Italien

Draghi muss bei den Zombie-Unternehmen durchgreifen

Italiens neuer Premierminister Mario Draghi steht vor einer Herkulesaufgabe. Er muss jahrzehntelange Versäumnisse ausräumen, die durch die Coronakrise noch verschärft wurden.

Draghi muss bei den Zombie-Unternehmen durchgreifen

Gerhard Bläske, Mailand

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Die große Koalition unter Italiens neuem Premierminister Mario Dra­ghi war noch gar nicht im Amt, da stritten sich die Regierungspartner schon über die Öffnung oder Nichtöffnung von Geschäften und Schulen in der Corona-Pandemie. Draghi schweigt zu alldem – und trifft Entscheidungen. Er hat die Maßnahmen gegen die Pandemie verschärft und die Verantwortlichkeiten reorganisiert und zentralisiert. Nur wenn es ihm gelingt, die Pandemie in den Griff zu bekommen, kann er auch die Wirtschaft in Schwung bringen.

Das ist eine Herkulesaufgabe. Denn es gilt, jahrzehntelange Versäumnisse auszuräumen, die durch die Coronakrise noch verschärft wurden. Das Bruttoinlandsprodukt schrumpfte 2020 um 8,9% auf den Stand von 1997. Die Verschuldung stieg auf 155,6%, die Steuerlast auf 43,1%.

Draghi hat maximal zwei Jahre Zeit, das Land auf Kurs zu bringen: Diese Aufgabe ist kaum zu lösen. Die Arbeitnehmerproduktivität lag Ende 2019 um 3,5% unter dem Niveau des Jahres 2000. Bei der Wettbewerbsfähigkeit ist Italien laut dem Lausanner Management-Institut IMD global auf Platz 44 abgerutscht. Eine massive Steuerflucht, die organisierte Kriminalität, die die Coronakrise nutzt, um sich einen Teil des großen Kuchens abzuschneiden, das starke Nord-Süd-Gefälle und der Bevölkerungsschwund erschweren die Lage. Doch anders als seine Vorgänger hat Dra­ghi 209 Mrd. Euro aus dem europäischen Wiederaufbauprogramm zur Verfügung. Die Mittel sollen in Investitionen zur Stärkung der Zukunftsfähigkeit des Landes fließen. Damit das Geld überhaupt vernünftig ausgegeben werden kann, muss Draghi nicht nur ein glaubhaftes Programm erarbeiten, sondern auch die überdimensionierte und schlecht organisierte Verwaltung sowie das Justiz- und Steuersystem reformieren. Der Premierminister muss sich außerdem mit einer Vielzahl von Zombie-Unternehmen herumschlagen, die die Steuerzahler seit Jahrzehnten viele Milliarden Euro kosten. Geld, das lieber produktiv ausgegeben werden sollte.

Noch in dieser Woche findet ein virtuelles Treffen mehrerer Minister mit EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager zu Alitalia statt. Regierungen aller Couleur haben das seit 2017 insolvente und unter staatlicher Zwangsverwaltung stehende Unternehmen in den letzten 40 Jahren immer wieder mit insgesamt fast 13 Mrd. Euro Steuerzahlergeld „gerettet“ – ohne dass sich die Situation der seit 2001 defizitären Gesellschaft jemals verbessert hätte. Partner für die Pleite-Airline fand Rom schon vor Corona nicht. Draghis Vorgänger Giuseppe Conte wollte die Pandemie dazu nutzen, die Fluggesellschaft mit einem Taschenspielertrick am Leben zu erhalten: Er hat die neue Gesellschaft ITA gegründet, die mit 3 Mrd. Euro ausgestattet werden soll und die Aktivitäten der Alitalia fortführt, offiziell aber nichts mit ihr zu tun hat. Brüssel verlangt, dass die alten Alitalia-Aktivitäten nicht einfach an die neue Gesellschaft übertragen, sondern in einem offenen und transparenten Verfahren veräußert werden, was Rom ablehnt. Draghi will eine abgespeckte Alitalia mit 4000 bis 4500 der insgesamt 11000 Beschäftigten fortführen. Es ist zu befürchten, dass Brüssel Italien und dem dort gut verdrahteten Dra­ghi entgegenkommt und den Pleitegeier weiterfliegen lässt.

Mehr als 8 Mrd. Euro will die Staatsbank Cassa Depositi e Prestiti (CDP) zusammen mit den Fonds Blackstone und Macquarie für die 88-prozentige Beteiligung des privaten Infrastrukturkonzerns Atlantia an dem Autobahnbetreiber Autostrade per l’Italia (Aspi) ausgeben. Mindestens 4 Mrd. Euro davon soll der Steuerzahler für die Verstaatlichung aufbringen, deren Sinn sich nicht erschließt. Rom handelte sich einen Rüffel der EU-Kommission ein, weil sich mehrere private Aktionäre von Aspi und Atlantia gegen die Zwangsver­staatlichung unter rechtsstaatlich sehr fragwürdigen Umständen wehren.

Auch Wundermann Draghi ist gefangen in den Verästelungen der italienischen Wirtschaftspolitik. Das gilt auch für die 2017 mit 5,4 Mrd. Euro „gerettete“ Bank Monte dei Paschi di Siena (MPS). Die hochdefizitäre und zu 64% staatliche Bank braucht mindestens 2,5 Mrd. Euro frisches Kapital und ist mit vielen Risiken befrachtet. Bisher gibt es keine Kaufinteressenten. Rom bekommt die Bank wohl nur los, wenn sie weitere Milliarden lockermacht – auf Steuerzahlerkosten.

Unklar ist auch, wie es mit dem Ex-Ilva-Stahlwerk von Taranto weitergeht, in das in den letzten Jahrzehnten ebenfalls viele Milliarden Euro geflossen sind. Die Regierung Conte hat kürzlich beschlossen, für 1,1 Mrd. Euro die Mehrheit an dem hochdefizitären Stahlunternehmen zu erwerben, das derzeit noch zu 50% dem Stahlriesen ArcelorMittal gehört. Für zusätzliche Probleme sorgt, dass ein Gericht kürzlich wegen massiver Verstöße gegen Umweltauflagen die Schließung eines Teils des Werks verfügt hat.

Draghis Glaubwürdigkeit wird auch daran gemessen werden, ob er solche Zombie-Unternehmen dauerhaft am Leben erhält. Wenn er das Land wirklich zukunftsfähig machen will, dann muss er hier glaubwürdig agieren. Er ist zum Erfolg verdammt. Scheitert er, dann steht die Mitgliedschaft Italiens in der EU und im Euro in Frage – mit unübersehbaren Folgen auch für die Steuerzahler in Deutschland, die mit ihren Steuergeldern auch für Italien gerade­stehen.