Abgefedert ins Ziel
Von Anna-Maria BorseIm August und September brauchten Anleger Nerven wie Drahtseile: Die Volatilität an den Aktienmärkten, gemessen an Volatilitätsindizes wie dem VDax New oder dem US-amerikanischen VIX, schoss in die Höhe. Da fragten sich viele Investoren, ob es nicht auch etwas gemächlicher geht. ETF-Emittenten reagieren mit neuen Angeboten – mal heißen sie Minimum- oder Low-Volatility-, mal Low-Variance-ETF. “Bei unseren im September auf den Markt gebrachten Low-Volatility-ETF ist die Resonanz sehr positiv”, berichtet Dag Rodewald, der bei der UBS den ETF-Vertrieb in Deutschland und Österreich leitet. Grund sei der Wunsch vieler Investoren, die Kursschwankungen und die damit verbundenen Risiken gering zu halten und gleichzeitig eine Outperformance gegenüber klassischen, nach Marktkapitalisierung gewichteten Indizes zu erzielen. Steigerung des MarktanteilsMinimum-Volatility-ETF gehören zur Kategorie Smart-Beta- oder Strategic-Beta-Indexfonds, die im Moment stark im Aufwind ist. Morningstar zufolge sind zwischen Juli 2014 und Juni 2015 in Europa netto umgerechnet 7,3 Mrd. Dollar in Strategic-Beta-ETF geflossen. Börsengehandelte Strategic-Beta-Produkte konnten ihren Marktanteil an passiven Produkten insgesamt von 5,7 % auf 6,3 % ausbauen. Mit Abstand am verbreitetsten sind dabei Dividendenstrategien, die Morningstar zufolge 53,2 % von Strategic Beta per Ende Juni ausmachten, auf dem zweiten Platz stehen aber bereits Minimum-Volatility-ETF mit 13,1 %. Das Konzept ist alles andere als neu. Grundidee ist die sogenannte Volatilitätsanomalie (“Low Volatility Anomality”), die 1969 von den beiden Amerikanern Robert Haugen und James Hines formuliert wurde: Diese zeigten, dass Aktien mit niedriger Volatilität einen besseren risikoadjustierten Ertrag erzielten als ihre risikoreicheren Pendants. Zahlreiche spätere Studien bestätigten die These. Die Angebotspalette hierzulande ist bislang noch überschaubar: An der Deutschen Börse sind aktuell neun Indexfonds gelistet, die sich Minimum-oder Low-Volatility-ETF nennen, dazu kommen vier Minimum-Variance-Produkte der NataxisTochter Ossiam, die letztlich dasselbe Ziel verfolgen (Volatilität wird berechnet als Quadratwurzel aus der Varianz). Von Lyxor (LU1218122742) und Deutsche Asset & Wealth Management gibt es daneben noch jeweils einen Low-Beta-ETF. Der Ansatz ist etwa anders, hier werden Aktien mit niedrigem Beta höher gewichtet, Ziel ist aber ebenfalls ein Portfolio, das weniger schwankt.iShares hat die Nase vorneGrößter Anbieter von Minimum- oder Low-Volatility-ETF mit vier Produkten und mit Abstand den höchsten Assets under Management ist iShares, die ETF-Sparte von BlackRock. Ossiam bietet ebenfalls vier Produkte an, dazu kommen State Street Global Advisors/SPDR (IE00B802KR88, IE00BFTWP510), Amundi (FR0010713768) und die UBS (IE00BX7RQY03, LU1215454460). Entscheidend für die Auswahl eines Minimum-Volatility-ETF sind letztlich drei Komponenten: der Basisindex, der Minimum-Volatility-Index und der Minimum-Volatility-ETF. Basisindizes der in Deutschland erhältlichen ETF sind überwiegend MSCI-Indizes für unterschiedliche Weltregionen, außerdem der Euro Stoxx, der S & P 500, der Stoxx Europe 600, der Emerging-Markets-Index S & P/IFCI und der S & P Global 1200. Bei den Volatilitätsindizes gibt es unterschiedliche Ansätze, zum Teil wird auf die historische Volatilität geschaut, meist bezogen auf die vergangenen zwölf Monate, zum Teil auf prognostizierte Volatilitäten. Berücksichtigt wird oft auch die Korrelation einzelner Werte. Dazu gibt es in einigen Fällen Beschränkungen, die sicherstellen sollen, dass der Minimum-Volatility-Index ausreichend diversifiziert ist und seine Merkmale denen des Basisindex entsprechen. Damit sollen die Übergewichtung einzelner Sektoren oder Länder und letztlich Klumpenrisiken vermieden werden. Bei der Auswahl des ETF gelten die bekannten Kriterien: Kosten, Größe und Liquidität, die Auswirkungen auf die Geld-Brief-Spanne haben, und Art der Abbildung. Indexfonds sind gegenüber aktiven Strategien zwar extrem billig, einen Aufschlag gegenüber “normalen” Indextrackern, deren Gesamtkostenquote mittlerweile zum Teil bis auf 0,01 % gefallen ist, müssen Anleger dennoch zahlen. Oft ist auch die Differenz zwischen An- und Verkaufskurs höher. iShares bietet mit dem iShares S & P 500 Minimum Volatility, für den die Gesamtkostenquote bei 0,20 % liegt, das günstigste Produkt, vergleichsweise teuer sind die Indexfonds von Ossiam. Nur eine Eintagsfliege?Doch fahren Anleger mit Minimum-Volatility-ETF tatsächlich besser als mit klassischen Produkten? Die Entwicklung der vier iShares-ETF in den vergangenen zwei Jahren ergibt ein eindeutiges Bild: Beim iShares MSCI World, iShares MSCI Europe, iShares S & P 500 und iShares MSCI Emerging Markets schneiden die volatilitätsreduzierten Produkte auf Sicht von einem und von zwei Jahren deutlich besser ab: So kommt der iShares MSCI World auf Ein- und Zweijahressicht zum Beispiel auf 17,76 % und 25,77 %, beim iShares MSCI World Minimum Volatility sind es hingegen 23,45 % und 40,99 %. Beim iShares MSCI Europe stehen 14,21 % und 13,17 % bei der normalen Variante 20,29 % und 34,74 % beim volatilitätsreduzierten Pendant gegenüber.Verallgemeinern lässt sich das aber nicht, entscheidend ist das Timing: “Investoren sollten beachten, dass es Marktphasen geben kann, in denen einzelne Faktoren – wie auch Low Volatility – keine Outperformance gegenüber dem Referenzindex generieren,” erklärt Rodewald. “Low-Volatility- beziehungsweise Low-Beta-ETFs bieten die Chance zu einer überdurchschnittlichen Rendite, das gilt aber nicht für jede Börsenphase”, betont auch Oliver Pfeil, Aktienstratege Passive Deutsche Asset & Wealth Management. Zudem handle es sich auch um ein Aktienmarktinvestment. “Die Schwankungen sind in der Regel niedriger, vom grundsätzlichen Trend kann sich ein solcher ETF aber nicht gänzlich abkoppeln.”Für eine Modeerscheinung hält Rodewald die aktuell hohe Nachfrage durch die Anleger nicht. “Es ist wissenschaftlich bewiesen, dass Investoren durch die Über- oder Untergewichtung einzelner Faktoren die Chance haben, eine Outperformance zu erzielen, oder sie dadurch das Risiko-Ertrags-Profil ihres Portfolios gezielt verbessern können.” Er hält es daher durchaus für denkbar, Low-Volatility-ETF künftig für weitere Regionen beziehungsweise Währungsräume aufzulegen. “Unter den Aktienfaktoren gehört Low Volatility beziehungsweise Low Beta zu den am besten untersuchten Strategien”, meint auch Pfeil. Langzeitstudien zeigten, dass Portfolios mit geringer Volatilität und geringem Beta eine Kombination aus hoher durchschnittlicher Rendite und geringem maximalen Verlust (“drawdown”) böten.