US-Markt

Anstieg langfristiger Zinssätze gefährdet den Aufschwung an der Wall Street

Die Anstiege der Treasury-Renditen gefährden laut Analysten den Aufschwung an der Wall Street. Denn die höheren Finanzierungskosten drohen Wachstumswerte erneut unter stärkeren Druck zu setzen als erwartet. Gerade diese Titel sind im laufenden Jahr aber wieder Treiber der Bewertungsanstiege im S&P 500.

Anstieg langfristiger Zinssätze gefährdet den Aufschwung an der Wall Street

Treasury-Renditeanstieg als Gefahr für die Wall Street

Hohes Emissionsvolumen bei US-Staatsanleihen droht Investoren zu überfordern – Bewertungen im S&P 500 deutlich über langjährigem Durchschnitt

Von Alex Wehnert, New York

Die Wall Street steht vor einem volatilen Herbst. Denn die rapiden Anstiege der langfristigen Treasury-Renditen in den vergangenen Monaten drohen den US-Aktienmarkt laut Analysten noch kräftig durcheinanderzuwirbeln. Mitte August erreichte die laufende Verzinsung der zehnjährigen Staatsanleihe oberhalb von 4,3% den höchsten Schlussstand seit 2007, die Rendite des dreißigjährigen Titels markierte mit 4,4560% immerhin ein Zwölfjahreshoch.

Zu Beginn der laufenden Woche rentieren beide Benchmark-Papiere noch immer eindeutig über den Durchschnittsniveaus des vergangenen Jahrzehnts. Damit einher gehen deutlich höhere Finanzierungskosten, die insbesondere Wachstums- und Technologie-Unternehmen einmal mehr vor große Herausforderungen stellen – und damit die Treiber des Aufschwungs an der Wall Street, der dem S&P 500 im bisherigen Jahresverlauf ein Plus von mehr als 17% und dem Nasdaq 100 einen Zuwachs um mehr als 41% beschert hat.

Unter diesen Growth-Werten stechen insbesondere Nvidia heraus, die mit einem Kursplus von über 240% seit Anfang Januar Top-Performer im S&P 500 sind. Im Ende Juli abgeschlossenen zweiten Quartal des Geschäftsjahres 2024 verdoppelte der Halbleiterkonzern seine Erlöse im Vergleich zum Vorjahr auf einen Rekordwert von 13,51 Mrd. Dollar. Auch der hohe Erlösausblick von 16 Mrd. Dollar für das laufende Quartal nährte die Hoffnungen der Anleger auf einen anhaltenden Boom bei künstlicher Intelligenz (KI).

Schwächere Anlegerreaktionen

Tatsächlich reihen sich die Zahlen von Nvidia in eine Berichtssaison ein, in deren Verlauf nach Berechnungen von Bloomberg Intelligence mehr als drei Viertel der Unternehmen im S&P 500 die Markterwartungen übertroffen haben. Allerdings zeigt sich zugleich, dass die Anleger weniger Schaum vor dem Mund haben. Bei Nvidia folgten nach den jüngsten Ergebnissen keine so imposanten Kurssprünge mehr wie noch im Mai. Insgesamt haben die Aktien der Unternehmen im S&P 500, die im zweiten Quartal sowohl hinsichtlich der Umsatz- als auch der Gewinnentwicklung über den Konsensprognosen lagen, den US-Leitindex am Tag nach der Vorlage laut Bloomberg Intelligence durchschnittlich nur um 1% geschlagen. Die Outperformance liegt damit unter der Norm der vergangenen sechs Jahre.

Dabei macht sich offenbar auch bemerkbar, dass die höheren Finanzierungskosten auf den Margen der US-Unternehmen lasten. Laut Factset belief sich die Netto-Umsatzrendite der S&P-500-Gesellschaften zwischen April und Juni durchschnittlich auf 11,1% – damit lagen sie im sechsten aufeinanderfolgenden Quartal unter dem Niveau des Vorjahreszeitraums. Die Investmentbank Morgan Stanley rechnet mit weiterem Druck auf die Profitabilität, da sich Unternehmen trotz eines verlangsamten Wachstums von der Euphorie um künstliche Intelligenz zu großen Investitionen bewegen ließen.

Erhöhte Sensibilität

Allerdings beobachten Investoren die Entwicklung der Umsatzrendite in vielen Sektoren laut Analysten gerade aufgrund des hohen zukünftigen Investitionsbedarfs auf Wachstumsfeldern inzwischen genauer. Jüngste Negativbeispiele aus dem Growth-Segment – allen voran der Niedergang des Bürovermieters Wework, der einst zu den wertvollsten Start-ups der Welt zählte und aufgrund eines anhaltend massiven Cash Burns nun sein eigenes Fortbestehen in Zweifel zieht – erhöhten die Sensibilität dabei zusätzlich.

Morgan Stanley sieht bei Aktien allein deshalb Potenzial für Rückschläge, weil Festverzinsliche langfristig orientierten Investoren nach den starken Renditeanstiegen der vergangenen Monate attraktivere Einstiegskurse böten als bereits hoch bewertete Dividendentitel. Das Kurs-Gewinn-Verhältnis des S&P 500 auf Basis der Ergebnisschätzungen für die kommenden zwölf Monate beläuft sich laut Factset derzeit auf fast 19, zu Jahresbeginn fiel der Wert mit 16,6 noch deutlich niedriger aus. Der Durchschnitt der vergangenen 20 Jahre liegt übrigens bei 15,8.

Allerdings droht der Herbst auch deshalb Verwerfungen mit sich zu bringen, weil bei Treasuries zumindest in den kommenden Monaten weitere kräftige Renditeanstiege als wahrscheinlich gelten. Analysten verweisen dabei auf das massive Neuangebot, das die Investoren zu überfordern drohe. Schließlich hat das Finanzministerium seine Schätzung für die Kreditaufnahme im dritten Quartal um mehr als 250 Mrd. Dollar auf über 1 Bill. Dollar angehoben. Hintergrund ist der im Juni beigelegte Streit um die US-Schuldenobergrenze, infolgedessen die Treasury sich in der ersten Jahreshälfte kein Geld über neue Wertpapiere leihen konnte.

Für zusätzliche Verunsicherung sorgte Anfang August die Ratingagentur Fitch. Diese stufte die Kreditwürdigkeit der Vereinigten Staaten infolge der wiederholten Schuldenstreitigkeiten in Washington von der Top-Note „AAA“ auf „AA+“ herab – ein solches Downgrade hatte es zuletzt 2011 von Standard & Poor‘s gegeben. Beobachter wie der Assetmanager Nuveen winkten nach dem Schritt zwar beruhigend ab: Die USA seien jederzeit in der Lage, ihren Verpflichtungen nachzukommen. Doch hat die Rating-Herabstufung im Zusammenspiel mit den hohen Emissionsvolumina durchaus dazu geführt, dass die Schwankungen am Treasury-Markt zugenommen haben. So schnellte der ICE BofAML Move Index, ein viel beachtetes Barometer für die Volatilität des US-Bondmarkts, bis Mitte August kräftig in die Höhe.

Neue Zinserhöhungen erwartet

Die Federal Reserve hat zuletzt wenig dazu beigetragen, die Sorgen zu zerstreuen: Beim Notenbankertreffen in Jackson Hole teilte der oberste US-Währungshüter Jerome Powell mit, dass seine Institution offen für weitere Zinserhöhungen sei. Laut dem „FedWatch“-Tool der Chicago Mercantile Exchange (CME) geht zwar weniger als ein Fünftel der Trader davon aus, dass der Offenmarktausschuss bereits auf seiner September-Sitzung den nächsten restriktiven Schritt gehen wird. Doch positionieren sich 62% bzw. mehr als 57% für weitere Zinsanhebungen im November und Dezember.

Nun geht die Furcht um, dass weitere Volatilitätsanstiege – zusätzlich befeuert von Verwerfungen im Bankensektor und der Flucht von Anlegern in Geldmarktfonds – den Status des Treasury-Markts als sicherer Hafen gefährden. Gerade bei externen Schocks an den Aktienmärkten könnte dies laut Analysten noch erhebliche Folgen haben. Der KI-Boom stützt sich beispielsweise in weiten Teilen auf Chips, die der taiwanesische Auftragsfertiger TSMC herstellt. Eine chinesische Invasion in Taiwan gilt daher als zentrale Gefahr für den Investmenttrend. Doch auch ohne einen solchen Angriff ist TSMC schon jetzt kaum in der Lage, die enorm hohe Nachfrage nach KI-fähigen Halbleitern zu bedienen. Begrenzt dies die Wachstumsaussichten von Nvidia & Co. stärker als am Markt und vom Management selbst angenommen, benötigen die Anleger an der Wall Street Rückfalloptionen – doch diese dürften dann rar sein.

Die Anstiege der Treasury-Renditen gefährden laut Analysten den Aufschwung an der Wall Street. Denn die höheren Finanzierungskosten drohen Wachstumswerte erneut unter stärkeren Druck zu setzen als erwartet. Gerade diese Titel sind im laufenden Jahr aber wieder Treiber der Bewertungsanstiege im S&P 500.

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