AKTIEN

Bei Substanztiteln zählt vor allem eins: der Preis

Angesichts der bevorstehenden Zinswende in den USA nehmen sich Anleger ein Beispiel an Warren Buffett und verfolgen Value-Strategien.

Bei Substanztiteln zählt vor allem eins: der Preis

Von Grit Beecken und Holger UllrichAls Benjamin Graham in den 1940er Jahren als Professor an der Columbia University über Geldanlage doziert, hört einer im Auditorium ganz genau hin: der damalige Student Warren Buffett. Graham gilt als Begründer der Fundamentalanalyse und Buffett als der Schüler, der die Ansätze der Fundamentalanalyse bis heute erfolgreich umsetzt. Dabei setzt er auf Value-Investing.Value-Investoren kaufen, wenn die Kurse im Keller sind, und warten anschließend auf Zugewinne. Mit anderen Worten: Sie agieren antizyklisch. Diese Strategie ist im derzeitigen Marktumfeld einen Blick wert. Schließlich ist absehbar, dass die amerikanische Notenbank Federal Reserve (Fed) an der Zinsschraube drehen wird und damit einen anderen Weg einschlägt als beispielsweise die europäische Notenbank. Damit stehen turbulente Zeiten bevor – und in denen bieten Value-Strategien gute Chancen, sagen Investoren wie Warren Buffett. Sicherlich: Strategien für die Geldanlage gibt es reichlich. Eine, die sich in den vergangenen Jahren ausgezahlt hat, ist die, den Notenbanken zu folgen. Die Zentralbanken pumpten rund um den Globus viele Billionen Euro in die Märkte. Sie drückten die Zinsen auf historisch niedrigste Niveaus und beleben auf der anderen Seite die Aktienkurse. Dies wurde zuletzt am 22. Oktober deutlich: Mit seiner Ankündigung, die Zinsen niedrig zu halten und das Wertpapierkaufprogramm auszuweiten, hat Mario Draghi, Chef der Europäischen Zentralbank (EZB) den Märkten neue Zuversicht gegeben. Die Folge waren steigende Kurse am Aktienmarkt. Allein der Dax legte an diesem Tag um knapp 2,5 % auf 10 492 Punkte zu.Gleichzeitig ist die Zinsmisere gut für die Staaten: Sie können sich günstig refinanzieren. Auf der anderen Seite ist sie schlecht für viele Anleger: Mit dem billigen Geld wurden das hierzulande so geschätzte Sparbuch und das Tagesgeldkonto zunehmend unattraktiv, da die nominale Verzinsung mittlerweile weit unter 1 % liegt. Auch Lebensversicherungen locken potenzielle Kunden nur noch mit einem mageren Garantiezins von gerade noch 1,25 %. Zwar liegt die Inflationsrate für die Bundesrepublik mit 0,3 % ebenfalls historisch niedrig, allerdings findet mit dem Horten auf besagten Konten mittelfristig de facto Geldentwertung statt.In diesem Umfeld steigen die Kurse vieler Aktien nicht zuletzt aufgrund mangelnder Alternativen. “Wohin mit dem Geld?” fragen sich viele Anleger. Und natürlich: “Wann steige ich ein?” Value-Investoren haben auf diese Frage eine klare Antwort. Sie kaufen, wenn die Nachrichtenlage ihren Tiefpunkt erreicht hat. Das kann durch einen externen Schock geschehen oder durch schwache Konjunkturdaten. Fondsstratege Ali Masarwah von Morningstar bringt die Strategie auf einen einfachen Nenner: “Im Einkauf liegt der Gewinn”. Ein Blick auf die Bewertungen von Aktien zeigt, dass Value-Investoren es in der aktuellen Situation zunächst einmal schwer haben. Schließlich sind Aktien weder in den USA noch in Europa besonders billig. Vielmehr pendeln sich die Bewertungen im Zuge der laxen Geldpolitik auf immer höheren Niveaus ein. Nach Berechnungen von J.P. Morgan Asset Management lag das geschätzte Kurs-Gewinn-Verhältnis europäischer Aktien per Ende 2010 noch unter 10. Bis Ende Oktober kletterte es auf 15,2. Mit einem geschätzten KGV von 16,1 sind amerikanische Papiere deutlich teuer. Kein Wunder also, dass sich Value-Investoren wie Norm Boersma, Fondsmanager des Templeton-Growth-Fonds, vor allem in Europa nach günstig bewerteten Papieren umschauen – denn die gibt es durchaus noch. “Weltweit aktive Unternehmen mit Sitz in Europa sind deutlich günstiger als die aus den USA”, begründet Boersma seine Suche.Alternativ könnten Aktien aus den Emerging Markets günstig sein. So lockt beispielsweise Russland mit einem Markt-KGV von gerade einmal 5 und auch Brasiliens Papiere werden mit 8 deutlich niedriger bewertet als Papiere aus den Industrienationen. Gerade um russische Papiere sollten Anleger jedoch einen Bogen machen, da die wirtschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen undurchsichtig bleiben.In Europa fällt auf, dass Aktien aus dem Energie- oder Finanzsektor im Vergleich zum Technologiebereich oder zum Gesundheitswesen fundamental günstig wirken. Schaut man auf Papiere wie RWE oder Eon, deren Kursverläufe seit Jahren nur eine Richtung kennen, nämlich die gen Süden, sollte man meinen, dass gerade diese unter Value-Aspekten jetzt attraktiv sind. Allerdings ist die Zukunft gerade dieser Unternehmen ungewiss, so dass die Papiere trotz des – für 2016 geschätzten – augenscheinlich günstigen KGVs 10,1/11,3 und Dividendenrenditen von 4,5 %/5,7 % immer noch zu teuer sind. Aktuell greifen dort lediglich Deep-Value-Investoren zu.Zwar sind die Aktienkurse im historischen Vergleich nicht mehr günstig, vergleicht man jedoch die Rendite der Anteilscheine mit der Anleiherendite zehnjähriger europäischer Anleihen, sind sie immer noch sehr attraktiv. Während die Gewinnrendite von europäischen Aktien bei 6,6 % liegt, werden Anleihen gerade einmal mit 0,5 % verzinst (siehe Grafik). Deutliche Unterschiede”Value-Fonds ist nicht gleich Value-Fonds”, sagt Masarwah und rät Investoren, die auf der Suche nach einer entsprechenden Strategie sind, sich eingehend mit dem Fondsmanager und seiner Investmentphilosophie auseinanderzusetzen. Denn die Fondsmanager setzen unterschiedliche Schwerpunkte. So ist der weltweit investierende Keppler-Global-Aktienfonds mit mehr als 46,4 % in den USA vertreten. An zweiter Stelle stehen Titel aus Europa (17,1 %), dicht gefolgt von asiatischen Papieren (13,7 %) und japanischen Aktien (12,2 %). Fondsmanager Rudolf Gattringer setzt vor allem auf Finanzwerte und Titel aus dem zyklischen Konsum. Im Oktober trennte er sich vollständig vom finnischen Energieunternehmen Fortum und stockte Papiere aus dem zyklischen Bereich auf. Quasi gar nicht im Portfolio vorhanden: Versorgerwerte (0,75 %). So liegen im Invesco Pan European Focus Equity (siehe Tabelle) vor allem Papiere von europäischen Finanzdienstleistern (33,7 %), aber auch Titel aus der Industrie (16,5 %) und der Energie (9,8 %) sind vertreten. Technologiewerte finden sich jedoch nur in einem verschwindend geringen Anteil im Portfolio wieder. Regional ist Großbritannien (31,7 %) besonders attraktiv, gefolgt von Frankreich (22,4 %) und der Schweiz (9,2 %). Deutschland (7,6 %) taucht erst an vierter Stelle auf. Auch beim Brandes European Value (siehe Tabelle) stehen Finanztitel mit einer Portfoliogewichtung von 16,9 % ganz oben, aber auch Verbrauchsgüter (13,4 %) und Energietitel (11,5 %). Auffällig ist, dass der Fonds in Deutschland nicht investiert ist. Vielmehr hat das Fondsmanagement in Großbritannien (33,3 %), Frankreich (14,7 %) und Italien (10,0 %) seine Investmentschwerpunkte.Mitunter werden Value-Fondsmanager mit der Tatsache konfrontiert, dass Growth-Strategien ihre Value-Wettbewerber in den vergangenen Monaten deutlich abgehängt haben. Die Antwort lautet dann oft, das sei richtig. Allerdings könne sich das Blatt im aktuellen Umfeld wieder zugunsten Value wenden. Zudem liegen Value-Strategien auch bei einer langfristigen Betrachtung im Vergleich zu Growth-Strategien oben auf. Blickt man auf den Kursverlauf seit Januar 2000 zurück, zeigt sich, dass der MSCI World Value den MSCI World Growth geschlagen hat. Das heißt: Value-Investoren brauchen nur ein wenig Geduld. Und diese Kunst hat Starinvestor Warren Buffett nahezu perfektioniert. So konnte er just im November, dank der Fusion von dem Lebensmittelproduzenten Kraft und Heinz, den Überschuss seiner Investmentgesellschaft Berkshire Hathaway im dritten Quartal auf 9,4 Mrd. US-Dollar gegenüber dem Vorjahr verdoppeln.——– Value and Growth – Value: Value-orientierte Manager halten Ausschau nach Aktien von Unternehmen, die sie unter Betrachtung von Bewertungskennzahlen wie beispielsweise niedriges Kurs-Gewinn-Verhältnis, Kurs-Buchwert-Verhältnis oder hohe Dividendenrendite für attraktiv halten. – Growth: Growth-orientierte Manager investieren in Aktien, deren Unternehmen mit hohen Wachstumsaussichten attraktiv erscheinen. Dies Firmen locken beispielsweise mit überproportional steigenden Umsätzen, schnell wachsenden Gewinnen oder hohen Cash-flow-Raten, die schneller sind als die anderer Unternehmen der Branche.