Zu viele Mitarbeiter und zu dicke Teppiche
Es geschah im April 2000. Martin Blessing, damals Mitleiter des Geschäftsbereichs Private Kunden der Dresdner Bank, saß mit Kollegen der Deutschen Bank zusammen. Man sprach über die Integration des Retail Banking beider Häuser. Die “Blauen” und die “Grünen” hatten vier Wochen zuvor ihre Fusion zur größten Bank der Welt im Rahmen einer strategischen Partnerschaft mit der Allianz angekündigt und seither über die Details verhandelt. Blessing und seine Partner waren mit ihrer Arbeit so gut wie fertig, da erhielt der heutige Commerzbank-Chef einen Anruf, er möge sich im Vorstandsgebäude der Dresdner Bank einfinden. Hier wurde ihm kurz und knapp mitgeteilt: “Herr Blessing, die Fusion ist zu Ende, ist abgebrochen.” Seinen Kollegen konnte er nur noch raten, die Sachen zu packen und erst mal eine Nacht über das Erlebte zu schlafen. Blessing schildert diese Episode als das für ihn merkwürdigste Ereignis in seiner Zeit bei der Dresdner Bank, die bekanntlich vor fünf Jahren unter- und in der Commerzbank aufgegangen ist.Die “Beraterbank” ist also Vergangenheit, ihre Geschichte wurde auch schon das eine oder andere Mal nacherzählt. Doch nun gibt es ein neues Geschichtsbuch, das “DreBuch”, Untertitel “Zur Unternehmenskultur der Dresdner Bank”. Darin findet sich auch das lesenswerte Interview mit Blessing. Der fast 200 ehemalige Führungskräfte zählende Verein “Dresdner Alumni” hat das Buchprojekt vor zwei Jahren initiiert und neben früheren Mitarbeitern der Bank auch externe Wegbegleiter – etwa Kunden, Wettbewerber oder Journalisten – eingeladen, ihre persönliche Sicht auf die einst zweitgrößte deutsche Bank und auf deren Kultur zu beschreiben, und zwar weder sentimental noch verklärend, sondern authentisch und ungeschminkt. “Die Art, wie wir miteinander umgegangen sind”, lautet übrigens eine Antwort auf die Frage, was denn das Besondere an dieser Unternehmenskultur gewesen sei.Braucht man so ein Buch? Sicher gibt es in der heutigen Unternehmenslandschaft wichtigere Themen als die Kultur einer Bank, die nicht mehr existiert, schreibt der langjährige Vorstandssprecher und Ehrenvorsitzende des Aufsichtsrats der Dresdner, Wolfgang Röller, in einem Grußwort. Andererseits weist er mit Recht darauf hin, dass dieses Buch mit seinen 256 Seiten eine “Schatztruhe” sein könne für Leser, die Antworten auf Fragen wie jene suchen, welche Werte die Basis für das Bankgeschäft sind, wer diese Werte festlegt, wer sich daran hält und wer nicht.Es gibt ja verschiedene Theorien, woran diese traditionsreiche und einst so stolze Bank letztlich gescheitert ist. Auch im kurzweiligen “DreBuch” findet sich manche Deutung. Der Versuch, die Deutsche Bank zu kopieren, ist eine gängige Erklärung, die auch Blessing anführt. Einen anderen Grund könnte man aus einem Brief von Jürgen Heraeus herauslesen, der beim Betreten der Bankzentrale immer Ehrfurcht empfand und dem, wie er schreibt, als sparsamem Familienunternehmer schon früh die vielen Mitarbeiter auffielen, “die man passieren musste, um über dicke Teppiche in das Vorstandsbüro zu gelangen”.