Notiert inMoskau

Tod und fast ewiges Leben

Ein gut gemeinter Wunsch für Putin anlässlich seiner Inauguration vor zwei Wochen hat für einige Irritierung gesorgt. Der Kremlchef wird´s überleben – wenn er noch lebt.

Tod und fast ewiges Leben

Von Eduard Steiner

Notiert in Moskau

Unter den beobachtenden Kennern des russischen Establishments und der politischen Prozesse gehört Walerij Solowej allemal zu den unterhaltsamsten und originellsten. Manchen gilt der ehemalige Professor der MGIMO genannten Moskauer Kaderschmiede für Diplomaten aufgrund seines Insiderwissens als Sprachrohr des Geheimdienstes. Und als solches ist er es, der auf Youtube und in anderen Informationskanälen die Erzählung aufrechterhält, dass Kremlchef Wladimir Putin schon seit einiger Zeit tot sei, im Kühlhaus liege und von einem Doppelgänger sehr authentisch vertreten werde. Am 26. Oktober 2023 um 20.42 Uhr sei er gestorben, hatte als Erstes der Telegram-Kanal General SWR, also ein angeblicher General des Auslandsgeheimdienstes SWR, berichtet. Solowej verleiht mit seiner Erzählung diesem Kanal immer wieder Popularität.

Kürzlich ließ Solowej, der wie viele Nonkonformisten unter anderem aufgrund seiner Verurteilung des Angriffskrieges gegen die Ukraine mit der Etikettierung „ausländischer Agent“ diskreditiert wird, mit einer bemerkenswerten Definition aufhorchen. Russland sei eine Mischung aus Kafka und Horrorfilm, sagte er zur Ernüchterung seiner Hörer und Seher. Zumindest mit Kafka greift er dabei auf eine alte sowjetische Selbstverspottung zurück. Sie fußt auf der Ähnlichkeit des russischen Wortes für Märchen (skaska) mit dem Namen Kafka.

Etwas kafkaesk wurde es dann tatsächlich beim Gottesdienst nach der Inauguration des im Amt bestätigten Putin. Ebendort äußerte Patriarch Kyrill, Oberhaupt der russisch-orthodoxen Kirche, einen ziemlich überraschenden Wunsch an Putin. „Der Segen Gottes und der Schutz der Himmelskönigin möge Ihnen alle Tage Ihres Lebens erhalten bleiben, bis zum Ende der Zeiten, wie wir sagen. Und etwas kühn möchte ich sagen: Gott gebe, dass das Ende der Zeiten mit dem Ende Ihrer Amtszeit zusammenfällt.“

Putin selbst sei etwas irritiert gewesen, berichteten russische Medien. Das könnte auch daran gelegen haben, dass das Wort „Zeiten“ in diesem Zusammenhang unterschiedlich aufgefasst werden kann. Es könnte „Jahrhundert“ bedeuten, dann hätte Kyrill gewünscht, dass Putin im Jahr 2100 mit 148 Jahren abtritt. Es könnte aber auch – was am sinnvollsten wäre – die „individuelle Lebenszeit“ bedeuten, was hieße, dass er so lange regieren soll, wie er lebt.

Blöd ist, wenn es mit Kyrill durchging und er in Anlehnung an die Bibel tatsächlich das „Ende der Zeiten“ meinte und damit Armageddon. Einmal abgesehen davon, dass dies auf Putins Atomkriegsdrohungen anspielen könnte, wie Kommentatoren meinen, könnte sich auch die Deutung aufdrängen, dass Putin nach der Logik der biblischen Apokalypse der Antichrist wäre, der vor der Wiederkehr Christi als Letzter die Macht habe. Kyrills Presseabteilung hat auf ihre Art reagiert – und den umstrittenen Teil umgehend aus der online gestellten Rede gestrichen.

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