Kreditwürdig

Negative Überraschungen für Corporates durch ESG-Risiken

Telekomnetzbetreiber gelten als Unternehmen, die nur in geringem Maße Umweltrisiken ausgesetzt sind. Dass es aber auch anders laufen kann, zeigt ein ESG-Fall der AT&T und Verizon betrifft.

Negative Überraschungen für Corporates durch ESG-Risiken

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Negative Überraschungen für Corporates durch ESG-Risiken

Von Christian Albrecht und Tobias Gruber *)

Telekomnetzbetreiber gelten grundsätzlich mit Blick auf ihr Geschäftsmodell als Unternehmen, die nur in geringem Maße Umweltrisiken ausgesetzt sind. Am 9. Juli 2023 ließ aber ein Artikel des „Wallstreet Jour-nal“ aufhorchen und bringt damit die US-Telekomunternehmen AT&T und Verizon in die Bredouille. In dem investigativen Artikel hat das „Wallstreet Journal“ über mögliche Gesundheits- und Umweltrisiken berichtet, die von bleiummantelten Altkabeln der US-Telekomunternehmen, allen voran AT&T und Verizon, hervorgerufen werden. Die Bleiummantelung diente früher dem Korrosionsschutz, um die inneren Kupferdrähte der Leitungen zu schützen. Die Kabel waren damit in den 1940er und 1950er Jahren „State of the Art“ und wurden von AT&Ts und Verizons Vorgängerunternehmen, der im Jahr 1877 gegründeten Bell Telephone Company, im Boden, in Seen und an Masten verlegt. Das Problem ist, dass Blei sich im Laufe der Zeit abbaut und in Wasser, Boden und Luft freigesetzt wird. Obwohl US-Telekomunternehmen seit 1964 keine bleihaltigen Kabel mehr verlegen, werden alte Kabel häufig an Ort und Stelle gelassen, wenn sie durch moderne Glasfaserkabel ersetzt werden.

Während der Aufschrei aus der Politik nicht lange auf sich warten ließ, reagierte der europäische Markt für Unternehmensanleihen mit einem Time Lag auf den Bericht. Erst zehn Tage nach Erscheinen des Artikels schlug sich die Verunsicherung aus möglichen Umweltrisiken mit sichtlichen Ausweitungen der Risikoprämien von AT&T- und Verizon-Bonds nieder. Derzeit notieren die Risikoprämien von Verizon bis zu 20, die von AT&T-Anleihen bis zu 30 Basispunkte über dem Stand vom
9. Juli.

Verunsicherung am Markt

Auch wenn beide Telekomunternehmen betonen, dass bleiummantelte Altkabel nur einen kleinen Teil ihres jeweiligen Kabelnetzes beträfen, bleibt die Verunsicherung am Markt, weil sich die daraus ergebenden Umwelt- und Gesundheitsrisiken und damit die möglichen finanziellen Belastungen nur schwer abschätzen lassen. Finanzielle Risiken in diesem Zusammenhang bestehen auf zwei Ebenen: (1) Beseitigung und Entsorgung der Bleiummantelung sowie (2) durch mögliche Sammelklagen von Personen oder Grundstückseigentümern, die eine Bleibelastung durch die von den Telekomnetzbetreibern verwendeten Kabel nachweisen können. Insbesondere für die Unberechenbarkeit der Risiken aus Sammelklagen in den USA gibt es zahlreiche Beispiele. Nach Auffassung der Ratingagentur Moody’s könnten die Kosten aus diesem Vorfall im schlimmsten Fall sehr signifikant sein, wobei AT&T in diesem Zusammenhang als am stärksten exponiert von der Agentur eingestuft wird. Beide Telekomnetzbetreiber verfügen nach Ansicht von Moody’s aber über eine ausreichende finanzielle Flexibilität, um die Kosten über einen längeren Zeitraum aufzufangen, ohne dabei die Bonitätsprofile kurzfristig zu gefährden. Belastungen könnten sich allerdings dadurch ergeben, dass die Investitionsvorhaben beim strategisch wichtigen Netzausbau sowie die avisierten Entschuldungsziele durch hohe finanzielle Aufwendungen zur Entsorgung der Bleikabel verzögert werden. Das könnte Auswirkungen auf die Bonität haben. Mit Unsicherheiten tut sich der Markt generell immer schwer. Vor diesem Hintergrund dürfte die Volatilität bei den Bonds der beiden US-amerikanischen Telekom-Emittenten gegenüber ihren europäischen Peers vorerst erhöht bleiben.

Der beschriebene Fall ist nur ein Beispiel für eine Vielzahl von ESG-Risiken, die für Unternehmen plötzlich relevant werden können und mit denen sie sich auseinandersetzen müssen. Wie so viele Nachhaltigkeitsthemen sind auch ESG-Risiken nicht mit der einen, streng abzugrenzenden Definition versehen. Vielmehr können sie in vielfältiger Form vorliegen und entstehen, wenn Individuen, die Gesellschaft oder die Umwelt durch die Art und Weise, wie Güter und Dienstleistungen produziert und vertrieben werden, zu Schaden kommen. Sie können ebenso auftreten, wenn durch ESG-bezogene Ereignisse (z.B. physische Störungen, Änderungen bei Gesetzen und im Verbraucherverhalten) die Geschäftsgrundlage des Emittenten beeinträchtigt wird. Die Tatsache, dass es die eine allgemeingültige Definition nicht gibt, sollte jedoch nicht den Eindruck vermitteln, dass ESG-Risiken mangelnde Relevanz bei der Betrachtung von Emittenten haben, wie das AT&T/Verizon-Beispiel zeigt.

Physisch und transitorisch

Zumindest im Hinblick auf Klimarisiken gibt es eine klare Abgrenzung: Hier wird zwischen physischen und transitorischen Risiken unterschieden. Unter physischen Risiken werden negative wirtschaftliche Auswir-kungen verstanden, die sich auf den Klimawandel zurückführen lassen – in allmählich fortschreitender Intensität (u.a. Veränderung von Luft- und Meeresströmungen) oder in Form von Extremwetterereignissen (u.a. Dürre, Flut und Hitze). Transitorische Risiken beziehen sich auf negative Auswirkungen, die aus der Einführung von klimapolitischen Maßnahmen (Regulatorik) oder generell aus der Umstellung auf eine kohlenstoffarme Wirtschaft resultieren. Zwar werden diese Transformationsaufwendungen als belastend für die Unternehmen eingestuft. Grundsätzlich dominiert aber die Sichtweise, dass diese kurzfristigen Kosten nur einen Bruchteil des Schadens ausmachen dürften, der aus einem physischen Risiko (z.B. Extremwetterereignis zerstört Produktionsstätte) resultieren kann.

Um ESG-Risiken einordnen zu können, stellt das Geschäftsmodell eines Unternehmens einen sinnvollen Ausgangspunkt dar. Hier sollten Fragestellungen wie „Ist das Geschäftsmodell von internationalen Megatrends betroffen?“, „Welche Regulatorik wirkt (aufgrund dieser Trends) auf das Unternehmen ein?“ oder „Wird das Management den skizzierten Problemen gerecht?“ beantwortet werden. Daran anknüpfend ist zu klären, in welcher Form sich potenziell bestehende ESG-Risiken materialisieren können. So droht zum Beispiel ein Verlust von Marktanteilen, wenn auf ESG-bezogene veränderte Rahmenbedingungen zu spät reagiert wird. Zudem könnte sich ein steigender Investitionsbedarf ergeben, um neueste Umwelt- und Sozialstandards oder auch veränderte Regulatorik zu erfüllen. Sogenannte „Stranded Assets“ belasten ein Unternehmen ebenfalls potenziell, sprich Bilanzpositionen verlieren aufgrund von Klimarisiken massiv oder komplett an Wert. Darüber hinaus können angesichts steigender ESG-Regulatorik und einer stärker sensibilisierten Öffentlichkeit Rechts- und Reputationsrisiken zunehmen. Beispiele für sich materialisierende ESG-Risiken gibt es vielfältige. Der Fall von AT&T und Verizon zeigt, wie plötzlich diese auftreten und welche Unsicherheiten damit einhergehen können: Die Negativschlagzeilen führen zu Abgabedruck bei Investoren.

*) Christian Albrecht und Tobias Gruber sind Senior-Analysten im Fixed-Income-Research der DZ Bank.