GASTBEITRAG ZUR SERIE: ANLAGETHEMA IM BRENNPUNKT (129)

Anlegersorgen um Ausfallrisiken in Schwellenländern sind übertrieben

Börsen-Zeitung, 1.8.2020 Die Pandemie um Covid-19 stellt die Widerstandsfähigkeit der Entwicklungsländer auf eine harte Bewährungsprobe. Viele Investoren befürchten eine Reihe von Zahlungsausfällen und Staatsbankrotten, da die Schwellenländer stark...

Anlegersorgen um Ausfallrisiken in Schwellenländern sind übertrieben

Die Pandemie um Covid-19 stellt die Widerstandsfähigkeit der Entwicklungsländer auf eine harte Bewährungsprobe. Viele Investoren befürchten eine Reihe von Zahlungsausfällen und Staatsbankrotten, da die Schwellenländer stark unter den wirtschaftlichen Schäden des Virus leiden. Zwar wird es zweifellos einen Anstieg der Zahlungsausfälle gegenüber der niedrigen Durchschnittsrate der letzten zwei Jahrzehnte geben, doch sind die allgemein erwarteten Befürchtungen übertrieben. Zum einen konnten sich viele Schwellenländer, den Erwartungen in diesem schwierigen Umfeld zum Trotz, über den Anleihemarkt refinanzieren. Zum anderen sind wir der Ansicht, dass die technische und fundamentale Landschaft des Staatsanleihenmarkts der Schwellenländer den Anlegern derzeit zahlreiche Möglichkeiten für überdurchschnittliche langfristige Renditen bietet. Aufschläge immer noch hochNach dem Ausbruch der Covid-19-Krise versorgten die Zentralbanken der Industrieländer ihre eigenen Märkte mit enormen Mengen an Liquidität, deren Effekt zügig auf die Schwellenländer überschwappte. Der Internationale Währungsfonds (IWF) leistete weitere Unterstützung und konnte den rasanten Rückgang der Vermögenswerte der Schwellenländer stoppen. Infolgedessen haben sich die Renditeaufschläge für Staatsanleihen von Schwellenländern erholt und stabilisiert, bleiben aber im Vergleich zu den historischen Durchschnittswerten immer noch auf einem hohen Niveau.Angesichts der Verschlechterung der Fundamentaldaten wie Wachstum, Handelsverschuldung und Haushaltslage dürften weitere Verengungen der Spreads nicht linear verlaufen, insbesondere solange die Zweifel der Investoren an der Zahlungsfähigkeit der Entwicklungsländer fortbestehen. Gegenwärtig belaufen sich die Schulden der Schwellenländer auf mehr als 8,4 Bill. Dollar in Fremdwährungen, und bis Ende des Jahres werden rund 730 Mrd. Dollar fällig (Quelle: Bloomberg). Es besteht daher die Befürchtung, dass bestimmte Länder aufgrund sinkender Devisenreserven, lokalen Währungsverfalls, des geringeren globalen Wachstums und der vergleichsweise geringeren Feuerkraft der Zentralbanken Schwierigkeiten haben werden, diese Schulden zu bedienen.Diese Überlegungen haben durchaus ihre Berechtigung. Länder mit gekoppelten Währungssystemen sind anfälliger, vor allem wenn sie zudem schlecht diversifizierte Volkswirtschaften haben, die in hohem Maße von der Rohstoffindustrie oder vom Tourismus abhängig sind. Seit Anfang des Jahres haben einige Entwicklungsländer bereits Zahlungsausfälle oder Umschuldungen vorgenommen: Argentinien, Libanon, Ecuador und jetzt auch Suriname. Viele weitere Länder haben dagegen negative Ratingherabstufungen erlebt oder wurden auf eine “Negative Watch”-Liste gesetzt. Dies macht künftige Herabstufungen wahrscheinlicher. Vor allem die Ratingagentur Moody’s war hier sehr aktiv. Die letzten Rating-Upgrades hingegen erfolgten im März im baltischen Raum.Wir sind jedoch der Meinung, dass das derzeitige Spread-Niveau übertrieben hohe Zahlungsausfälle und zu niedrige Recovery Rates einpreist, was nicht nur die wirtschaftliche Widerstandsfähigkeit vieler Entwicklungsländer, sondern auch den guten Unterstützungswillen globaler Finanzinstitutionen unterschätzt. Die Marktreaktionen haben wiederum ein beachtliches Renditepotenzial für aktive Investoren geschaffen, die in der Lage sind, wertgetriebene Chancen zu erkennen und zu nutzen, die sich aus weit verbreiteten Missverständnissen im Zusammenhang mit Staatsschuldenausfällen oder anderen Stressmomenten ergeben.Sobald ein Land seine Schulden nicht mehr bedienen kann, kommt es zu einem Prozess, in dem Schuldner und Gläubiger versuchen, ein für alle Parteien annehmbares Ergebnis zu erzielen. Auch die internationalen Finanzinstitutionen sind darum bemüht, die Folgen eines Zahlungsausfalls zu begrenzen und dafür zu sorgen, dass die internationalen Schuldenmärkte weiterhin reibungslos funktionieren. Entgegen der allgemeinen Auffassung haben sie daher ein starkes Interesse an mühelosen Umschuldungen herausgebildet, was in der letzten Zeit zu einer Beschleunigung der Verhandlungen beigetragen hat. Angemessene Recovery Rate Darüber hinaus macht es der jüngste Trend zur verstärkten Einbeziehung von “Collective Action Clauses” (CAC) in Anleiheemissionen für aggressive Gläubiger viel schwieriger, Umschuldungen, die eigentlich die Mehrheit der Anleihegläubiger zufriedenstellen würden, zu blockieren. Dieser Trend verhindert zunehmend, dass Schuldenumstrukturierungen zu kompliziert werden, vor allem wenn eine große Anzahl von Parteien am Prozess beteiligt ist. Tatsächlich haben sie langwierige Verhandlungsprozesse wie im Fall Argentiniens, die sich in den frühen 2000er Jahren jahrelang hingezogen haben, unwahrscheinlicher gemacht. Zusammenfassend lässt sich somit sagen, dass Restrukturierungsprozesse von Staatsschulden fälschlicherweise den Ruf haben, endlos, schmerzhaft und unbefriedigend zu sein. Im Gegenteil, viele werden in einem vernünftigen Zeitrahmen und mit einer angemessenen Recovery Rate gelöst, wobei die meisten Parteien in gutem Glauben verhandeln.Restrukturierungen von Staatsschulden haben die Tendenz, eine gute Portion Pessimismus einzupreisen, da Anleger oft dazu neigen, die Chance auf attraktive Rückzahlungsraten zu unterschätzen. Aus diesem Grund werden viele Anleihen, die gerade einen Zahlungsausfall erlebt haben oder die eine sehr hohe Ausfallwahrscheinlichkeit haben, weit unter ihrem Recovery-Wert gehandelt. Zum Beispiel kam Argentinien im Mai in Zahlungsverzug. Da nun aber eine Einigung nahe zu sein scheint und keine der beteiligten Parteien einen harten Zahlungsausfall möchte, haben wir Argentinien etwas aufgestockt. Dazu kommt, dass der aktuelle Vorschlag der Regierung gegenüber dem derzeitigen Preisniveau erhebliches Aufwärtspotenzial bietet. Die Ergebnisse solcher Prozesse können jedoch im Allgemeinen sehr unsicher sein, so dass eine breite Risikostreuung äußerst wichtig ist. Deshalb haben wir im Gegenzug unsere Übergewichtung von Ecuador-Anleihen reduziert, da sich der Wert bestimmter Anleihen seit ihrem Tiefststand im März verdoppelt hat. Zum Zeitpunkt der Reduzierung der Übergewichtung befanden sich die Verhandlungen noch in den Anfängen, und es war unklar, wie lange die Verhandlungen dauern würden. Eher ein LiquiditätsproblemIm Zusammenhang mit der Covid-19-Krise ist es wichtig, sich vor Augen zu führen, dass die meisten Zahlungsausfälle eher auf ein Liquiditäts- als auf ein Zahlungsfähigkeitsproblem zurückzuführen sind, was in erster Linie Anpassungen von Tilgungszahlungen, die in der nahen Zukunft anfallen, erfordert. Heute werden viele dieser Situationen dadurch gelöst, dass Barkuponzahlungen gegen Sachleistungen (Payments in Kind) getauscht werden, wobei die Gläubiger neue Anleihen anstelle von Bargeld erhalten, oder indem der Tilgungsprozess der Anleihe angepasst wird. Bei diesen Maßnahmen handelt es sich um geringfügige Anpassungen, die nicht unbedingt große Auswirkungen auf den Wert der Anleihe haben. Ein Beispiel ist die Anleihe des südamerikanischen Landes Suriname mit Verfall 2023, deren Tilgung im Juni beginnen sollte. Im Einvernehmen mit den Gläubigern wurde dies um sechs Monate verschoben, wobei das Fälligkeitsdatum der Anleihe beibehalten wurde.Die Covid-19-Krise hat die Märkte schwer getroffen, da sie durch den Opec+-Machtkampf und durch die Verwirrung um die Schuldenstopp-Initiative des IWF, der G20 und der Weltbank noch verstärkt wurde. Die Phase der Markterholung birgt jedoch viele Renditechancen, die unter anderem in Umschuldungsprozessen zu finden sein können. Anleger, die bereit sind, sich auf diese Renditequellen einzulassen, sollten bedenken, dass es bei Investitionen in Schwellenländeranleihen nicht darum geht, Situationen von Zahlungsausfällen zu vermeiden, sondern darum, Chancen mit hohem Alpha-Anteil bei angemessenem Risiko zu nutzen. Zuletzt erschienen: Lukratives Lehrgeld auf dem Cyber-Campus (128), DWS Krise ein Testfall für Wertsicherungskonzepte (127), Lampe Asset Management Aktivität schlägt Diversifikation in bewegten Zeiten (126), Assenagon —-Luc D’hooge, Head of Emerging Market Debt bei Vontobel Asset Management