GastbeitragESG-Ratingagenturen

EU-Richtlinie verspricht mehr Transparenz bei ESG-Ratings

Die Bewertungskriterien bei den ESG-Ratingagenturen sind bisher sehr intransparent. Deshalb sollen sie nach einer neuen EU-Richtlinie ab 2024 zu mehr Transparenz gezwungen und von der ESMA beaufsichtigt werden.

EU-Richtlinie verspricht mehr Transparenz bei ESG-Ratings

Gastbeitrag

EU-Richtlinie verspricht Qualitätssprung für ESG-Ratings

Geplante EU-Richtlinie verspricht mehr Transparenz auf dem Markt der ESG-Ratingagenturen

Christoph Betz Partner Financial Services KPMG Martina Köhler Managerin Financial Services KPMG

Obwohl die Beurteilung der Nachhaltigkeit bezüglich der ESG-Kriterien – also Umwelt, soziale Gerechtigkeit und Unternehmensführung – für Finanzdienstleister immer bedeutsamer wird, sind die Bewertungsprozesse uneinheitlich und intransparent. Eine neue EU-Richtlinie soll ab 2024 Abhilfe schaffen. Dadurch wird sich einiges ändern – vor allem für die Ratingagenturen.

Schon heute interessieren sich Investoren, Anteilseigner, Gläubigerbanken und Fondsmanager brennend dafür, wie Unternehmen hinsichtlich Nachhaltigkeit und ESG aufgestellt sind. Denn die Umsetzung der Kriterien entscheidet über Erfolg und Misserfolg in der Zukunft – und so mitunter schon heute über langfristige und zukünftige Kreditvergaben, Beteiligungen und Investments. Noch vor zehn Jahren zum Beispiel hätte wohl jeder deutsche Automobilhersteller im Rahmen einer Kreditvergabe auf 50 Jahre das Prädikat „über jeden Zweifel erhaben“ bekommen. Ob das angesichts der Mobilitätswende, der schleppenden Elektrifizierung der deutschen Autokonzerne (bzw. ihrer Produkte) und ihres kriselnden Geschäfts in China heute noch genauso wäre, darf zumindest bezweifelt werden.

Intransparent und uneinheitlich?

Doch wer beurteilt das eigentlich? Maßgeblich sind hier ESG-Ratingagenturen, die Unternehmen ähnlich wie bei der Einschätzung der Kreditwürdigkeit hinsichtlich der Nachhaltigkeit ihrer Geschäftstätigkeit klassifizieren. Doch anders als zum Beispiel in reinen Kreditratings kommen die Anbieter von ESG-Ratings in ihren Beurteilungen teils zu völlig unterschiedlichen Ergebnissen. 2020 zum Beispiel wurde Tesla von Just Capital mit einem sehr schlechten, von MSCI hingegen mit einem Spitzenwert versehen. Solche Beispiele hängen einerseits mit unterschiedlichen Bewertungsschwerpunkten in den Ratings zusammen, andererseits mit unterschiedlichen Maßstäben. Daher stehen die Methoden der Agenturen, genauer gesagt: deren Intransparenz, seit geraumer Zeit in der Kritik.

ESG-Ratinganbieter beurteilen Unternehmen analog zu den ESG-Faktoren in der Regel nach den Kriterien Umwelt (z.B. Emissionen, Ressourcenmanagement, Umgang mit Umweltauswirkungen, grüne Produkte und Innovationen), Soziales (z.B. Arbeitsbedingungen, Gesundheit und Sicherheit, Kundenbeziehungen, Lieferkettengerechtigkeit, Menschenrechte) und Governance (z.B. Unternehmensführung, Korruptionsbekämpfung, Geschäftsethik, Produktqualität und -sicherheit).

Jedoch ist meist völlig unklar, wie diese Faktoren von den Agenturen gewichtet werden. Und auch in die Prozesse gibt es bisher kaum Einblicke: Während die einen vornehmlich Webcrawler, also automatisierte Programme für ihre Beurteilungen nutzen, verwenden andere Fragebogen, die den Unternehmen zugeschickt werden. Dritte wiederum bedienen sich einer Kombination aus beidem. Ein weiterer Kritikpunkt ist der intrinsische Interessenkonflikt: Durch Vergütungen oder Beteiligungen tritt nicht selten der Fall ein, dass eine Agentur (zumindest teilweise) von dem oder den Unternehmen bezahlt wird, die sie eigentlich objektiv bewerten soll. Darüber hinaus könnte es im Eigeninteresse der Agentur liegen, ein bestimmtes Unternehmen als besonders gut oder schlecht zu bewerten, etwa wenn es unternehmerische Verflechtungen gibt.

Neue Objektivität

Am 13. Juni 2023 hat die EU-Kommission einen konkreten Vorschlag für eine Richtlinie über Transparenz und Integrität von ESG-Ratings vorgelegt. Die Verordnung ist Teil eines umfangreichen Maßnahmenpakets und soll das bestehende Sustainable Finance Framework der EU erweitern. Ihr Inkrafttreten wird für 2024 erwartet. Ziel der Verordnung ist die Transparenz der Kriterien und Prozesse der ESG-Ratingagenturen. Die Offenlegung ihrer Maßstäbe und Instrumente soll Vergleichbarkeit und Zuverlässigkeit verbessern, um so maximale Unabhängigkeit und Qualität zu gewährleisten.

Daraus würden schon ab 2024 wesentliche Veränderungen folgen: Die Anbieter werden durch die European Securities and Markets Authority (ESMA) beaufsichtigt, und die Methoden müssen „streng, systematisch, objektiv und kontinuierlich sein und einer Validierung unterliegen“, also mindestens einmal im Jahr überprüft werden. Hinzu kommen Vorgaben zur Vermeidung von Interessenkonflikten, etwa das Verbot von Parallelaktivitäten wie Consulting, Risiko-Rating und Financial Services, sowie die Transparenzpflicht in Bezug auf Methoden, Modelle und die wichtigsten zugrunde liegenden Annahmen. Informationen über ESG-Ratings und Anbieter sollen der Öffentlichkeit zudem über den European Single Access Point (ESAP) zugänglich gemacht werden.

Perspektiven für Finanzbranche

Für Finanzdienstleister kann die neue Verordnung einen echten Mehrwert erzeugen. Aktuell werden Ratings zum Beispiel bei Portfolio-Entscheidungen zugrunde gelegt. Außerdem ziehen einige Häuser bei der Einschätzung der Bonität ihrer Kreditnehmer auch ESG-Ratings zurate. Die künftige Transparenz des Ratingprozesses führt zu einheitlichen Qualitätsstandards und beugt Interessenkonflikten aufseiten der Agenturen vor, so dass Verzerrungen der Ratingergebnisse künftig unwahrscheinlicher werden. Dadurch haben Banken sowohl die Chance, das eigene Portfolio aussagekräftig auf Nachhaltigkeit zu analysieren, als auch zu einer realistischeren Einschätzung künftiger Kreditnehmer zu gelangen. Die Anforderungen an von Finanzdienstleistern selbst erstellte, öffentliche Ratings werden sich ebenfalls ändern. Wie immer gilt hier: antizipieren statt reagieren. Wer sich frühzeitig auf das Unvermeidliche einstellt, hat gegenüber der Konkurrenz schnell einen Wettbewerbsvorteil.

Die Verordnung bezieht sich explizit auf in der EU ansässige ESG-Ratingagenturen. Ratings internationaler Agenturen müssen ebenfalls eine Zertifizierung durch die ESMA erhalten, wenn sie in der EU veröffentlicht werden sollen. Großbritannien beispielsweise strebt aber bereits eine eigene, vergleichbare Regulierung an.

Während spezialisierte ESG-Ratingagenturen voraussichtlich weniger Mühe bei der Umsetzung der neuen Regeln haben werden, sollte der Finanzsektor aufpassen. Wer sich gut vorbereitet, muss keine unüberwindlichen Hindernisse fürchten. Die neuen Regeln erfordern zunächst einen gewissen Ressourcenaufwand. Die geplante Vereinheitlichung verspricht aber die Harmonisierung des Marktes. Das wird den Aufwand für die gesamte Branche verringern. Die Auftraggeber von ESG-Ratings sowie unabhängige Beobachter und die Öffentlichkeit dürfen auf einen echten Mehrwert hoffen.

Christoph Betz

Partner Financial Services, KPMG

Martina Köhler

Managerin Financial Services, KPMG

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