Zeuge schildert Defizite im Wirecard-Kontrollsystem
„Im Kontrollsystem gab es Defizite“
Im Wirecard-Prozess schildert ein Zeuge die Hindernisse bei Risikobewertungen
Von Stefan Kroneck, München
In dem seit mehr als zehn Monaten andauernden Wirecard-Strafprozess vor dem Landgericht München hat ein Zeuge über die hausinternen Hindernisse bei der Risikobewertung der operativen Vorgänge rund um das dubiose Drittpartnergeschäft (TPA) berichtet. „Im Kontrollsystem der Wirecard AG gab es Defizite, in der Wirecard Bank war das Kontrollsystem strukturiert geregelt“, sagte Gunnar Blecher während seiner Befragung durch den Vorsitzenden Richter Markus Födisch. Der heute 55-Jährige war bei der Banktochter des Zahlungsabwicklers Leiter des Bereichs Globales Risikomanagement. In dieser Funktion prüfte er vor allem Ausfallrisiken. Der Zeuge verwies darauf, dass die Bank den Regelungen der deutschen Finanzaufsicht unterworfen war. Zur Erinnerung: Die BaFin fühlte sich seinerzeit für die Beaufsichtigung der Wirecard AG nicht zuständig.
Wirecard Bank konnte Liquiditätsrisiken nicht erkennen
Blecher räumte ein, dass das Ziel, die Kontrollsysteme bei dem Mutterkonzern ebenfalls zu modernisieren, aufgrund der Insolvenz des Unternehmens im Juni 2020 gescheitert war. „Wir hatten ein Projekt, um ein Kontrollsystem zu installieren. Das haben wir nicht mehr geschafft.“ Seinen Angaben zufolge konnte man von der Wirecard Bank aus die Liquiditätsrisiken der Wirecard AG nicht erkennen. “Im Bereich der AG konnten wir das nicht sehen.“ Blecher berichtete von einer Reihe von Einschränkungen seiner Tätigkeit. „Wir gucken dahin, wo der Vorstand möchte, dass wir dahin sehen“, beschrieb er das Arbeitsverhältnis zum Vorstand.
Klumpenrisiko angemahnt
Das wirkte sich verhängnisvoll auf die hausinterne Kontrolle der TPA-Aktivitäten und der Treuhandkonten aus. Nach den Angaben des Zeugen war das in der Praxis nicht möglich gewesen. „Wir haben die Treuhandkonten als Ausfallrisiko gesehen“, sagte Blecher. Er und seine Kollegen im Risikomanagement hätten die Verfügbarkeit der Beträge auf diesen Konten nicht als Liquiditätsrisiko bewertet. Der Zeuge gab indirekt zu, dass das im Nachhinein ein Fehler gewesen sei. Allerdings war aus Sicht von Blecher die von der Wirecard-Führung angegebene Treuhandsumme von 1,9 Mrd. Euro bei einer Bank in Singapur als Klumpenrisiko zu bewerten. Der Zeuge habe seinerzeit dem Finanzvorstand Alexander von Knoop empfohlen, den Treuhandbetrag auf mehrere Banken zu verteilen, um das Risiko zu streuen. Das sei schon zwei Jahre vor der Insolvenz geschehen.
Auf die Frage, ob diese Empfehlung umgesetzt worden sei, antwortete der Zeuge mit „nein“. Blecher konnte sich die Gründe dafür nicht erklären: „Ich weiß es nicht.“ Knoop habe den Vorschlag zwar „nicht abgelehnt, aber auch nicht befürwortet“. Auch nach Gesprächen mit den Konzernchefbuchhalter Stephan von Erffa sei „nichts passiert“. Der damalige Wirecard-Statthalter in Dubai, Oliver Bellenhaus, war nicht erreichbar gewesen. „Wir hatten keine Termine bekommen. Gespräche wurden kurzfristig ohne Begründung abgesagt“, sagte der Zeuge über Bellenhaus. „Es hatte den Eindruck gemacht, dass keiner mit uns darüber reden wollte.“
Kein Zugang zu Informationen
Blecher zufolge war es „schwierig, überhaupt Informationen zu bekommen“. Auch den Wechsel des Treuhänders Ende 2019/Anfang 2020 in Richtung Philippinen habe seine Abteilung nur „ex post“ mitbekommen. „Das Verfahren war unschön. Wir hätten uns mehr Informationen darüber gewünscht.“ Auch die Überprüfung von angeblichen Drittpartnern in Asien scheiterte. „Wir hatten keine brauchbaren Resultate finden können.“ Eine Bewertung für Konzernberichte sei daher nur auf Basis von Länderratings erfolgt.
Als sich nach dem veröffentlichten Bericht der Sonderprüfer von KPMG im Juni 2020 herausstellte, dass die auf Treuhandkonten unterlegten 1,9 Mrd. Euro fürs TPA-Geschäft nicht existierten, ging Wirecard unter der Last von 3,3 Mrd. Euro Schulden pleite. Neben dem Hauptangeklagten, Ex-Vorstandschef Markus Braun, sitzen Erffa und Bellenhaus, auf der Anklagebank. Die Staatsanwaltschaft wirft ihnen gewerbsmäßigen Bandenbetrug, Marktmanipulation und Bilanzfälschung vor.
Bellenhaus, der bereits zum Prozessauftakt die Tatvorwürfe gestand, tritt als Kronzeuge auf. In der nächsten Woche will dieser nochmals Stellung nehmen. Knoop sagte zuletzt sein Erscheinen als Zeuge vor Gericht ab. Födisch zufolge machte der Ex-CFO von seinem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch. Knoop gilt als Beschuldigter.