„Ich sehe eine verbreitete Kleinstaaterei-Mentalität“
Interview: Michael Gahler
„Ich sehe eine verbreitete Kleinstaaterei-Mentalität“
Eine leistungsfähige Verteidigungsindustrie ist für den CDU-Europaabgeordneten Michael Gahler die conditio-sine-qua-non für die Herstellung europäischer Verteidigungsfähigkeit. Doch gerade die Hemnisse bei der Entwicklung eines Binnenmarkts für Verteidigung stimmen ihn skeptisch.
Welche Maßnahmen halten Sie für dringlich und prioritär, um die Verteidigungsfähigkeit Europas zu stärken?
Die Förderung der gemeinsamen Beschaffung der Mitgliedstaaten ist aus meiner Sicht entscheidend. Denn gemeinsame Beschaffung schafft Skaleneffekte, spart damit Steuergelder und stärkt die Fähigkeit unserer Streitkräfte gemeinsam zu operieren. Sollte nämlich der Fall eintreten, dass wir uns gegen eine russische Aggression verteidigen müssen, werden wir dies gemeinsam tun. Dann sind kompatible Systeme, einheitliche Ersatzteile und gemeinsame Munition von großem Vorteil. Deshalb finde ich es auch bedauerlich, dass das Europäische Vereidigungsindustrieprogramm EDIP, das unter anderem genau darauf abzielt, mit veranschlagten 1,5 Mrd. Euro aktuell noch die kleinste Hausnummer unter den geplanten Maßnahmen darstellt.
Welche anderen oder zusätzlichen Maßnahmen würden Sie sich wünschen?
Die bisher geschaffenen Instrumente auf europäischer Ebene sind prinzipiell sehr leistungsfähig, wenn man sie zielgerichtet und koordiniert nutzt. Hier gibt es jedoch weiterhin Defizite, da es an einer gemeinsamen Planung, einer Übersetzung des europäischen Fähigkeitsentwicklungsplans in nationale Planungen und einer engen Verzahnung zwischen den Kooperationen der Mitgliedstaaten im EU-Rahmen und den Instrumenten der EU-Kommission mangelt. Auch den seit 2011 formal bestehenden Binnenmarkt für Verteidigung gilt es nun endlich zu verwirklichen.
Sind Sie zuversichtlich, dass es gelingt, bei der Stärkung der Verteidigungsfähigkeit tatsächlich europäisch zu agieren – oder doch wieder weitgehend national?
Gerade die Entwicklung des Verteidigungsbinnenmarkts, die regelmäßig von den Mitgliedstaaten durch Nutzung einer Ausnahmeregelung für Beschaffungen unterlaufen wird, stimmt mich skeptisch. Zudem sehe ich weiterhin eine verbreitete Kleinstaaterei-Mentalität, in der das Ziel gemeinsamer Verteidigungsfähigkeit hinter nationalen, industriepolitischen Erwägungen zurücksteht. Das können wir uns angesichts der Tatsache, dass Putin den Krieg zurück nach Europa gebracht hat, nicht mehr leisten.
Welche Rolle kommt der europäischen Verteidigungsindustrie in diesem Zusammenhang zu?
Eine leistungsfähige Verteidigungsindustrie ist die conditio-sine-qua-non für die Herstellung europäischer Verteidigungsfähigkeit. Aber auch hier gilt, dass es einer europäisch ausgerichteten Industrie bedarf, wofür aber auch die Unternehmen gefordert sind, stärker europäisch zu denken und mehr grenzüberschreitende Kooperationen mit grenzüberschreitenden Wertschöpfungsketten zu schaffen. Das macht die Kooperation nicht nur für alle Teilnehmer attraktiver, sondern schafft auch industrielle Redundanzen, die im Konfliktfall unverzichtbar sein könnten.
Wie blicken Sie auf die weitere Entwicklung der Beziehungen zwischen der EU und den USA?
Der Wind im transatlantischen Verhältnis hat sich mit Trump gedreht. Nationale Interessen und gute Deals stehen im Fokus, so dass es zukünftig mehr Reibung geben wird. Jedoch denke ich, dass die EU und die USA auch in Zukunft Partner bleiben werden, diese Partnerschaft sich aber wohl auch nach Trump sehr viel transaktionaler gestalten wird. Deshalb müssen wir Europäer uns gerade in der Verteidigung unabhängiger machen, da wir uns des Schutzes durch die Amerikaner, die dies vielleicht aufgrund eines Konfliktes mit China dann auch gar nicht mehr leisten können, nicht mehr sicher sein können.
Die Fragen stellte Detlef Fechtner