Julia Schönbohm

„Einbeziehung von Drittinteressen halte ich für angemessen“

Patentrechtsreform geplant – Verhältnismäßigkeitsprüfung bei Untersagung

„Einbeziehung von Drittinteressen halte ich für angemessen“

Helmut Kipp

Frau Schönbohm, die Bundesregierung will eine Verhältnismäßigkeitsprüfung bei der Untersagung von Patentverletzungen einführen. Wie beurteilen Sie diese Änderung?

Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist unserem Rechtssystem immanent. Der Bundesgerichtshof hat im Jahr 2016 in seiner grundlegenden „Wärmetauscher-Entscheidung“ anerkannt, dass der Unterlassungsanspruch eingeschränkt werden kann. In Deutschland gibt es bis dato allerdings keine Entscheidung, in der ein Unterlassungsanspruch eingeschränkt wurde. Das ginge nur bei nicht vorhersehbaren Ausnahmefällen. Ich halte die Klarstellung durch den Gesetzgeber deshalb für richtig.

Geht die Einbeziehung von Drittinteressen zu weit?

Ich halte die Einbeziehung von Drittinteressen für angemessen und die wichtigste der geplanten Änderungen. In Verletzungsverfahren werden Drittinteressen anders als zum Beispiel im Vereinigten Königreich nicht geprüft. Diese seien nur für die Erteilung einer Zwangslizenz relevant. Unterhalb der hohen Hürde für die Zwangslizenz seien Drittinteressen daher unbeachtlich. Das lässt sich mit der mittelbaren Drittwirkung von Grundrechten nicht vereinbaren. Bei der Entscheidung über die Erteilung einer Zwangslizenz wird nur geprüft, ob das öffentliche Interesse die Einschränkung des Ausschließlichkeitsrechts rechtfertigt. Bei der Entscheidung über den Unterlassungsanspruch sind die Interessen von Patentinhaber und Beklagten, der ungeklärte Rechtsbestand und die Interessen Dritter abzuwägen. Die Abwägung der Rechtsgüter ist nicht mit der beschränkten Grundrechtskonkordanz für die Entscheidung über die Erteilung einer Zwangslizenz vergleichbar. Das Ausblenden von Drittinteressen durch die Verletzungsgerichte hat in den vergangenen Jahren nicht nur einmal dazu geführt, dass lebensrettende Medikamente vorübergehend vom Markt genommen werden mussten, obwohl das Patent später widerrufen wurde.

Welche Rolle spielen dabei standardessenzielle Patente wie die Mobilfunktechnologien 4G und 5G?

Der Verhältnismäßigkeitsvorbehalt dürfte sich auf die Durchsetzung standardessenzieller Patente kaum auswirken. Die Rechtsprechung hat hier die Voraussetzungen immer weiter verfeinert, wann und unter welchen Voraussetzungen der Un­terlassungsanspruch aus einem standardessenziellen Patent durchgesetzt werden kann. Die Entwurfsbegründung erwähnt standardessenzielle Patente auch nicht ausdrücklich.

Droht eine Aushöhlung des Pa­tentrechts?

Damit rechne ich nicht. Die Begründung stellt klar, dass der Ausschluss des Unterlassungsanspruchs auf absolute Ausnahmen beschränkt sein soll.

Wie sind die Änderungen im internationalen Vergleich einzuordnen?

In den USA hat der Supreme Court im Jahr 2006 mit der „Ebay-Entscheidung“ die Durchsetzbarkeit des patentrechtlichen Unterlassungsanspruchs erheblich eingeschränkt. Da­hinter bleibt der nunmehr geplante Verhältnismäßigkeitsvorbehalt ganz bewusst weit zurück.

Trägt die Reform dazu bei, sogenannte Patenttrolle, denen eine missbräuchliche Ausnutzung von Schutzrechten vorgeworfen wird, in die Schranken zu weisen?

Das bleibt abzuwarten. Schon lange setzen Inhaber von Patenten auf Bauteile diese nicht mehr auf der gleichen Fertigungsstufe durch, sondern gehen gezielt gegen den Hersteller des komplexen Endprodukts vor. So wirkt der Unterlassungsanspruch weit über den Schutzbereich des Patents hinaus, was auch kartellrechtliche Implikationen hat. Erkennbar gegen „Patenttrolle“ gerichtet ist die im Entwurf vorgesehene Prüfung, ob der Patentinhaber ein reiner Patentverwerter oder ein im Wettbewerb tätiges Unternehmen ist. Es würde nicht überraschen, wenn diese Erwägung auf starken Widerstand stieße. Der Wert eines Patents hinge so davon ab, wer es durchsetzt.

Dr. Julia Schönbohm ist Partnerin von Linklaters.

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