„ESG ist eine Geisel von Teilen der konservativen Kräfte in den USA“
Im Gespräch: Jean-Jacques Barbéris
„ESG ist eine Geisel der Konservativen in den USA“
Der Amundi-ESG-Chef über die bevorstehende Klimakonferenz in Dubai, eine Pause bei der Regulierung und den ideologischen Streit in den USA
Von Wolf Brandes, Frankfurt
Der für ESG-Fragen zuständige Vorstand von Amundi, Jean-Jacques Barbéris, schraubt die Erwartungen an die bevorstehende Klimakonferenz herunter. Gleichwohl haben die UN-Treffen erheblichen Einfluss auf die Finanzbranche. Beispielsweise bei Produkten. Sehr ernst nimmt der Franzose die Diskussion in den USA, die einen erheblichen Rückschlag für ESG bedeute.
Bei der bevorstehenden UN-Klimakonferenz werden auch Finanzindustrie und Assetmanagementbranche genau hinschauen. Auf der kurz COP28 genannten Veranstaltung, die in diesem Jahr vom 30. November bis 12. Dezember in Dubai in den Vereinigten Arabischen Emiraten stattfindet, geht es auch um Themen mit großer Relevanz für die Geldbranche. Im Mittelpunkt der Mammutveranstaltung steht das Übereinkommen der Pariser Klimakonferenz 2015, bis 2050 die klimaschädlichen Emissionen auf null zu vermindern („Net Zero“).
Die Bilanz der COP27 im vergangenen Jahr war gemischt, sagt Jean-Jacques Barbéris, Vorstand der Fondsgesellschaft Amundi und unter anderem für ESG zuständig. Einerseits sei es zwar gelungen, einen internationalen Finanzierungsmechanismus (für „Verluste und Schäden“) ins Leben zu rufen, der ärmere Länder dabei unterstützen soll, mit klimabedingten Folgen umzugehen. Aber weitergehende Übereinkünfte, etwa zum Ausstieg aus allen fossilen Energien, speziell zur Kohle, wurden in Ägypten 2022 nicht getroffen. Die EU und die Vereinten Nationen sowie viele Finanzunternehmen kritisierten seinerzeit die Abschlusserklärung scharf.
"PAB"-Produkte überlegen
Konkrete Fragen des Klimaschutzes haben erhebliche Auswirkungen auf Finanzierungen und Assetmanagement. Barbéris hält beispielsweise die auf Basis der Pariser Übereinkunft entwickelten Indizes für hilfreich. „Bei den Produkten halten wir das Paris-Aligned-Benchmark-Konzept für überlegen. Das Interesse an PAB-Produkten steige immer weiter und es gebe vielfältige Produkte. „Solche Produkte erleichtern den Vergleich und lichten das Dickicht.“
Aus Sicht von Barbéris, der früher im französischen Finanzministerium tätig war, dürfe man auch den diesjährigen Klimagipfel nicht als isolierte Veranstaltung betrachten. Es gehe um eine Abfolge von Themen und der Entwicklung von Inhalten. „Es gibt Klimagipfel, bei denen es mehr um die Emissionsreduktion in der westlichen Welt geht, und andere, die stärker die Klimagerechtigkeit mit dem globalen Süden im Blick haben.“ Der Gipfel in Dubai werde sich wieder stärker an entwickelte Industrienationen richten. „Es wird also auch wieder mehr um die Rolle der Finanzbranche gehen.“
Das gescheiterte Verbot fossiler Energien auf dem letzten Gipfel müsse man im Zusammenhang sehen. „Wenn man mit Blick auf die Transition am Ende die Entscheidung trifft, bestimmte Aktivitäten zu stoppen, ist das eine kollektive Entscheidung. Aus meiner Sicht bedarf es dazu einer öffentlichen Diskussion und einer politischen Entscheidung.“ Damit müsse sich der private Sektor dann auseinandersetzen.
Wenn es kein Verbot von Kohle auf europäischem Level gebe, ist das aus Sicht von Barbéris eine Entscheidung – auch wenn viele Banken und Versicherungen schon heute freiwillig keine Kohleunternehmen mehr finanzieren. „Ich glaube, dass das der richtige Weg ist. Aber letztlich ist der Ausstieg aus fossilen Energien eine staatliche Entscheidung und keine unternehmerische.“
In dem Zusammenhang verweist er auf die Taxonomie, die definiert, was konforme Aktivitäten sind und was nicht. „Das werden wir als Unternehmen akzeptieren.“ Generell glaubt Barbéris fest daran, dass Regulierung im Bereich der Nachhaltigkeit notwendig ist und dass man in den letzten vier Jahren einen großen Schritt vorangekommen sei.
Weniger ist mehr
„Heute würde ich sagen, dass es nicht mehr um die Frage von mehr oder weniger Regulierung im Bereich ESG geht. Wir müssen uns auch wieder auf die ursprünglichen Ziele besinnen, die etwa durch die europäische Agenda im Bereich Sustainable Finance und Green Deal vorgegeben sind.“
Man dürfe bei der ESG-Regulierung nicht vergessen, die Investoren zu erreichen. Diese müssten auch die Mittel haben, um die Transformation zu finanzieren. Daher könne es derzeit nicht um ein Mehr an Regulierung gehen, sondern darum, die Geschwindigkeit anzupassen und bestimmte Instrumente zu adjustieren. „Es geht um mehr Effizienz.“
Wichtig sei auch, daran zu arbeiten, dass Sustainable Finance nicht mehr als Nische angesehen wird. „Letztlich muss der ganze Finanzbereich nachhaltig werden. Darauf muss man auch die Transition ausrichten. Sonst bleibt ein Risiko, dass man die Kapitalallokation im Bereich Nachhaltigkeit zu stark begrenzt“, sagt Barbéris.
Im Bereich der privaten Anleger dürfe die ESG-Regulierung nicht die Wünsche der Kunden aus den Augen verlieren. „Es geht dabei um Transparenz und darum zu vermitteln, dass das Ziel die Kapitalallokation für die Transition ist. Ein Konzept, bei dem man die Menschen mitnehmen muss.“
Retailkunden mitnehmen
Es gebe inzwischen viele Kunden, die Nein antworten auf die Frage, ob sie in nachhaltige Anlagen investieren wollen, berichtet Barbéris. „Das liegt auch daran, dass die Produkte und die Regulierung zum Teil zu kompliziert sind. Das muss man vereinfachen. Da hat die Gesetzgebung zum Teil versagt.“ Wenn man zum Beispiel die Klassifikation nach Art. 8 und Art. 9 als Konzept für Sustainable Investment nehme und das wiederum mit der SFRD abgleiche, dann sei das nicht konsistent. „Es besteht die Notwendigkeit, dass man die Produkte vergleichbarer macht.“ Die SFRD ist die EU-Offenlegungsverordnung zu Informationen des Finanzsektors über die Nachhaltigkeit von Investments.
ESG-Debatte in den USA
Die Diskussion unter Investoren, Assetmanagern und Politikern in Teilen der USA empfindet Barbéris als einen enormen Rückschlag für ESG. „Es gibt starke Divergenzen und Anfeindungen. Diese Gegenbewegung gibt es aber auch, weil das Thema konkret wird und spürbare Anpassungen erfordert. Der Aufschrei in den USA beweist, dass es eine Wirkung hat.“ Und: Wenn ESG-Bemühungen keine Wirkung hätten, wäre es auch ein sinnloses Unterfangen. Zweitens: Die ESG-Debatte in den USA sei eine politische Debatte, die man in einem übergeordneten ideologischen Zusammenhang sehen müsse. „ESG ist eine Geisel von Teilen der konservativen Kräfte in den USA.“
Positiv an der Auseinandersetzung in den USA sei sicherlich, dass Europa dazu gezwungen werde, über die materiellen Fragen von ESG nachzudenken. Es zwinge uns alle stärker zu fokussieren auf die Fragen, die wirklich wichtig seien. Aber die Gegenbewegung in den USA mache das Leben der globalen Finanz- und Assetmanagement-Branche nicht einfacher. „Es ist kompliziert für Manager in den USA zu erklären, wie sie arbeiten und was sie tun. Und auf der anderen Seite müssen sie sich der europäischen ESG-Regulierung unterwerfen.“