Wirtschaftsprüfer 4.0: Mehr als Abschlussprüfer
Prof. Dr. Klaus-Peter NaumannSprecher des Vorstands beim Institut der Wirtschaftsprüfer in Deutschland (IDW)Audit und Consulting: die zwei Hauptdisziplinen des Wirtschaftsprüfers. Eine dynamische Wirtschaft mit globaler Arbeitsteilung, vernetzten Systemen und intelligenten Prozessen verlangt nach einem Wirtschaftsprüfer, der seine Dienstleistungen und sein Knowhow ständig weiterentwickelt. Als Abschussprüfer prüft er Jahres- und Konzernabschlüsse von Unternehmen, stärkt so das Vertrauen in die Unternehmensberichterstattung und sorgt letztlich dafür, dass Märkte effizient und effektiv funktionieren. Damit erfüllt der Wirtschaftsprüfer eine entscheidende gesellschaftliche Funktion. Der Beitrag des Wirtschaftsprüfers zum Funktionieren der sozialen Marktwirtschaft geht indessen über die Abschlussprüfung hinaus. Die Abschlussprüfung ist nach wie vor Kern des Berufsbildes. Und nach wie vor bedeutet Prüfen, das Ist mit dem Soll zu vergleichen. Doch die Anforderungen werden immer komplexer. Um ihnen zu begegnen, bedarf es neuer Wege und interdisziplinärer Fähigkeiten. Der Abschlussprüfer muss die verzweigten Sachverhalte in den Unternehmen verstehen, deren Geschäftsprozesse und Governance-Struktur, deren Rolle im Markt und den Markt selbst. Gleichzeitig muss er sich im Dickicht nationaler und internationaler Regelwerke im Detail auskennen, die ihm das Soll vorgeben. Es geht um die Leitfrage: Wo liegen die maßgeblichen Risiken für einen fehlerhaften Abschluss? Digitalisierung, Outsourcing und Globalisierung verändern das Unternehmensumfeld mit all seinen branchen- und unternehmensspezifischen Ausprägungen. Auch das Interesse der Rechnungslegungsadressaten wandelt sich. Für sie sind heute zukunftsbezogene Informationen relevanter als primär rechenschaftsorientierte Vergangenheitsdaten. Nur so können sie entscheiden, wie sie die Geschäftsbeziehungen zu den betroffenen Unternehmen gestalten. Der Wirtschaftsprüfer folgt dieser Erwartung. Der “Blick in den Rückspiegel” allein hilft weder den Rechnungslegungsadressaten noch dem Wirtschaftsprüfer weiter. Viele Wertansätze in den Unternehmensabschlüssen werden unter der Annahme von Zukunftserwartungen gebildet und so auch geprüft. Kauft ein Unternehmen ein anderes, steht zunächst der verhandelte Kaufpreis als Anschaffungskosten in der Bilanz des Käufers. Doch was genau beinhaltet der Wertansatz einer Beteiligung? Ist darin nur das historische Verhandlungsergebnis zu sehen? Keinesfalls. Hinter diesem Wertansatz steht gleichzeitig die Aussage des Managements über eine mindestens in dieser Höhe erwartete zukünftige Ertragskraft des Beteiligungsunternehmens.Noch deutlicher wird der Zukunftsbezug beim Lagebericht: Dieser beinhaltet eine Darstellung der voraussichtlichen Entwicklung des Geschäftsverlaufs und der Lage der Unternehmen einschließlich wesentlicher Chancen und Risiken. Eine ordnungsgemäße Lageberichterstattung dient der nachhaltigen Unternehmensentwicklung und fordert deshalb schon heute Prognosen der maßgeblichen Indikatoren der zukünftigen Unternehmensentwicklung sowie eine Analyse der Prognosetreue des Vorjahres.Themen wie diese gehören für den Abschlussprüfer zum täglichen Brot und verändern die Prüfungspraxis massiv. Es geht dabei schon lange nicht mehr um “Zählen, Wiegen, Messen”, sondern um Data Analytics und CAAT (Computer Assisted Audit Techniques). Massendatenanalyse-Verfahren und automatisierte Prüfungsprozesse sind Bestandteil der Arbeit von Wirtschaftsprüfern. Datenauswertungen und Vergleiche mit anderen Unternehmen liefern neue Erkenntnisse für mögliche Zukunftsszenarien.Solche Veränderungen, das tiefe wirtschaftliche Verständnis des Wirtschaftsprüfers, nicht nur eines einzelnen Unternehmens, seine Branchenexpertise sowie das Wissen um IT-gestützte Prozesse machen den Wirtschaftsprüfer zum gefragten Partner. Die heutige Schnelllebigkeit macht in Unternehmen oft Entscheidungen von erheblicher Tragweite in hoher Geschwindigkeit erforderlich. Wirtschaftsprüfer können Entscheidungsträger in allen Fragen unterstützen, ihnen Sicherheit geben und dabei helfen, Auswirkungen des digitalen Umbruchs für sich zu nutzen. Gerade in Zeiten dramatischer Umwälzungen sind Sicherheit und Vertrauen wichtig. Assurance-Leistungen bezeichnen Leistungen, bei denen Wirtschaftsprüfer auf der Grundlage eines Soll-Ist-Vergleichs ein Urteil abgeben, beispielsweise mittels einer Bescheinigung. Mit solchen Dienstleistungen beurteilt der Wirtschaftsprüfer und bestätigt als unabhängiger Experte etwa Finanzinformationen, IT-Systeme oder Unternehmensprozesse und die Verlässlichkeit von Informationen. Das schafft Vertrauen bei Entscheidern, deren Überwachungsgremien, bei Geschäftspartnern und in der Öffentlichkeit. Die aus Audit bzw. Assurance gewonnenen Kenntnisse und Erfahrungen qualifizieren den Wirtschaftsprüfer zu weitergehenden Beratungsleistungen und machen ihn so zum Consultingspezialisten.Der Bedarf an Consultingleistungen geht mit wachsender Komplexität der Umwelt einher. Die Anzahl der Fusionen, Börsengänge und Beteiligungskäufe nimmt durch die fortschreitende Globalisierung zu und damit auch die Nachfrage nach der klassischen Transaktionsberatung, nicht zuletzt, weil auch die zugrundeliegenden Regelwerke immer unübersichtlicher werden. Steigende Regulierung bestimmter Branchen wie Pharma, Energie oder im Zuge aktueller Entwicklungen auch der Autoindustrie rufen zusätzlich kundige Berater auf den Plan. Wirtschaftsprüfer sind in der Lage, hier als Branchen- und Unternehmenskenner besonders passgenau zu beraten. Dank der ganzheitlichen Befassung des Wirtschaftsprüfers mit Unternehmen ist sein Beratungsfeld weit aufgestellt. Die Rolle des Wirtschaftsprüfers für Wirtschaft und Gesellschaft erschöpft sich allerdings nicht in den Prüfungs- und Beratungsleistungen. Sein Fachwissen und seine branchenübergreifenden Einblicke machen ihn zum Experten für Wirtschaftsfragen auch auf der gesellschaftspolitischen Ebene. Oft erkennen Wirtschaftsprüfer noch vor vielen anderen Sachverständigen bedeutende Veränderungen im nationalen und internationalen Wirtschaftsgefüge. Mit diesem Wissen ist eine große gesellschaftliche Verantwortung verbunden, denn von den Folgen können viele Unternehmen, Investoren, Arbeitsplätze oder gar Existenzen abhängen. Deshalb bringt sich der Berufsstand heute regelmäßig in politische Debatten mit Wirtschaftsbezug ein und fördert so auch eine reflektierte Meinungsfindung in Deutschland. Ob zum gegenwärtigen Niedrigzinsumfeld, zum Brexit oder zur doppischen Rechnungslegung öffentlicher Haushalte – Wirtschaftsprüfer haben bereits an mehreren Stellen aufzeigen können, wer von diesen Entwicklungen wie betroffen ist und welche Konsequenzen zu erwarten sind. In der heutigen Zeit, in der der Strukturwandel sämtliche Lebensbereiche durchdringt und Wirtschaftsakteure neue Wege gehen müssen, braucht die Gesellschaft verlässliche Dienstleister, die das Vertrauen der Menschen stärken. Dafür werden Wirtschaftsprüfer als unabhängige Experten auch in Zukunft sorgen.