Riesige Kaskadeneffekte bei Naturkatastrophen nur noch schwer beherrschbar
Ungeahnte Schadenlast
Laut Swiss-Re-Studie belasten Waldbrände und Hitzewellen Wirtschaft stärker als erwartet
tl Frankfurt
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In der neuesten, am 12. Juni erschienenen Ausgabe des Sonar-Berichts präsentiert der weltweit zweitgrößte Rückversicherer 16 neuartige Risiken, erläutert ihre Auswirkungen auf die Assekuranz und die Gesellschaft und ordnet ihre Relevanz für die kurz-, mittel- und langfristige Zukunft ein.
Immer größere Schäden
Immer mehr Naturkatastrophen führen zu immer größeren Schäden. Dabei geht es aber nicht nur um direkte Schäden wie zerstörte Gebäude und Wälder durch Waldbrände, sondern auch um Schadenketten. Solche Kaskadeneffekte bei Waldbränden zum Beispiel in Kalifornien könnten zum Beispiel durch Rauch verunreinigte Wasserquellen sein. Sie müssen dann mit großem Aufwand gereinigt werden, um wieder als Trinkwasser nutzbar zu sein. „Dieser Wechselwirkung hat man bisher zu wenig Beachtung geschenkt“, sagte Christoph Nabholz, Chief Research & Sustainability Officer bei Swiss Re, im Gespräch mit der Börsen-Zeitung. Außerdem könne ein baumloser Boden zukünftiges (Regen-) Wasser nicht mehr absorbieren, es komme zur Erosion und zu Erdrutschen.
Bei Hitzewellen wie in Indien mit mehr als 50 Grad im Schatten brechen die Energienetze zusammen, sodass zum Beispiel Krankenhäuser keinen Strom mehr erhalten und ihre Notstromgeneratoren anwerfen müssen. „Aber selbst die können bei so hohen Temperaturen nicht mehr einwandfrei funktionieren. In der Folge können die Patienten nicht mehr angemessen versorgt werden, was letztlich zu einer erhöhten Sterblichkeit führen könnte“, so Nabholz.
Überflutungen wie in Italien und jetzt in Deutschland verursachen große Schäden zum Beispiel bei Bahn und Straßen. „Das führt zu enormen ökonomischen Schäden durch Kaskadeneffekte entlang der Lieferketten.“ Dabei stellt sich schnell die Frage der Grenzen der Versicherbarkeit. Zu hinterfragen sei allerdings, so Nabholz, warum Gebäude überhaupt in gefährdeten Gebieten errichtet wurden.
Das größte Problem ist für den Swiss-Re-Chief-Researcher allerdings, dass viele Menschen keine Versicherung abgeschlossen haben. „Ein Großteil der Schäden durch Naturkatastrophen ist nicht versichert. Da müssen wir eingreifen.“ Häufig würden Risiken nicht verstanden, „möglicherweise auch, weil nicht transparent gemacht wurde, wie groß diese Risiken für den Einzelnen sind und vor allem, dass sich diese Risiken auch durch den Klimawandel deutlich vergrößert haben“. Dazu diene der Sonar-Bericht der Swiss Re selbst als auch die anschließende Diskussion darüber mit den Stakeholdern wie anderen Versicherern, aber auch staatlichen Stellen.
Der Einzelne muss entscheiden
Der einzelne Bürger wiederum müsse entscheiden, wie er in seinen Risikoschutz investiert. „Eine Versicherung ist nicht der einzige Weg zur Risikoabdeckung. Hauseigentümer sind auch selbst gefordert, ihre Häuser beispielsweise gegen Überflutungen besser zu schützen und entsprechend zu investieren. Sie können zum Beispiel auch eine Mauer errichten.“ Grundsätzlich gehe es um eine risikoadäquate Bauweise und zuvorderst um die Frage, wo gebaut werden sollte und wo nicht.
Als zweites Hauptrisiko nennt der neue Sonar-Bericht der Swiss Re die Unterfinanzierung des Gesundheitswesens. Der Risikoexperte verweist dabei insbesondere auf den Abfluss von Kompetenzen infolge der Covid-Pandemie. „Das hat nicht nur mit der Finanzierung zu tun, sondern vielmehr mit der Ausgestaltung der Arbeitsplätze.“ So seien viele britische Ärzte in den vergangenen Jahren ins Ausland abgewandert, wo sie höhere Löhne, eine bessere Infrastruktur und bessere Arbeitsbedingungen vorfanden.
Die Probleme im Gesundheitswesen werden sich in den kommenden zehn Jahren noch verschärfen, wenn die Babyboomer in Rente gehen. „Es müssen sowohl Ärzte als auch Pflegepersonal ersetzt werden.“ Angesichts des Fachkräftemangels in den Spitälern ist die Verstärkung der häuslichen Pflege und der breite Einsatz künstlicher Intelligenz (KI) geboten. „Wir müssen nicht unbedingt mehr finanzieren, sondern schlauer“, fordert Nabholz. „Wir haben Bedenken, dass die heutige Infrastruktur mit der Personalknappheit die nächste Krise bewältigen kann.“
KI könne im Gesundheitswesen einen wertvollen Beitrag leisten. „Die Diagnose muss aber immer noch der Arzt erstellen.“ Noch stärker könne KI die Finanzverwaltung entlasten. „Der Einsatz von KI in der Zahlungsabwicklung birgt aber Risiken, zum Beispiel, wenn Zahlungen von fehlerhafter KI autonom verweigert werden.“
Höhere Sterblichkeit
Der Bericht warnt vor den Folgen eines geschwächten Gesundheitswesens. Es könne zu einer höheren Morbidität (Erkrankungshäufigkeit) und Mortalität (Sterblichkeit) kommen, was wiederum durch mehr krankheitsbedingte Abwesenheiten und Personalmangel die Wirtschaft belasten würde. „Die Unterfinanzierung des Gesundheitswesens und deren Auswirkungen sind in Ländern aller Einkommensniveaus besorgniserregend“, heißt es im Sonar-Bericht.
Wirtschaft und Gesellschaft werden durch immer neue und größere Risiken bedroht. Diese frühzeitig aufzudecken, ist zentrales Anliegen der Sonar-Berichte der Swiss Re. Hauptrisiken sind für ihre Experten Kaskadeneffekte durch Naturkatastrophen und die Unterfinanzierung des Gesundheitswesens.