Geld oder Brief Alibaba

Alibabas strategische Vollbremsung wird zum Kursfantasiekiller

Der chinesische Tech-Riese Alibaba bereitet den Anlegern eine herbe Enttäuschung. Der Spin-off der Cloud-Sparte wird gestrichen. Ein als strategischer Coup gefeiertes Entflechtungsprogramm scheint sich erledigt zu haben. Für die Analysten heißt es nun "runter mit dem Kursziel".

Alibabas strategische Vollbremsung wird zum Kursfantasiekiller

Geld oder Brief

Alibabas strategische Vollbremsung wird zum Kursfantasiekiller

Von Norbert Hellmann, Schanghai

Die jüngste Ergebnisvorlage des chinesischen Tech-Konzerns Alibaba Group Holdings hat es in sich. Weniger weil sich das Kerngeschäft mit E-Commerce-Diensten im gegenwärtigen Konsumklima eher schleppend entwickelt, sondern weil das Management die weit gereiften Pläne für eine kapitalmarktorientierte Konzernentflechtung wieder kassiert.

Chinas führender E-Commerce-Betreiber verabschiedet sich Knall auf Fall vom fest versprochenen Vorhaben, das Cloud-Geschäft mit einem Spin-off abzutrennen und an die Börse zu bringen. Auch vom bereits avisierten separaten Listing des noch relativ wachstumsstarken und expansionsfähigen Geschäfts mit Frischwarenlieferungen unter der Marke Freshippo will man nichts mehr wissen.

Schroffe Kehrtwende

Von einem Schock für die Anleger zu reden, ist fast noch eine Untertreibung. Die schroffe Kehrtwende in Sachen Separierung und Börseneinführung der Cloud-Sparte entzieht den Investoren mit einem Ruck jene Grundlage, auf der sich in den letzten Monaten besondere Kursfantasie für die Alibaba-Aktie entfalten konnte. Entsprechend schroff fiel auch die Kursreaktion am Tag der Ankündigung mit einem Rückgang um 10% auf ein Jahrestief bei 73 HK-Dollar aus. Dies entspricht einem Marktwertverlust von 22 Mrd. Dollar. Der abzutrennenden Cloud-Sparte hatte man bislang einen impliziten Marktwert von etwa 11 Mrd. Dollar zugetraut.

Der jähe Kursknick drückt zunächst einmal Enttäuschung darüber aus, dass die für ihre Strategieplanung und sorgfältige Corporate Governance oft als vorbildlich gerühmte Alibaba sich auf beiden Ebenen in einem Kuddelmuddel zu befinden scheint. Dazu muss man auf den Frühjahrsbeginn zurückblicken. Ende März bereitete Alibaba den Anlegern eine freudige Überraschung. Der damalige Chairman und Chief Executive Officer Daniel Zhang präsentierte einen Plan für einen weitreichenden Konzernumbau, mit dem künftig sechs Einzelunternehmen unter dem Dach der Holding stehen sollten. Das galt als umfassendster Restrukturierungsschritt seit Alibabas spektakulärem Börsengang im Jahr 2014.

Freudenhüpfer

Der neue Ansatz sollte dem Ensemble mehr Beweglichkeit verleihen und neue Finanzierungsoptionen am Kapitalmarkt durch separate Börsen-Listings eröffnen. Die Aussicht auf Spin-off-Lösungen mit der Cloud-Sparte als Saftschnitte ließ die Alibaba-Aktie Ende März gleich einmal um 15% höher hüpfen.

Seltsame Erklärung

Drei Monate später begann es undurchsichtig zu werden. Alibaba kündigte Ende Juni völlig überraschend einen Führungswechsel an, mit dem Konzernchef Zhang sich in die zweite Reihe zurückfallen ließ. Er trägt seitdem nur noch Verantwortung für die Cloud Intelligence Group, zu der auch die Bereiche Chipentwicklung und künstliche Intelligenz (KI) gehören. In die Rolle des CEO und des Chairmans schlüpften mit Eddie Wu und Joseph Tsai zwei Konzernveteranen, die bereits dem Team der ersten Stunde rund um Alibaba-Gründer Jack Ma angehörten.

Die Perspektive für einen zügigen eigenständigen Börsenauftritt der Cloud Group mit Zhang an deren Spitze schien von dem personellen Revirement zunächst unberührt, nun weiß man es besser. Als Erklärung für den Verzicht auf die Mobilisierung des Cloud-Geschäfts führt Alibaba vor allem die US-Restriktionen beim Export von Chiptechnologie nach China an, was nicht recht überzeugen mag. Die Sanktionen gelten als Ärgernis, aber nicht als unüberwindbares Hindernis für Chinas KI-Szene. Chairman Tsai betont zudem, dass Alibaba nun voll auf Cash-Generierung setzen muss, um sich investiven Herausforderungen für eine KI-basierte Netzwerkinfrastruktur zu stellen. Unklar bleibt, warum dies eine Totalabsage für die Börsenpläne bedeuten muss.

Konglomeratsabschlag

Klar ist nur, dass es bei Alibaba intern geknallt haben muss. Die aus der alten Garde formierte neue Konzernspitze legt nun eine strategische Vollbremsung ein, an der die Anleger zu knabbern haben. Die schöne Vision mit den beweglicheren sechs Einheiten die „eigenständigeren Entrepreneurgeist“ entwickeln sollten, wirkt wenig verheißungsvoll, wenn sich dies nicht mit einer eigenständigeren Kapitalmarktpräsenz verbindet. Schließlich galt gerade der Börsengang der Cloud-Sparte als entscheidender Beitrag, um einen immer offensichtlicheren Konglomeratsabschlag der Alibaba-Gruppe zu lindern.

In der Analystengemeinde ist die Ernüchterung greifbar. Im Nachgang zur Schocknachricht purzeln nun die noch in recht luftigen Höhen befindlichen Kursziele für die Alibaba-Aktie im Zwölfmonatszeitraum. Bei der zu den Alibaba-Optimisten zählenden US-Investmentbank Jefferies wurde die Zielmarke um mehr als 20% von 181 auf 140 HK-Dollar zurückgenommen. Damit liegt man freilich immer noch gut 80% über der gegenwärtigen Notierung bei 77 HK-Dollar.

Rekordtiefes Kursziel

Zu den tief enttäuschten Alibaba-Watchern gehören führende chinesische Wertpapierhäuser wie CICC, die das Kursziel um 20% auf 109 HK-Dollar herabsetzt, und Guotai Junan Securities, die ihre neue Marke gut 25% tiefer bei 103 HK-Dollar absteckt. Es gibt allerdings auch Gegenstimmen. China Securities und China Galaxy sehen sogar Anlass für geringfügige Kurszielverbesserungen auf 175 HK-Dollar beziehungsweise 118 HK-Dollar. Der Konsensschätzwert für den Alibaba-Kurs ist um gut 6% zurückgekommen. Er liegt mit 125 HK-Dollar nun auf dem niedrigsten Niveau seit Börseneinführung.