LEITARTIKEL

Woche des Grauens

So eine Woche hat die Deutsche Bank in ihrer 142-jährigen Geschichte wohl selten erlebt. Montag: Ein früherer Angestellter aus der fünften Reihe veranstaltet mit Hilfe deutscher Medien einen wahren Interview-Feldzug und wirft seinem Ex-Arbeitgeber...

Woche des Grauens

So eine Woche hat die Deutsche Bank in ihrer 142-jährigen Geschichte wohl selten erlebt. Montag: Ein früherer Angestellter aus der fünften Reihe veranstaltet mit Hilfe deutscher Medien einen wahren Interview-Feldzug und wirft seinem Ex-Arbeitgeber milliardenschwere Bilanzfälschung vor. Träfen die Behauptungen zu, hätten die deutschen Steuerzahler seinerzeit auch den Branchenprimus auffangen müssen; die “Schande”, als die der damalige Vorstandsvorsitzende Josef Ackermann diesen Vorgang empfunden hätte, wäre perfekt gewesen.Dienstag war Ruhetag. Mittwoch: Was zuerst aussieht wie die Errichtung einer waffenstarrenden Festung gegen eine neuerliche Blockupy-Attacke auf das Frankfurter Bankenviertel, erweist sich rasch als beispiellose Großrazzia von 500 Staatsanwälten, Polizisten und Steuerfahndern. Ermittelt wird wegen des Verdachts schwerer Straftaten von Steuerhinterziehung über Geldwäsche bis zur Strafvereitelung – Delikte, auf die bis zu fünf respektive zehn Jahre Gefängnis stehen. Unter den 25 beschuldigten Deutsch-Bankern: Co-Chef Jürgen Fitschen und CFO Stefan Krause, die eine falsche Umsatzsteuererklärung zu spät korrigiert haben sollen. Vier Mitarbeiter sitzen in Untersuchungshaft.Donnerstag: Wegen erheblicher Belastungen im Schlussquartal muss die Bank eine Gewinnwarnung herausgeben, die keine sein soll, aber als solche verstanden werden darf. Freitag: Das Oberlandesgericht München verurteilt die Bank zu Schadenersatz an die Erben von Leo Kirch. Laut früheren Äußerungen des Vorsitzenden Richters liegt der Schaden, der durch das berühmt-berüchtigte Interview des damaligen Bankchefs Rolf Breuer verursacht worden sein soll, in der Spanne von 120 Mill. bis 1,5 Mrd. Euro. Am Montag beginnt eine neue Woche. Was kommt dann? Neues zum Libor-Skandal, zu dubiosen Verbriefungen in den USA oder zu ausgeklügelten Zinsswapgeschäften?Man könnte aus der schwarzen Serie zwei völlig konträre Schlussfolgerungen ziehen: Entweder ist die Deutsche Bank systematisch verkommen und kennt weder Recht noch Moral. Nicht weit von diesem Verdikt entfernt liegt die marktgängige Wahrnehmung des Grünen-Fraktionschefs Jürgen Trittin: “Bei jedem Finanzskandal ist die Deutsche Bank dabei.” Oder der blaue Geldkonzern ist Opfer mindestens einer Kampagne, wenn nicht einer Verschwörung. Der Eindruck, “dass sich alles gegen uns verschworen hat”, ist zumindest in der Bank mehrheitsfähig. Doch sogar Konkurrenten, die in dieser Sache als neutral gelten dürfen, fragen schon mal, ob da jemand ein Interesse haben oder zumindest heimliche Freude daran empfinden könnte, dass ausgerechnet die vormalige Vorzeigebank öffentlich demontiert – und damit letztlich die ganze Zunft geschwächt wird. Zum Zeitgeist würde es passen.Die eine Konklusion – systematische Verkommenheit – ist in dieser Verallgemeinerung so absurd wie die andere – Verschwörung. Ein Zusammenhang etwa zwischen der zehn Jahre alten Causa Kirch mit dem betrügerischen Handel mit CO2 -Emissionszertifikaten, aus dem sich Pauschalurteile ableiten ließen, ist beim bösesten Willen nicht herzustellen. Nein, die Koinzidenz der Ereignisse in der Woche des Grauens ist Zufall. Und wer sollte sich denn gegen die Bank verschworen haben? Die Staatsgewalt mit den Medien? Mumpitz! Jeder einzelne der unrühmlichen Vorgänge ist für sich zu betrachten. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass namentlich im Investment Banking nicht nur der Deutschen Bank seit vielen Jahren Geschäfte an der Tagesordnung waren, die außer den daran verdienenden Bankern kein Mensch gebraucht hat. Das allein erfüllt indes noch keinen Straftatbestand, und die Konsequenzen werden ja gezogen: regulatorisch sowie intern durch den hoffentlich ernst gemeinten Kulturwandel.Alle Beteiligten wären gut beraten, im eigenen Interesse, aber auch im Interesse der deutschen Wirtschaft und ihres Ansehens in der Welt abzurüsten: verbal und im Auftreten. Das gilt, neben vielen anderen, zum einen für den erschütterten Fitschen, der sich ungerecht behandelt fühlt. Warum denn? Mit ungebetenem Besuch muss jeder Bürger rechnen, der im Verdacht steht, seine Steuererklärung entspreche nicht den Tatsachen. Das gilt zum anderen für die Justiz. Mutmaßliche Straftaten sind ohne Rücksicht auf die Institution und die Person zu verfolgen und gegebenenfalls zu sanktionieren, da gibt es im Bereich der Wirtschaftskriminalität keine Boni – Punkt. Aber vielleicht geht es bei allem staatsanwaltschaftlichen Ehrgeiz auch ein, zwei Nummern kleiner als bei dem martialisch anmutenden Großeinsatz am vorigen Mittwoch? Unter Terrorismusverdacht steht die Deutsche Bank bisher ja wohl noch nicht. ——–Von Bernd Wittkowski ——- Ist die Deutsche Bank verkommen, oder haben sich alle gegen sie verschworen? Beide Schluss- folgerungen sind absurd. Alle Beteiligten sollten abrüsten.