LeitartikelESG-Kriterien

Ohne Ethik ist Nachhaltigkeit inhaltsleer

Wirtschaftliche Prinzipien, die heute als „nachhaltig“ bezeichnet werden, sind nicht neu. Die Chance der Debatte liegt vielmehr in der Ethik.

Ohne Ethik ist Nachhaltigkeit inhaltsleer

Nachhaltigkeit

Ohne Ethik keine Substanz

Wirtschaftliche Prinzipien, die heute als „nachhaltig“ bezeichnet werden, sind nicht neu. Die Chance der Debatte liegt vielmehr in der Ethik.

Von Jan Schrader

An wohlklingenden Worten zum nachhaltigen Finanzwesen mangelt es nicht. Wahlweise ist von einer “Transformation” der Wirtschaft als “wichtigste Herausforderung in unserer Zeit” die Rede, von einer neuen “Grundvoraussetzung” statt nur “Randerscheinung”, von einem “essenziellen Baustein” im Kampf gegen den Klimawandel, von einem “ganzheitlichen Ansatz” zur Integration diverser Kriterien, wie Nachhaltigkeitsverantwortliche der Finanzbranche festhalten. Was genau gemeint ist, bleibt oft aber im Ungefähren. Ist Nachhaltigkeit ein bloßes wirtschaftliches Kriterium? So wie ein Förster nicht mehr Holz schlagen sollte, als nachwächst, müssen sich auch Unternehmen zukunftsfähig aufstellen, klar. Oder sind vielmehr auch normative Werte gemeint, also der Apell an Unternehmen und Geldgeber, ethische Standards einzuhalten? Die Mehrdeutigkeit des Begriffs ist ein Problem. Doch bei genauem Hinsehen zeigt sich, dass die Prinzipien der Nachhaltigkeit ohne Wirtschaftsethik weder neu noch originell sind. Erst durch Ethik gewinnt der Begriff an Substanz.

Wirtschaftliche Nachhaltigkeit ist ein offensichtliches Prinzip. Zwar setzen ESG-Kriterien einen neuen Akzent: Der Blick fällt dann etwa auf die Governance von Unternehmen, auf klimabezogene Risiken oder auf die Reputation. Das Handwerk der Finanzbranche als solches ändert sich dadurch aber nicht. Geldgeber mussten schon immer abklopfen, ob Geschäftsmodelle wirtschaftlich nachhaltig sind. Nur verwenden sie heute den Begriff viel häufiger. Das gilt auch für den Begriff der Transformation. Eine politisch gewollte Dekarbonisierung einer Wirtschaft ist sicher ein langer und umfassender Prozess, der Unternehmen und Geldgeber fordert. Doch niemals seit Beginn der Industrialisierung gab es eine Phase ohne Wandel. Transformation war schon immer.

Es kommt also auch auf ethische Fragen an. Wofür sind Unternehmen gut? Selbstredend erfüllen sie in einer Marktwirtschaft ihren Zweck, indem sie nach Gewinnen streben und aus diesem Grund Dienstleistungen und Waren bereitstellen, die sich im Wettbewerb bewähren müssen. Ethik kommt aber ins Spiel, wenn Unternehmen durch ihre Geschäfte Schaden anrichten. Wichtig ist die Frage, wo einem Geschäftsmodell legitime, nämlich ethisch begründbare Grenzen gesetzt sind.

Auch der Ruf nach Ethik ist nicht neu. Bekanntlich befasste sich Adam Smith, Vordenker der Marktwirtschaft, im 18. Jahrhundert als Moralphilosoph mit dem ethischen Empfinden von Menschen, die Mitgefühl aufbauen und sich in die Rolle eines unparteiischen Beobachters hineinversetzen können. Auch Smith hatte also keine herzlosen Geschäftsleute vor Augen, die allein das eigene Wohl maximieren. Zum vollständigen Bild gehört aber auch, dass damalige Unternehmen nicht selten noch mit Sklavenhandel und der Ausbeutung von Kolonien ihr Geld verdienten. Ethischer Fortschritt kommt eben nicht von allein, sondern muss auch erstritten werden.

Vieles ist seit Smith natürlich bereits erreicht worden. Heute diskutieren Unternehmen etwa über Diversität, Inklusion und sensible Sprache. Doch die Debatte ist nie vorbei. Die Gefahr ausbeuterischer Arbeitsbedingungen in den fernen Gliedern von Zuliefererfirmen etwa rückt erst jetzt richtig auf die Agenda, das Leid von Tieren in der industriellen Haltung findet bis heute zu wenig Beachtung. Geschäfte in autoritär geführten Staaten, im Zeitalter der Globalisierung ein normaler Vorgang, stellt die Unternehmen nicht nur im Risikomanagement vor schwierige Entscheidungen. Nachhaltigkeit umfasst mehr als Klimawandel.

Kritiker monieren, der Ruf nach ethischen Prinzipien verkörpere eine politische Agenda, womit die Aufgabe von Unternehmen überdehnt werde. Diese Kritik greift einen wichtigen Punkt auf: Ohne ihre Kundschaft kann die Branche nicht losrennen. Ein Unternehmen ist keine NGO, die nach Gutdünken neue Themen auf die Agenda setzen kann, und manche Aktivisten fordern tatsächlich zu viel. Aber jede Firma ist Teil der Gesellschaft und sollte aktiv über ihre Rolle sprechen. Ohne Blick auf ethische Prinzipien ist eine Debatte über Nachhaltigkeit inhaltsleer.

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