LeitartikelFinanzregulierung

Die grüne Krake Nimmersatt

Die europäischen ESG-Regulatoren sollen 2024 für eine Pause nutzen. Es liegen genug Bausteine auf dem Tisch. Mit neuen Vorhaben sollte die Politik warten.

Die grüne Krake Nimmersatt

ESG-Regulierung

Die grüne Krake nimmersatt

Es ist Zeit für eine Regulierungspause im nachhaltigen Finanz- wesen. Es liegen genug Bausteine auf dem Tisch.

Von Wolf Brandes

Es war ein schönes Weihnachtsgeschenk: 324 Stellungnahmen zählt die Liste der Kommentare zur Überarbeitung der Offenlegungsverordnung. Am 22. Dezember war Einsendeschluss und die Verbände, Unternehmen sowie Privatleute haben reichlich Ideen zur Verbesserung der sogenannten SFDR-Regulierung zu Papier gebracht.

Seit März 2021 gibt es Offenlegungspflichten im Zusammenhang mit nachhaltigen Finanzprodukten. Die Regulierung sollte mehr Transparenz schaffen, insbesondere darüber, wie Investmentfonds mit ESG und Nachhaltigkeit umgehen. Zu diesem Zweck hatte man Fonds nach Artikel 8 (die Nachhaltigkeitskriterien erfüllen) und Fonds nach Artikel 9 (die Nachhaltigkeitsziele verfolgen) definiert – oft auch als hellgrüne oder dunkelgrüne Produkte bezeichnet.

Bekämpfung von Greenwashing

Doch statt mehr Klarheit schaffte dieser Teil der Nachhaltigkeitsregulierung ein Wirrwarr und eine große Unsicherheit bei Anbietern und Kunden. Deshalb wollte EU-Kommissarin Mairead McGuinness eine umfassende Bewertung dieser Vorschriften, um Mängel zu beseitigen. Ziel sei es, die Rechtssicherheit, die Anwendbarkeit der Verordnung und die Bekämpfung von Greenwashing zu überprüfen.

So wichtig die Überprüfung dieses Teils der ESG-Regulierung ist, so wenig besteht Hoffnung, dass es viel besser wird. Einigkeit besteht nur darin, dass sich etwas ändern muss. Doch wie, darüber gehen die Meinungen auseinander. Viele Unternehmen und Verbände wollen auf die Klassifizierung nach Artikel 8 und Artikel 9 ganz verzichten. Andere Stimmen sagen, dass die europäischen Gesetzgeber und Regelsetzer schon so viele Ressourcen und Arbeit in eine Darstellung diese Art gesteckt hätten, dass man dabei bleiben müsse.

Grüne Planwirtschaft

Mit der Offenlegungsverordnung ist es wie mit vielen Teilen der ausufernden ESG-Regulierung aus Brüssel: Sie ist wie eine grüne Krake, die sich immer weiter ausbreitet. Es wird zu viel und zu detailliert geregelt und zu wenig den Beteiligten überlassen. Alle Verästelungen der Nachhaltigkeit kann man nicht mit Richtlinien regeln. Das wäre eine grüne Planwirtschaft. Der neueste Vorschlag zur Kategorisierung von ESG-Produkten kommt nun aus Großbritannien, das sich von der EU gelöst und jetzt eine andere Klassifizierung eingeführt hat. Dort unterteilt man die Produkte in „Fokus“, „Improver“ und „Impact“. Diese Kennzeichnung beschreibt einige Anlagestrategien, wird aber das Problem der Vergleichbarkeit und der Verwirrung nicht lösen.

Die Frage der Offenlegung bei Finanzprodukten ist nur eine Baustelle, die in diesem Jahr in Sachen ESG-Regulierung angegangen werden soll. Ein zweites Feld ist die Fertigstellung der ESG-Ratingverordnung innerhalb der EU, die vielfältige Themen von grünen Ratings regeln soll und mehr Vergleichbarkeit, Einheitlichkeit und Verlässlichkeit herstellen will.

Dominanz der US-Agenturen stoppen

Ein Ziel der ESG-Ratingregeln ist es auch, die Dominanz der US-Ratinganbieter im Segment der Nachhaltigkeit zu brechen. Wie gut das mit einer Regulierung gelingt, kann man beim Kreditrating sehen, wo sich an der Vorherrschaft von S&P, Moody's und Fitch wenig geändert hat.

Weiter auf dem grünen Regulierungsfahrplan geht es mit der Idee, die Namen von Fonds zu regeln, die nach ESG und Nachhaltigkeit investieren. Auch das wird ein großes Vergnügen werden für die Branche, denn da lässt sich trefflich über Grenzwerte und Abgrenzungen streiten. Sicherlich ist es richtig, Trickserei wie Greenwashing zu unterbinden. Die Frage ist aber, ob dazu nicht die herkömmlichen Instrumente des Wettbewerbsrechts ausreichen.

Europawahlen als Chance

2024 sollte bei ESG für eine Atempause genutzt werden. Es liegen viele Regulierungsbausteine auf dem Tisch. Es geht um eine Bewertung und um eine Priorisierung und nicht darum, noch mehr Regulierung zu schaffen. Die Chancen sind gut. Einfach deshalb, weil im Juni Europawahlen anstehen und von April bis Dezember wenig passiert.

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