Alcon-Aktionäre brauchen viel Geduld
Von Daniel Zulauf, ZürichMit Alcon steht seit zehn Tagen ein neuer Name im Swiss Market Index (SMI). Der US-Augenheilmittelhersteller mit Sitz in der Schweiz ist nach der Abspaltung von Novartis direkt im hinteren Mittelfeld des Blue-Chip-Barometers gelandet. Mit gut 25 Mrd. sfr Marktkapitalisierung steht der Konzern zurzeit auf Rang 12 der wertvollsten Publikumsgesellschaften in der Schweiz. Damit liegt Alcon vor gestandenen Unternehmen wie dem weltgrößten Uhrenproduzenten Swatch Group (Rang 18), dem im Heimatmarkt führenden Telekommunikationsanbieter Swisscom (13), dem Baustoffkonzern Sika (15) oder dem globalen Marktführer im Aromen- und Riechstoffgeschäft, Givaudan (14). Gewiss, die genannten Unternehmen haben in puncto Branche und Geschäftsmodell herzlich wenig miteinander zu tun. Dennoch lässt sich anhand des Vergleiches aufzeigen, dass sich die Investoren von Alcon außergewöhnlich viel versprechen. Keine RenditeperleGemessen am Jahresumsatz von 7,1 Mrd. Dollar (2018) stünde Alcon in der SMI-Platzierung deutlich hinter dem 12. Rang. Selbst groß gewachsene Mittelständler wie Sika erreichen Erlöse von 8 Mrd. sfr und mehr. Daraus könnten man den Rückschluss ziehen, dass sich Alcon die stolze Marktbewertung eben nicht mit dem Umsatz, sondern mit der Rendite verdient. Doch ein solcher Schluss wäre weit gefehlt. Die Medtech-Firma ist auch keine Renditeperle.Das Jahr 2018 beendete Alcon mit 227 Mill. Dollar Verlust. Natürlich sehen die operativen Zahlen um einiges besser aus. Das Unternehmen hat in den vergangenen Jahren überdurchschnittlich viel investiert, was in Form höherer Abschreibungen und Wertberichtigungen sich nun dämpfend auf das Reinergebnis auswirkt. Doch auch beim Vergleich der operativen Rendite erweist sich das anspruchsvolle, einem scharfen Technologie- und zunehmend Preiswettbewerb ausgesetzte Produktsortiment, bestehend aus Lasergeräten, Linsen und Augenheilmitteln, als dem biederen Mörtel kaum überlegen. Alcon und Sika generieren mit ihren je rund 20 000 Angestellten einen ähnlich hohen Betriebsgewinn (Ebitda) von rund 1,2 Mrd. Dollar.Dass die Börse einer Firma wie Sika dennoch 4 Mrd. bis 5 Mrd. sfr weniger Wert zubilligt als Alcon, ist umso erstaunlicher, als Sika den Aktionären Jahr für Jahr auch ansprechende Dividenden überweist (291 Mill. sfr in diesem Frühjahr). Alcon hofft, im nächsten Jahr 10 % des in der laufenden Rechnungsperiode anfallenden Kerngewinns ausschütten zu können. Analysten erwarten, dass eine solche Ausschüttung nicht mehr als 90 Mill. Dollar betragen wird. Stetige Entwicklung erwartetWorin also liegt das Geheimnis der hohen Alcon-Bewertung, die gemessen am Kurs-Gewinn-Verhältnis unter Verwendung einer UBS-Schätzung mit dem 30-fachen Gewinn im laufenden Jahr ausgesprochen ehrgeizig ist? Der erste Grund ist die scheinbare Kontinuität und Berechenbarkeit des Alcon-Ergebnisses. Die UBS-Analysten rechnen für die nächsten fünf Jahre mit einem steten Anstieg von Umsatz und Gewinn, wobei der Gewinn mit einem von den Bankanalysten geschätzten jährlichen Zuwachs von 13 % deutlich schneller steigen sollte als der Umsatz (2,4 % p. a.).Damit ist auch der zweite Grund für die hohe Bewertung angesprochen. Das Unternehmen gilt als Turnaround-Kandidat. Unter der knapp zehnjährigen Eigentümerschaft von Novartis hat Alcon nicht nur die Innovation vernachlässigt und zu wenig neue Produkte auf den Markt gebracht. Ebenso gravierend wirkte sich aus, dass wichtige Kunden nicht mehr genügend Aufmerksamkeit erhielten. Investitionsgüter, wie sie die Lasergeräte von Alcon zweifellos darstellen, lösen nicht selten erst nach Verkauf den größten Betreuungsaufwand aus. Kommt ein Unternehmen diesem nicht nach, bleibt es bei der nächsten Bestellung außen vor. Die Folgen solcher Versäumnisse zeigen sich oft erst Jahre später. Diese Erfahrung machte auch Novartis, wo man die Probleme von Alcon erst gut fünf Jahre nach der Mehrheitsübernahme (2010) zu erkennen begann.Alcon selbst rechnet damit, die Kernbetriebsmarge in den nächsten fünf Jahren auf 20 % bis 25 % von derzeit knapp 17 % steigern zu können. Nicht nur die UBS-Analysten gehen davon aus, dass dieses Zielband zu hoch gesteckt ist. Nicht wenige Marktbeobachter empfehlen, mit dem Kauf von Alcon-Titeln zu warten, bis die Bewertung einen weniger riskanten Einstieg erlaubt. InnovationsproblemDie Risiken sind in der Tat beträchtlich. Die größten Innovationsschübe in der Augenheilkunden liegen lange zurück. So wurde 1984 die erste faltbare künstliche Linse implantiert, die eine große Verbesserung bei der operativen Entfernung des Grauen Stars zuließ. 1994 brachte Alcon unter dem Namen AcrySoft eine künstliche Linse aus einem silikonähnlichen Material auf den Markt, die sich schnell zum Goldstandard entwickelte, wenn eine vom Grauen Star befallene natürliche Linse einen Ersatz benötigte. Zur Entwicklung der Lasertechnologie tätigte Alcon gegen Ende der 1980er Jahre wichtige Übernahmen. Die Mittel dafür kamen von Nestlé, die Alcon 1977 während der entwicklungspolitisch motivierten Anti-Babymilchpulver-Kampagne zu Diversifikationszwecken für 280 Mill. Dollar erworben hatte.Als Nestlé 2001 ein Viertel der Alcon-Aktien wieder an der New York Stock Exchange notieren ließ, erzielte das Unternehmen mit 2,7 Mrd. Dollar Umsatz einen Betriebsgewinn (Ebitda) von 784 Mill. Dollar. Der seither eingetretene Margenrückgang lässt erkennen, dass die aktuellen Probleme von Alcon nicht allein hausgemachter Natur sind. Einen Hinweis darauf gibt auch der Umstand, dass Alcon seit 20 Jahren über relativ stabile Marktanteile verfügt. Im Bereich der chirurgischen Instrumente liegt dieser bei rund 44 % und bei den Linsen bei etwa 22 %. Daraus lässt sich der Schluss ziehen, dass die großen Anbieter einen immer größeren finanziellen Aufwand zur Verteidigung ihres Marktanteils betreiben. Aktionäre dürften viel länger als fünf Jahre warten müssen, bis der Konzern mit der Ausschüttung substanzieller Dividenden beginnen kann. Eine Einstiegschance könnte sich deswegen auf einem tieferen Niveau bieten.