Luftfahrt

Eurocontrol macht Luftfahrtbranche wenig Hoffnung beim Thema Klimaneutralität

In der Luftfahrt wird auf Langstreckenflügen mit Abstand am meisten CO2 ausgestoßen. Aber gerade hier ist noch keine Technologie in Sicht, die ein echter Gamechanger in Sachen Klimaneutralität sein könnte, so das Fazit der Luftfahrtbehörde Eurocontrol.

Eurocontrol macht Luftfahrtbranche wenig Hoffnung beim Thema Klimaneutralität

Eurocontrol malt ein düsteres Bild

Technologisch kein Gamechanger in Sachen Klimaneutralität von Langstreckenflügen in Sicht – Luftfahrt hofft auf grünes Kerosin

Von Lisa Schmelzer, Frankfurt

Die europäische Luftfahrtbranche hat sich ehrgeizige Ziele gesteckt. Bis 2050 soll es gelingen, klimaneutral zu fliegen. Landauf, landab gibt es zahlreiche Projekte, die die Branche auf diesem Weg voranbringen sollen – diverse Herstellungsverfahren für nachhaltige Treibstoffe, Ideen für neue Flugzeuge und Antriebe, veränderte Flugrouten und vieles mehr. Doch ausgerechnet die europäische Luftfahrtbehörde Eurocontrol sorgt nun für Ernüchterung. Im Falle der Langstreckenflüge, auf denen mit Abstand am meisten CO2 ausgestoßen wird, sei eine Technologie, die ein echter Gamechanger sein könnte, noch meilenweit entfernt, so das Fazit der Eurocontrol-Experten in ihrem jüngsten „Think Paper“.

Batterien, Brennstoffzellen, Wasserstoff, Methan, Ammoniak oder Solarenergie – so die Stichworte, die fallen, wird in der Branche über die Möglichkeiten für einen umweltfreundlicheren Flugzeugantrieb gesprochen. Eurocontrol hat in ihrem Papier für ein hypothetisches Szenario – ein Großraumflugzeug, das von Paris nach Singapur fliegt – analysiert, wie viel Zeit, Energie und Kosten anfallen würden, diesen Flug mit Hilfe der diversen Technologien durchzuführen. Das Ergebnis ist niederschmetternd: „Die Antwort lautet in jedem Fall, dass wir leider noch weit davon entfernt sind, eine dieser Technologien in den nächsten Jahrzehnten für ein Großflugzeug nutzen zu können.“

„Kolossale Mengen an Strom“

Würde beispielsweise ein Großraumflieger mit einer Batterie im heutigen Leistungsspektrum ausgestattet, wäre diese so schwer, dass der Flieger nicht mehr abheben könnte. Abheben würde eine Maschine, die mit einem Wasserstofftank unterwegs ist, zwar, allerdings gibt es laut Eurocontrol derzeit noch keine Tanks in der benötigten Größe und auch eine Infrastruktur für den Einsatz von Wasserstoff in der Luftfahrtbranche ist noch in weiter Ferne. Im Übrigen würde ein mit Wasserstoff betriebener Flieger „signifikant“ für Kondensstreifen sorgen, die aus Klimaschutzgründen ebenfalls kritisch beäugt werden. Würde ein Großraumflieger Airbus A380, der derzeit vermehrt wieder im Einsatz ist, mit genügend Solarmodulen ausgerüstet, um darüber die benötigte Energie zu generieren, müsste man das gesamte Flugzeug mit Paneelen bedecken – und außerdem noch eine Art Schweif mit mindestens 7,4 km Länge voll Solarmodulen anhängen, was, so Eurocontrol, die unpraktischste aller Lösungen sei.

All diesen schlechten oder sehr schlechten Lösungsansätzen gemein ist, dass sie auch noch „kolossale Mengen an Strom“ benötigen. Um den gesamten Langstreckenverkehr der 27 EU-Staaten plus Großbritannien bis 2050 zu dekarbonisieren, würde der Luftverkehr für seinen Strombedarf eine Fläche von 24 km bis 35 km im Quadrat an Solarzellen oder 2.853 bis 6.374 Offshore-Windturbinen mit 20 MW Leistung benötigen – das entspricht laut Eurocontrol etwa 10% bis 23% des gesamten in der EU erzeugten Stroms.

Viel zu wenig SAF

Spätestens nach diesen Berechnungen ist klar, dass die Luftfahrt zumindest für die Langstreckenflüge über 3.000 km, die in Europa weniger als 10% der Flugverbindungen ausmachen, aber für mehr als 50% der Emissionen stehen, einen Plan B braucht. Den hat sie und dieser setzt auf den Einsatz von Sustainable Aviation Fuel (SAF). Nachhaltig erzeugtes Flugbenzin kann in die Tanks der heutigen Flugzeuge gefüllt werden, so dass nicht erst neue Flieger dafür entwickelt werden müssen, was ebenfalls Jahre, wenn nicht gar Jahrzehnte dauert.

Das Problem: Noch ist SAF weltweit eher in homöopathischen Mengen vorhanden. „Würden wir alles in der Welt vorhandene SAF aufkaufen, würde das bei uns für zwei Wochen reichen“, rechnete Caroline Drischel, bei der Lufthansa Gruppe die Verantwortliche für den Bereich Corporate Responsibility, kürzlich im Gespräch der Börsen-Zeitung vor.

Die Luftfahrtbranche fordert deshalb mehr Unterstützung aus der Politik, zumal die nachhaltig produzierten Treibstoffe derzeit noch mindestens doppelt so teuer sind wie herkömmliches Kerosin. Allerdings ist auch bei der Herstellung von SAF der Energiebedarf groß und nur wenn grüner Strom eingesetzt wird, sorgt das neue Flugbenzin auch für den erhofften positiven Effekt auf die Emissionsbilanz.

Allen ungeklärten Problemen zum Trotz hat sich die weltweite Airline-Industrie bei SAF viel vorgenommen. 2022 hat sich die SAF-Produktion weltweit auf 300 Mill. Liter verdreifacht, schon 2028 sollen es 69 Mrd. Liter nachhaltige Treibstoffe inklusive SAF werden, so die Prognose des Luftfahrtverbands IATA. Zur Erhöhung des SAF-Angebots und der Nutzung sowie zur Notwendigkeit, über eine Erneuerung der Flugzeugflotten die Dekarbonisierung voranzutreiben, soll es übrigens im nächsten Think Paper von Eurocontrol gehen – die Branche kann gespannt sein.

Im Falle der Langstreckenflüge, auf denen mit Abstand am meisten CO2 ausgestoßen wird, sei auf dem Weg zur Klimaneutralität eine Technologie, die ein echter Gamechanger sein könnte, noch meilenweit entfernt, so das Fazit der Luftfahrtbehörde Eurocontrol in ihrem jüngsten "Think Paper".

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