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Broker Nextmarkets coacht Privatanleger

Der Kölner Neobroker Nextmarkets schreibt sich die Wissensvermittlung an Privatanleger als Alleinstellungsmerkmal auf die Fahnen. „Investoren unterliegen einer Vielzahl von Verhaltensanomalien, die sich mit einem gewissen Maß an Erfahrung und einer...

Broker Nextmarkets coacht Privatanleger

Von Alex Wehnert, Frankfurt

Der Kölner Neobroker Nextmarkets schreibt sich die Wissensvermittlung an Privatanleger als Alleinstellungsmerkmal auf die Fahnen. „Investoren unterliegen einer Vielzahl von Verhaltensanomalien, die sich mit einem gewissen Maß an Erfahrung und einer tieferen Kenntnis des Börsenhandels besser überwinden lassen“, sagt Manuel Heyden, CEO der Nextmarkets, auf deren Plattform insgesamt über 7000 Einzelaktien und über 1200 ETFs direkt oder in derivativer Form – zum Beispiel als Differenzkontrakte (CFD) mit Hebel – über das System Gettex der Börse München handelbar sind. Auch Short-Positionierungen über CFD oder die Partizipation in sogenannten Baskets, also aus gewichteten Anteilen bestimmter Aktien zusammengesetzten Körben, sind möglich.

Erfahrene Trainer

Das Fintech, das über eine auf Malta ansässige Tochtergesellschaft seit Juni 2018 eine Zulassung als Wertpapierhandelsbank und Portfoliomanager besitzt, arbeitet dabei mit Coaches zusammen, die den Nutzern die irrationale Furcht vor Aktieninvestments nehmen und Anlageideen vermitteln sollen sowie Beiträge über Themen wie Risikomanagement verfassen. Zudem hat Nextmarkets ein sogenanntes Coachfolio entwickelt, mit denen Anleger die Investmentstrategien von 22 Experten nachbilden können. „Entweder folgen Nutzer allen Coaches gleichzeitig oder deaktivieren je nach Belieben einige davon“, führt Heyden aus. Bei den Trainern handle es sich um ehemalige Fondsmanager oder Investmentbanker. Technologisch sei es komplex, einen regulatorisch sauberen Ablauf der Bankprozesse zu gewährleisten und zugleich hohe Ansprüche an das User-Interface zu erfüllen. Zusätzlich zur in der Kölner Zentrale angesiedelten IT-Abteilung unterhält Nextmarkets deshalb auch ein Technologieteam in Lissabon. Über beide Standorte hinweg sind 16 der insgesamt 40 Mitarbeiter des Fintech in der IT beschäftigt.

Wer Coach bei Nextmarkets werden will, den überprüft der Neobroker hinsichtlich des quantitativen Erfolgs seiner Strategien, aber auch bezüglich qualitativer Faktoren. „Schließlich ist es wichtig, dass Coaches über einen flüssigen Schreibstil verfügen und ihr Wissen einfach verständlich vermitteln können“, sagt Heyden. Einen Vorteil gegenüber dem populären Social Trading, also dem Informationsaustausch zwischen Privatanlegern über soziale Netzwerke, sieht Heyden bei seinem Modell darin, dass die Coaches mit ihrem Klarnamen und Foto für ihre Meinungen einstehen. Gegenüber dem weitgehend anonymen Social-Media-Umfeld soll dies eine höhere Vertrauenswürdigkeit garantieren.

Bewährungsprobe zum Start

Vom Coaching verspricht sich Nextmarkets auch deshalb weiteren Nutzerzulauf, da die Kapitalmärkte im regulären Bildungssystem kaum stattfänden. „Es gibt kein Schulfach Börse – und selbst wer Betriebswirtschaftslehre studiert, lernt dabei nicht automatisch etwas über die Bedeutung von Kurs-Gewinn-Verhältnissen oder andere Prinzipien der Aktienmärkte“, sagt Heyden. Das Coachfolio-Produkt gibt es seit dem vergangenen Februar – und laut dem Nextmarkets-Chef hat es während des Corona-Marktcrashs gleich die erste Bewährungsprobe bestanden. „Die geringe Korrelation zwischen den Strategien der verschiedenen Coaches hat im Vergleich zum Dax im Mittel für eine robuste Performance gesorgt“, betont Heyden.

Für Nextmarkets ist das Coaching-Angebot als Alleinstellungsmerkmal enorm wichtig. Denn der Markt für Neobroker ist umkämpft, der Erfolg der 2013 gestarteten US-Plattform Robinhood hat auch in Europa zu zahlreichen Gründungen ähnlicher Modelle geführt. Allerdings sieht sich Robinhood im Zuge des Reddit-Hypes an den Börsen scharfer Kritik ausgesetzt. Nachdem aktivistische Kleinanleger Aktien von Unternehmen wie Gamestop in die Höhe getrieben und damit leer verkaufenden Hedgefonds hohe Verluste zugefügt hatten, setzte Robinhood den Handel mit den betroffenen Titeln aus. Auch bei Trade Republic, 2015 als erster deutscher Neobroker gegründet, konnten die Aktien vorübergehend nicht gekauft werden.

Ob solche Entwicklungen den Vormarsch der Neobroker langfristig aufhalten können, erscheint aber fraglich. Denn das Preisargument spricht für die jungen Anbieter. Trade Republic beispielsweise berechnet pro Trade 1 Euro Gebühr. Bei einigen Konkurrenten fallen die Kosten höher aus, andere – darunter Nextmarkets – verzichten komplett auf Order- oder Depotgebühren. Das Kölner Fintech verdient, was den physischen Aktienhandel angeht, lediglich über Rückvergütungen der Handelsmarktplätze für ausgeführte Orders Geld. Darüber hinaus fallen Übernachtzinsen beim gehebelten Handel an. „Wir gehen davon aus, dass auch traditionelle Broker ihre Gebührenstrukturen über die kommenden Jahre deutlich anpassen werden müssen“, sagt Heyden.

Tatsächlich stehen Neobroker auch im Wettbewerb mit Direktbanken wie der niederländischen ING, die aggressiv um Depotkunden wirbt. Das zeigt sich unter anderem beim ETF-Angebot des Finanzinstituts: So hat die ING die monatliche Mindesteinzahlung bei Sparplänen auf die börsengehandelten Fonds auf 1 Euro gesenkt. Die Zahl der ausgeführten Trades ist bei den Niederländern ungleich höher als bei Nextmarkets: Allein im ersten Halbjahr haben Kunden der ING Deutschland nach Angaben der Bank mit 13,4 Millionen ausgeführten Trades so viel gehandelt wie noch nie. Laut Heyden hat Nextmarkets bezüglich der Zahl der Trades 2020 erstmals die Marke von 1,2 Millionen geknackt.

Starkes Wachstum

Das Wachstum entwickle sich aber stark: 2019 seien es noch 340000 Trades gewesen, im zweiten Halbjahr 2018 habe sich der Wert noch auf 30000 belaufen. Angaben oder Prognosen zu Umsatz und Ergebnis will Nextmarkets allerdings nicht machen. Heyden, der Nextmarkets 2014 mit seinem Bruder Dominic gründete, sieht die schärfste Konkurrenz indes weniger durch andere Broker, sondern von Seiten des klassischen Sparbuchs oder Tagesgeldkontos. Das gelte insbesondere für Deutschland, das einer der Kernmärkte von Nextmarkets bleiben soll. „Ein Großteil der Bevölkerung scheut die Risiken und die Volatilität an den Aktienmärkten aus historischen Gründen“, sagt Heyden. Schließlich hätten sich viele deutsche Anleger bei ihren ersten Gehversuchen an der Börse die Finger verbrannt, als die Dotcom-Blase geplatzt sei.

Allerdings sorgt der Bullenmarkt auch für eine „Fear of Missing Out“, also die irrationale Angst, etwas zu verpassen. Zugleich schafft der Lockdown Zeit, sich mit der Geldanlage auseinanderzusetzen. Übersichtlich gestaltete Apps erleichtern dabei den Einstieg – auch für Kunden aus anderen Ländern. „Durch die Expansion in fünf neue Märkte werden wir im laufenden Jahr wohl exponentiell weiterwachsen“, prognostiziert Heyden. Seit kurz vor Weihnachten bietet Nextmarkets seine Dienstleistungen neben Deutschland, Österreich und Großbritannien auch in Portugal, Spanien, Italien, Frankreich und den Niederlanden an.

Die Nachfrage der in den frühen 1980er bis späten 1990er Jahren geborenen Altersgruppe der „Millennials“ ist dabei der stärkste Treiber für das Wachstum des Kölner Neobrokers. Diese entdeckt bei der Altersvorsorge laut Heyden die Anlage in Aktien und insbesondere ETF-Sparpläne stärker für sich als ältere Anlegergenerationen. „Wir beobachten, dass die Aktien am meisten gehandelt werden, mit denen sich junge Menschen am stärksten identifizieren. Darunter sind große US-Werte wie Tesla und Apple – vor der Wirecard-Insolvenz haben unsere Nutzer aber auch rege Long- und Short-Positionen in diesem Titel aufgebaut“, sagt der Nextmarkets-Chef. Bei Wirecard-Investitionen haben wohl mehrere Verhaltenseffekte eine Rolle gespielt, darunter die durch vergangene Anlageerfolge konditionierte Gier. Mit den Coaches von Nextmarkets, so die Hoffnung, sollen solche irrationalen Ausprägungen die Depots der Privatanleger weniger stark belasten.