GastbeitragKlimawandel

Deutschland braucht Flexibilität beim nachhaltigen Bauen

Wir planen und bauen weiter, als gäbe es keinen Klimawandel, schreibt Sebastian Reddemann. Es bräuchte mehr Spielräume für die Planer und Unternehmen.

Deutschland braucht Flexibilität beim nachhaltigen Bauen

Rauchwolken über Jüterbog: Im Juni loderten Flammen im Waldgebiet in Brandenburg. 2023 war das wärmste Jahr in Deutschland seit Beginn der Aufzeichnungen 1881. Zum Jahresende mussten Hunderte Menschen an den Weihnachtsfeiertagen ihr Heim verlassen. In Niedersachsen wurden zahlreiche Hochwasserrekorde gebrochen. Das vergangene Jahr war ein Jahr der Wetterextreme.

Gebäude nehmen Schaden

Es wird keine Ausnahme bleiben. Aber wir planen und bauen weiter, als gäbe es keinen Klimawandel. Das hat praktische Folgen: Eine aktuelle Studie des Instituts für Bauforschung, die von der VHV Allgemeine und dem Bauherrenschutzbund beauftragt wurde, zeigt, dass Schäden an Gebäuden durch Extremwetterereignisse schon aktuell massiv zunehmen. Immobilienbesitzer, Bauherren und Planer sollten sich darauf vorbereiten.

Denn die meisten Gebäude in Deutschland wurden nach mittlerweile veralteten technischen Regeln oder geltenden DIN-Normen gebaut. Beide bilden solche Belastungen nicht hinreichend ab. Die Studie bestätigt, dass Stürme, Hagel und Hochwasser überall in Deutschland auftreten können. Es gäbe also einiges zu tun.

Uralte Bebauungspläne

Zwar sollen Vorschriften, etwa das Gebäudeenergiegesetz oder das Baugesetzbuch, dazu dienen, auch die Folgen des Klimawandels abzumildern. Es ist indes zu befürchten, dass Gefahren, zum Beispiel durch Starkregen, gerade in der Bauleitplanung aktuell nur unzureichend abgebildet sind. Man darf nicht vergessen, dass viele Bebauungspläne noch aus dem letzten Jahrhundert stammen.

Das gilt auch für den gesamten Bereich des Wassermanagements, insbesondere für die Entwässerungsinfrastruktur. Die heftigen Regenfälle im Jahr 2023 haben gezeigt, dass unsere Systeme darauf nicht ausgelegt sind. Darüber hinaus brauchen wir weniger Flächenversiegelung und Bauverbote in Überschwemmungsgebieten. Auf der operativen Ebene tut sich aber viel zu wenig.

Länder in der Pflicht

Der Bundesgesetzgeber hat auf diese Herausforderungen jüngst mit dem Klimaanpassungsgesetz reagiert, das kurz vor der Jahreswende in Kraft getreten ist. Dieses Gesetz dient der Erarbeitung einer Klimaanpassungsstrategie der Bundesregierung und einer Stärkung der Klimaanpassung vor Ort, indem es vor allem die Länder in die Pflicht nimmt. Außerdem sollen Daten erhoben und Beratungsangebote verbessert werden.

Die deutsche Versicherungswirtschaft stellt schon seit längerem Daten zu den materiellen Schäden durch Extremwetterereignisse zur Verfügung. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz hat in einer Studie aus dem Jahr 2021 bereits berechnen lassen, dass bis 2050 mit volkswirtschaftlichen Schäden bis zu 900 Mrd. Euro zu rechnen ist. Aktuell lässt die Ministerpräsidentenkonferenz prüfen, welche Präventionsmaßnahmen vor allem im Bau- und Umweltrecht notwendig wären, um Schäden durch Naturereignisse zu reduzieren.

Versicherer Teil der Lösung

Tatsächlich gibt es bereits Beratungsangebote zu Präventionsmaßnahmen. Was fehlt, ist die konkrete und zügige Umsetzung dieser Schutzmaßnahmen. Dazu enthält das Klimaschutzgesetz keine präzisen Regelungen oder Finanzierungsvorschläge. Zum Teil wird dort auf die Versicherungswirtschaft verwiesen. So soll geprüft werden, wie die Verbreitung der Elementarschadenversicherung erhöht werden kann. Die Versicherer können ein Teil der Lösung sein.

Die eigentliche Priorität muss aber auf der Vermeidung von Schäden liegen, denn diese ist volkswirtschaftlich deutlich effizienter. Studien der Bundesregierung zeigen, dass sich 60 bis 100% der Kosten zur Beseitigung der durch den Klimawandel verursachten Schäden vor allem durch bauliche Maßnahmen vermeiden ließen.

Eigenverantwortung gefragt

Im privaten Bereich ist hier auch die Eigenverantwortung der Bürgerinnen und Bürger gefragt. Schon kleine Maßnahmen können viele Schäden verhindern: Rückstauventile einbauen, Dachziegel mit Klammern gegen Sturm sichern. Vermeidbare Schäden belasten am Ende die Versichertengemeinschaft und auch die öffentlichen Haushalte unnötig oder führen sogar zu deren Überlastung.

Aktuell stehen in den politischen Diskussionen aber der Mangel an verfügbarem Wohnraum und die energetische Nachrüstung im Fokus. Beides erfordert Investitionen. Die Bauwerkskosten sind aber schon jetzt so hoch, dass dem Wohnungsbau ein Einbruch droht. Wie passt das mit neuen Anforderungen an die Resilienz von Gebäuden zusammen?

Tatsächlich gäbe es finanzielle Spielräume. So sollen Haushalte im Gebäudebereich mit teuren Förderprogrammen zur Umsetzung immer detaillierterer energetischer Anforderungen, zum Beispiel an die Wärmedämmung, motiviert werden. Die Wirksamkeit der politisch vorgegebenen hohen Energiestandards von Gebäuden wird wissenschaftlich aber zunehmend hinterfragt. Eine finanziell ausgewogenere Förderung von Klimaschutz und Klimaanpassung wäre machbar und auch notwendig.

Lernen aus der Katastrophe

Denn durch die Katastrophe im Ahrtal haben wir gelernt, welche Dimensionen solche Ereignisse für Privathaushalte haben können. Die Folgen sind für die Betroffenen bis heute spürbar. Der Wiederaufbau ist noch lange nicht abgeschlossen. Im Vergleich dazu sind die Aufwendungen für häusliche Sicherungsmaßnahmen eher gering.

Ein zweiter Ansatz ist die Ermöglichung von mehr Flexibilität. Gerade im Baubereich mit seinen vielen Gesetzen der EU, des Bundes, der Länder und kommunalen Vorschriften und den bereits erwähnten technischen Regelwerken blicken selbst Fachleute kaum noch durch. Aus Verunsicherung und zur Vermeidung der Haftung vereinbaren die am Bau Beteiligten vorsichtshalber den besten Standard. Die Folge davon sind extrem hohe Bauwerkskosten.

Die Vereinbarung eines geringeren und vor allem auf das individuelle Bauprojekt angepassten Standards ist rechtlich nur schwer möglich und birgt neue Haftungsrisiken. Die Bundesarchitektenkammer hat daher unter dem Stichwort „Gebäudetyp E“ Änderungen des Rechtsrahmens eingefordert, der eine größere technische Flexibilität erlaubt. Das hätte auch wirtschaftliche Vorteile für den Bauherrn oder würde Spielräume für andere Maßnahmen eröffnen. Die aktuelle politische Debatte darüber scheint derzeit in einer Sackgasse zu stecken. Das deutet darauf hin, dass der gordische Knoten des Rechts offensichtlich nur schwer zu entwirren ist.

„Deutschland-Tempo“ zu langsam

Eine Kombination einfacher Regelungen, klarer perspektivischer Zielvorgaben verbunden mit einer Steuerung über Preise sowie eine echte Technologieoffenheit wären zielführend.

Der Klimawandel verlangt von uns schnelle Entscheidungen. Mit den heutigen rechtlichen Rahmenbedingungen ist das kaum machbar. Das „Deutschland-Tempo“ ist zu langsam. Wir bräuchten daher mehr Spielräume für die Planer und Unternehmen.

Am Ende stehen wir vor der Frage, ob wir die Sicherheit der Menschen wirklich durch aufwendige Planungsverfahren und detaillierte Regelungssysteme erhöhen können oder nicht eher durch eine zügigere Umsetzung der notwendigen Maßnahmen. Ein effizientes Risikomanagement kann auch in schnellen Entscheidungen und mehr Flexibilität für die Beteiligten liegen.


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