Sie sich konkret vor?
Das wäre die Verabredung, in den kommenden drei bis fünf Jahren die europäische Finanzbranche nicht mit neuen Regularien zu belasten. Wir haben mehr als genug, an einigen Stellen viel zu viel Regulierung. Wir müssen mit jeder Regulierungswelle immens in IT investieren – im Wissen, dass EZB, EBA, ESMA und andere Behörden die nächste und übernächste Welle schon längst vorbereiten. Die Umsetzung immer neuer Vorgaben erfordert enorm viel Ressourcen an Geld und qualifizierten Menschen, die wir an anderer Stelle dringend benötigen. Wenn wir jetzt zu einem Moratorium kämen, könnten wir darüber sprechen, welches Maß an Regulierung dauerhaft notwendig ist, in welchen Bereichen oder auch Einzelfällen Regulierung verschärft oder verringert werden muss oder kann. Wir brauchen am besten schon ab Anfang 2026 ein Regulierungsmoratorium, um in Ruhe über den Umgang mit Regulierung nachdenken und diskutieren zu können. Das Moratorium wäre schnell und einfach umsetzbar.
Was halten Sie von dem Vorschlag von Bundesbank und BaFin für mehr Proportionalität in der Bankenregulierung durch Einführung eines EU-Kleinbankenregimes?
Der Vorschlag, risikobasierte Kapitalanforderungen zugunsten der einfacheren Verschuldungsquote abzuschaffen, richtet sich an Institute mit einer Bilanzsumme von weniger als 10 Mrd. Euro. Mit unserer Bilanzsumme von über 50 Mrd. Euro gehören wir nicht zu den Adressaten. Per se ist der Vorschlag, kleinere Banken zu entlasten, zu begrüßen. Wichtig wäre, dass das Konzept auch funktioniert.
Die Deutsche Bank ist um ein Vielfaches größer als die Haspa, Geschäftsmodelle und Ausrichtung unterscheiden sich deutlich. Wie empfinden Sie die Proportionalität in der Beaufsichtigung durch die EZB?
Wenn wir mit der EZB darüber sprechen, dann wird uns immer gesagt, es gibt viel Proportionalität. In unserer Eigenwahrnehmung ist es verhältnismäßig wenig.
Ihr Dachverband, der DSGV, plädiert im Zusammenhang mit der 10-Mrd.-Euro-Marke dafür, die 30-Mrd.-Euro-Schwelle, von der an Banken in der Eurozone direkt durch die EZB beaufsichtigt werden, auf 50 Mrd. Euro oder noch höher anzuheben. Wie wichtig wäre das? Welche Chancen sehen Sie dafür?
Aus Gesprächen mit unserem Dachverband wissen wir, dass es sich bei diesem Plädoyer um ein bedauerliches Missverständnis gehandelt hat. Wenn man eine neue Schwelle sucht, käme einzig und allein die inhaltlich sinnvolle Schwelle der Systemrelevanz in Betracht. Eine reine Bilanzsummenbetrachtung ist und war auch bisher nicht zielführend.
Wenn es nun ein regulatorisches Moratorium geben würde und Sie drei Jahre lang keine neuen Vorgaben umsetzen müssten: Was würde das für die Haspa konkret bedeuten?
Unser jährlicher Aufwand im Zusammenhang mit Regulierung bewegt sich zwischen 50 und 60 Mill. Euro. Wenn neue zusätzliche Vorgaben einige Jahre ausbleiben würden, könnten sich die Kosten sicherlich halbieren.
Würde sich durch eine regulatorische Entlastung kleinerer Institute das Fusionstempo in den Finanzverbünden der Sparkassen und Kreditgenossenschaften verlangsamen?
Fusionen sind kein Allheilmittel. Eine richtige Größe gibt es nicht. Auch kleine Banken haben Chancen, dauerhaft im Wettbewerb zu bestehen.
Wie stark wird die Zahl der Sparkassen in Deutschland von zuletzt rund 340 in den kommenden zehn Jahren abnehmen?
Ich gehe davon aus, dass die Zahl 2035 unter der Marke von 300 liegen dürfte.
Diejenigen Institute, die sich KI nicht entschlossen genug zunutze machen, werden zurückfallen.
Wie wird sich die Ausbreitung von KI auswirken?
Diejenigen Institute, die sich KI nicht entschlossen genug zunutze machen, werden zurückfallen. Die erste Erprobungsphase in der Sparkassenorganisation mit dem S-KI-Piloten läuft gerade aus. Die Haspa ist eine der Pilotsparkassen. Wir werden daher schon im kommenden Frühjahr die sparkasseneigene KI einführen, die ähnlich leistungsfähig sein wird wie ChatGPT. Unsere Mitarbeitenden können dann datenschutzkonform und in der gesicherten Umgebung des Sparkassen-IT-Dienstleisters Finanz Informatik damit arbeiten.
Werden alle Sparkassen den S-KI-Piloten vom kommenden Frühjahr an nutzen?
Den Einführungszeitpunkt kann jede Sparkasse selbst bestimmen. Die Haspa ist von Anfang an dabei. Unsere Kunden nutzen KI heute schon. Und wir müssen mindestens genauso fit sein wie sie. KI soll nicht nur die Arbeit in zentralen Bereichen erleichtern. Auch für unsere Kundenberater ist das eine wertvolle Unterstützung, insbesondere bei Routineaufgaben. So bleibt mehr Zeit für Beratung und Service.
Wie teuer werden die Investitionen in KI?
Viele Zukunftsinvestitionen nehmen wir wie andere Mitglieder der Sparkassenorganisation in Form von Umlagen über unsere zentralen Dienstleister wie die Finanz Informatik vor. Wir werden in den nächsten Jahren permanent und mengenabhängig enorm in IT investieren müssen. Es gibt heute fast keine Investition mehr, die nichts mit IT zu tun hat. Was uns das als Haspa kosten wird, lässt sich nicht konkret beziffern. In unserem Kostenpfad der Mittelfristplanung sind aber aus gutem Grund erhebliche Investitionen eingepreist.

Wird die Haspa in der KI-Ära weniger Personal benötigen als heute?
Das wissen wir noch nicht. KI könnte uns helfen, die demografisch bedingten Herausforderungen der nächsten Jahre, wenn sich die Baby-Boomer-Generation aus dem Arbeitsleben verabschieden wird, besser zu bewältigen. KI macht bestimmtes Expertenwissen verfügbar, was dazu führen könnte, einige personelle Lücken zu schließen.
Wenn Kunden KI für ihre Finanzgeschäfte nutzen: Wird sich die Ausdünnung des Filialnetzes beschleunigen?
Davon gehe ich per se nicht aus. Beratung, die in den Filialen stattfindet, wird ein wichtiges Angebot bleiben. Durch Beratung können wir Kunden spürbaren Mehrwert bieten, für den sie bereit sein werden, zu bezahlen und Filialen zu besuchen. Je besser wir im empathischen persönlichen Kontakt sind, desto weniger wird sich die Frage einer Ausdünnung des Netzes stellen.
Elektronische und digitale Zahlungsformen werden populärer: Was heißt das für das Haspa-Filialnetz?
Das lässt sich heute noch nicht abschließend sagen.
Wie ist denn der Trend der Bargeldnutzung bei den Kunden der Haspa?
Die Bargeldnutzung geht kontinuierlich, aber langsam zurück. Ich würde mich freuen, wenn die Notenbanken Münzen einsammelten und wir uns nur noch auf Scheine konzentrieren könnten – auch weil die leichter zu transportieren sind. Im Smartphone- und App-Zeitalter nimmt der Bedarf für Münzen ab. Dass Bargeld komplett verschwinden wird, kann ich mir angesichts der geopolitischen Entwicklungen der vergangenen Jahre, angesichts zunehmender Gefahren durch Cyber-Attacken, inzwischen nicht mehr vorstellen.
Um in Europa unabhängiger von Paypal zu werden, können wir jetzt wunderbar den europäischen Zahlungsdienst Wero nutzen.
Was halten Sie von den Plänen für den digitalen Euro?
Den digitalen Euro gibt es heute schon in den unterschiedlichsten Ausprägungen, wenn Sie an die Online-Transaktionen von Konto zu Konto oder an Zahlungen mit Kreditkarte oder Girocard denken. Was das Projekt der EZB angeht, bin ich „not amused“, mit welcher Vehemenz die Notenbank dieses überflüssige Thema in den Markt zu drücken versucht. Ich verstehe den Sinn dahinter nicht. Ich gebe die Hoffnung nicht auf, dass man innehält und erkennt: den digitalen Euro gibt es schon. Europa hat genug andere Herausforderungen, deren Bewältigung enorme Ressourcen erfordern werden.
Ist mehr europäische Souveränität im Zahlungsverkehr kein gutes Argument für das EZB-Projekt des digitalen Euro?
Um in Europa unabhängiger von Paypal zu werden, können wir jetzt wunderbar den europäischen Zahlungsdienst Wero nutzen. Dafür braucht es den digitalen Euro nicht.
Wird Wero denn ein Erfolg?
Ja, davon bin ich überzeugt. Der Online-Handel wird auf den Zug aufspringen. Die Überzeugung, dass Europa unabhängiger werden muss, setzt sich auch im Handel immer mehr durch. Und bei den Konditionen wird Wero wettbewerbsfähig sein.
Apropos Wettbewerb: Im deutschen Retailbanking mischen vermehrt Neobanken mit. Es drängen auch ausländische Großbanken wie J.P. Morgan in den Markt.
Deutschland hatte schon in der Vergangenheit den intensivsten Privat- und Firmenkundenwettbewerb in Europa. Neuen Anbietern stellen wir uns. Sportlicher Wettbewerb macht uns noch mal fitter. Allein in diesem Jahr haben wir netto 30.000 neue Joker-Konten hinzugewonnen. Unser Mehrwertprogramm nutzen heute mehr als 800.000 Kunden. Das zeigt, dass wir für unsere Kunden attraktiv sind und uns im Markt gut behaupten.
Studienergebnisse besagen, dass Neobanken einen Großteil neuer Girokonten gewinnen. Alarmierend für die Sparkassen?
Nein, nicht alarmierend. Wir müssen Angebote liefern, die überzeugender sind. Das ist normaler Wettbewerb.

picture alliance/dpa/Markus Scholz
Zum aktuellen Geschäftsjahr: Sind Sie mit dem Kreditneugeschäft zufrieden?
Nein, das sind wir nicht. Das liegt an den Märkten. Die Immobilienfinanzierung hat 2025 erfreulicherweise zugenommen, aber nicht in dem Umfang, wie wir es uns wünschen würden. Die Nachfrage nach Wohnimmobilien ist stark, aber das Angebot zu gering.
Wie sind die Aussichten?
Wir erwarten, dass sich das Angebot bei privaten Wohnimmobilien verbessern wird, auch dank politischer Anstrengungen für mehr Baugenehmigungen.
Wie verläuft das Geschäftsjahr 2025, was das Ergebnis angeht?
Aus heutiger Sicht liegen wir über unserem Plan. Das heißt, das Ergebnis wird trotz des schwierigen Umfelds etwas über dem des Vorjahres liegen. Bei der Kreditrisikovorsorge müssen wir noch die ersten Monate 2026 abwarten. Aktuell bewegen wir uns im Plan, aber die Konjunktur läuft einfach schlecht.
Ende 2026 hören Sie als Vorstandssprecher der Haspa auf. Wie sieht die Nachfolge aus?
Wir bereiten den Übergang sorgfältig und mit langem Vorlauf vor. Es werden ja zeitnah noch zwei weitere amtierende Vorstandsmitglieder ausscheiden. Mit Jennifer Eiteneyer und Jan Zurek werden wir ab Januar 2026 zwei neue Bereichsvorstände für das Immobilienkundengeschäft und Private Banking bzw. für die Risikoseite haben. Michael Maaß ist bereits Bereichsvorstand für das Retailgeschäft und die Unternehmenskunden. Alle drei werden, wenn die Haspa-Gremien im kommenden Jahr den Beschluss fassen und die Aufsicht die Genehmigungen erteilt, spätestens Mitte 2027 dem Haspa-Vorstand angehören. Birte Quitt ist bereits seit Anfang 2024 im Vorstand für das Kundengeschäft verantwortlich. Olaf Oesterhelweg, zuständig für Kundengeschäft, Personal und Treasury, ist stellvertretender Vorstandssprecher. Es würde mich sehr freuen, wenn er 2027 weiter aufrückt.
Das Interview führte Carsten Steevens.
