Kapitalmarktausblick

Berenberg irritiert der "zu starke Konsens"

Dass derzeit mehr als zwei Drittel unter Investoren und Banken an eine "weiche Landung" der US-Wirtschaft glauben und am Markt inzwischen sechs Zinsschritte der Fed im kommenden Jahr erwartet werden, betrachtet Berenberg als riskante Wette für das neue Jahr.

Berenberg irritiert der "zu starke Konsens"

"Zu starker Konsens" irritiert

Berenberg hält "weiche Landung" in USA nicht für ausgemacht – Gewinnprognosen zu hoch

Dass derzeit mehr als zwei Drittel unter Investoren und Banken an eine "weiche Landung" der US-Wirtschaft glauben und am Markt inzwischen sechs Zinsschritte der Fed im kommenden Jahr erwartet werden, betrachtet Berenberg als riskante Wette für das neue Jahr.

hei Frankfurt

Die "überraschend" einheitliche Meinung der Kapitalmarktakteure, die mit Blick auf das kommende Jahr zu 67% von einer "weichen Landung" der Wirtschaft in den USA ausgehen und daher spätestens im zweiten Quartal mit Zinssenkungsschritten der Fed, fallenden Anleiherenditen und einem schwächeren Dollar rechnen, stimmt die Experten bei Berenberg misstrauisch. Selbst wenn es so käme, stelle sich doch die Frage "Wo ist das Potenzial?", erklärt Chefanlagestratege Bernd Meyer im Pressegespräch. Dies zumal die jüngste Rally an den Aktienmärkten signalisiere, dass die Anleger das Szenario bereits eingepreist hätten. Die US-Notenbank hat das positive Klima weiter befeuert, indem sie am Mittwoch wissen ließ, sie rechne 2024 im Mittel mit einem Leitzins von 4,6%. Dies würde drei Zinsschritte implizieren. "Da geht der Markt jetzt gleich mal von sechs Schritten aus. Das halten wir für deutlich zu optimistisch", so Meyer.

Enttäuschungspotenzial

Aus seiner Sicht besteht die Gefahr, dass die jüngst wieder verbesserten finanziellen Rahmenbedingungen mit niedrigeren Anleiherenditen, einem rückläufigen Ölpreis und schwächeren Dollar die erwartete "Landung" der US-Konjunktur weiter verzögern und die Fed daher mit Zinsschritten doch zögern könnte. Auch sei zu erwarten, dass die Inflation in Deutschland und Europa aufgrund von Basiseffekten im Vorjahr (wie etwa Gas- und Strompreisbremse) demnächst noch mal höher als erwartet ausfallen könnte. Dies würde die EZB ihrerseits bei Zinsschritten zögern lassen, meint Meyer. Damit bestehe bei den Leitzinsen ein hohes Enttäuschungspotenzial vor allem für die Aktienmärkte, mit der Rückkehr des "Narrativs higher for longer".

Andererseits sei auch eine spürbare Abkühlung der US-Wirtschaft mit erheblichen Risiken für die Stimmung an den globalen Aktienmärkten verbunden, insbesondere auch weil weitere Belastungsfaktoren wie die Refinanzierung zu deutlich höheren Zinsen erst noch auf die Unternehmen zukommen, denn ein strukturell höheres Zinsniveau bleibe in jedem Fall. Dies verbunden mit steigenden Löhnen und einer verminderten Möglichkeit, gestiegene Kosten auf die Preise zu überwälzen, würde das Gewinnwachstum limitieren. Berenberg ist daher mit der Prognose eines globalen Anstiegs der Unternehmensergebnisse von 4 bis 6% deutlich pessimistischer als der Konsens mit 10%.

Chancen in Europa

Chancen sieht Meyer bei europäischen Aktien, denn US-Aktien im S&P 500 seien bereits hoch bewertet. Grund sind zwar die hohen Gewinnerwartungen an die sogenannten Magnificent Seven, also die großen Technologiewerte wie Apple, Microsoft, Alphabet, Nvidia und andere, am breiten Markt sind die Sprünge kleiner. Dennoch: dass Technologietitel "großartig" sind, weiß der Markt auch schon, meint der Kapitalmarktstratege, auch hier fehle also der Impuls. Europäische und insbesondere deutsche Aktien seien dagegen gestützt durch sehr niedrige Kurs-Gewinn-Verhältnisse.

Schwer absehen lässt sich aus Sicht von Berenberg, ob der Markt – wie im vergangenen Jahr – "das Narrativ öfter wechseln wird". So sei zuletzt auch in Europa zu beobachten gewesen, dass sich Substanzwerte besser entwickelt hätten als die eher zinssensitiven Wachstumstitel. Im vierten Quartal kam dann der Umschwung. Mit der Aussicht auf Zinssenkungen zogen Wachstumsaktien an. Somit waren die Aktienmärkte sehr zinsgetrieben, jedoch könnten schnell auch konjunkturelle Auswirkungen auf die Unternehmensgewinne dieses Narrativ überlagern, so dass ein erhebliches Rückschlagpotenzial bei Aktien bestehe.

Neutral bei Duration

Die Aussicht auf in Summe wahrscheinlich volatile Aktienmärkte macht auch Anleihen für 2024 weiterhin attraktiv. Für US-Treasuries sind 4,5% Rendite drin, im Unternehmenssektor bei Euro-Investment-Grade-Anleihen knapp 4%, so die Schätzungen. Berenberg würde bei Unternehmensanleihen auf kürzere Laufzeiten setzen, bei Staatspapieren auf längere. "Wir sind also insgesamt neutral bei Duration", so Meyer. "Die Renditeerwartungen an die verschiedenen Anlageklassen liegen so nahe beieinander wie lange nicht." Daher sollte eine breite Diversifikation keine Nachteile haben, fasst der Experte zusammen.