FINANZMARKTKALENDER - NÄCHSTE WOCHE

Karlsruhe auf fremdem Terrain

Mündliche Verhandlung zur Rolle der EZB in der Euro-Rettungspolitik - Disput zwischen Weidmann und Asmussen erwartet

Karlsruhe auf fremdem Terrain

Von Stephan Lorz, FrankfurtWieder schauen in der kommenden Woche alle Augen nach Karlsruhe, wo das Bundesverfassungsgericht eine mündliche Verhandlung zur Euro-Rettungspolitik angesetzt hat. Dabei wird es weitgehend um die Rolle der Europäischen Zentralbank (EZB) gehen. Es ist das Hauptsacheverfahren zur bereits ergangenen Entscheidung zur Verfassungsmäßigkeit des Euro-Stabilisierungsmechanismus ESM und des Fiskalpakts vom September 2012.Zwar ist nicht damit zu rechnen, dass die Richter die EZB-Maßnahmen (Anleihekäufe via SMP und OMT-Programme, sowie die Notfallliquidität ELA in den Krisenländern) rundweg für verfassungswidrig erklären und die Bundesregierung zu entsprechendem politischen Verhalten auffordern werden. Doch schon deutlichere Vorgaben etwa für das Votum der deutschen Repräsentanten im ESM-Entscheidungsgremium oder eine unterschwellige Kritik an der EZB-Politik dürften die Rettungspolitik erschweren und die öffentliche Meinung negativ beeinflussen.Als die Richter im September zu entscheiden hatten, ob die Gesetze zum ESM und zum Fiskalpakt verfassungswidrig sind, hatten Beobachter noch mit Schlimmerem gerechnet, falls Karlsruhe der Politik ein Ratifikationsverbot auferlegen sollte. Man erwartete erratische Marktbewegungen; einige Ökonomen sagten dann sogar den Zerfall der Eurozone voraus. Letztendlich aber hatten die Richter nur eine Klarstellung zur Haftungsobergrenze Deutschlands verlangt und Auflagen zur stärkeren Einbindung des Bundestags in die Euro-Rettung formuliert. Damit wurde eine möglicherweise gefährliche Hintertür im ESM-Vertrag geschlossen und die demokratische Vertretung der deutschen Interessen auf eine breitere Grundlage gestellt – die bisherigen Mechanismen der Euro-Rettung wurden nicht ausgehebelt.Im Falle der jetzt anstehenden Verhandlung über die Rolle der EZB begibt sich das Bundesverfassungsgericht aber auf fremdes Terrain. Eigentlich ist die EZB nämlich ausschließlich der Kontrolle des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) unterworfen. Im Gegensatz zum ESM, wo Karlsruhe direkten Einfluss auf das Abstimmungsverhalten der deutschen Bundesregierung nehmen kann, ist ihm das im Falle der EZB eigentlich untersagt. Denn die EZB ist “unabhängig”, frei wie die Deutsche Bundesbank zu D-Mark-Zeiten. Gerade eine selbst auf seine Unabhängigkeit pochende Einrichtung wie das Bundesverfassungsgericht sollte das besonders schätzen.Was kann also die mündliche Verhandlung bringen? Zunächst eine Klarstellung, was “Unabhängigkeit” bedeutet für eine Notenbank. Immerhin ist diese im Gegenzug einem klaren Mandat unterworfen: der Wahrung der Preisstabilität. Würde sich nun ein nationales Verfassungsgericht anmaßen, über ökonomische Einschätzungen bezüglich etwaiger Störungen im geldpolitischen Transmissionsmechanismus zu urteilen, wäre das ein Affront gegen die fachliche Expertise und die Unabhängigkeit der EZB.Allerdings hat die EZB ihre OMT-Anleihekaufentscheidung daran gebunden, dass sich Krisenländer zuvor den ESM-Regeln unterwerfen müssen. Damit liefert sie sich nationalen Einflüssen selbst aus. Karlsruhe kann durch entsprechende Auflagen an die Bundesregierung im Hinblick auf ein restriktiveres Abstimmungsverhalten im ESM damit auch die EZB-Politik ausbremsen. Die Notenbank würde auf ihr zentrales Mandat – die Wahrung der Preisstabilität – zurückgeworfen. Das wäre ganz im Sinne der Kläger – und auch im Sinne von Bundesbankchef Jens Weidmann, der sich am Dienstag mit EZB-Direktoriumsmitglied Jörg Asmussen einen offenen Disput liefern dürfte.Anders sieht die Lage aus, wenn sich die Richter der Target-2-Salden und der Notfallliquiditäten ELA annehmen, die nach Lesart etwa von Ifo-Chef Hans-Werner Sinn eine tickende Zeitbombe darstellen. Auf diesem Feld würden sie sich, weil diese Mechanismen zentraler Bestandteil des Eurosystems sind, ganz auf das Gebiet des EuGH begeben. Ob die Karlsruher diese Frage den Europarichtern dann auch tatsächlich vorlegen werden, was sie bisher noch nie getan haben, ist fraglich. Denn es wäre damit zu rechen, dass die Luxemburger das Verhalten der EZB in allen Facetten für eindeutig vertragskonform beurteilen.Insofern dürfte die in einigen Wochen oder Monaten anstehende Entscheidung – wieder einmal – zweischneidig sein: Die weitere Integration der Eurozone wird nicht aufgehalten, die Bundesregierung aber ihrer Pflichten als Wahrer deutscher Interessen ermahnt, und die Konditionen werden noch etwas strikter formuliert, was den weiteren Souveränitätsverzicht und die Akzeptanz potenzieller Finanzrisiken angeht. Das dürfte die EZB in ihrem Rettungsdrang etwas bremsen. Ganz im Sinne eines Maastricht-2.0-Modells, das die Souveränität und Eigenverantwortung der Nationalstaaten ins Zentrum stellt und Hilfen an klaren Konditionen und Wohlverhalten knüpft.