GELD ODER BRIEF

Coronavirus trifft Fast Retailing

Von Martin Fritz, Tokio Börsen-Zeitung, 7.2.2020 Das neue Jahr hat für Japans größten Textilverkäufer nicht gut angefangen. Die Geschäftszahlen der weltweiten Nummer drei hinter Inditex (Marke: Zara) und H&M für das erste Quartal zwischen September...

Coronavirus trifft Fast Retailing

Von Martin Fritz, TokioDas neue Jahr hat für Japans größten Textilverkäufer nicht gut angefangen. Die Geschäftszahlen der weltweiten Nummer drei hinter Inditex (Marke: Zara) und H&M für das erste Quartal zwischen September und November fielen überraschend schlecht aus. Fast Retailing musste die Prognose für den operativen Ertrag im bis Ende August laufenden Geschäftsjahr um 11 % auf 250 Mrd. Yen (2,1 Mrd. Euro) senken. Das wären 5,7 % weniger als beim Rekordgewinn im Vorjahr.Allerdings sind die Ursachen nicht hausgemacht: Die Ergebnisse litten unter einem Boykott von japanischen Produkten in Südkorea sowie dem unerwartet warmen Winter in Japan. In den kommenden Monaten droht nun eine weitere Gewinnwarnung, nachdem das Coronavirus den mit Abstand bedeutendsten Auslandsmarkt des Unternehmens getroffen hat. Von den 750 Filialen seiner Hauptmarke Uniqlo in China hat Fast Retailing mindestens 50 geschlossen. Zudem bleiben viele Chinesen zuhause und kaufen nur das Nötigste ein.Als Folge dieser Entwicklungen hat sich der Aktienkurs negativ entwickelt. Seit dem Jahreswechsel fiel der Titel bis zu 11 % ins Minus, Anfang der Woche lag der Kurs um 17 % unter dem Rekordhoch von 69 810 Yen vom 12. Juli 2019. Wer länger investiert war, kann sich jedoch nicht beklagen: Seit dem Tief im August 2017 hat der Aktienkurs um bis zum 2,3-Fachen zugelegt. Die Dividendenrendite liegt jedoch unter 1 %, Fast Retailing kauft keine eigenen Aktien zurück. Nomura-Analyst Hidehiko Aoki stuft den Titel mit “Neutral” mit einem Kursziel von 66 000 Yen ein, das bietet ein relativ moderates Potenzial von 11 %. Hoch bewertetEin wichtiger Grund für seine Zurückhaltung: Die Aktie ist mit einem KGV von knapp 37 hoch bewertet. Die Rivalinnen Inditex und H&M kommen jeweils nur auf ein KGV von 26. Das Kurs-Buch-Verhältnis von 5,9 und das Kurs-Umsatz-Verhältnis von 2,6 bewegen sich zudem deutlich über dem Durchschnitt in Japan. Ein Nutznießer ist Gründer und CEO Tadashi Yanai: Laut dem Milliardärs-Ranking von Bloomberg ist er mit 28,3 Mrd. Dollar mit Abstand der reichste Japaner und weltweit die Nummer 33. Jedoch haben die Investoren am japanischen Aktienmarkt diese Kennzahlen schon seit Längerem missachtet. Laut Analysten hängt dieses Verhalten mit den Aktienkäufen der japanischen Zentralbank zusammen. Jedes Jahr erwirbt die Bank of Japan für 6 Bill. Yen (50 Mrd. Euro) Indexfonds auf den Nikkei 225 und den Topix sowie auf einige Spezialindizes. Diese Käufe haben den Kurs von Fast Retailing überproportional nach oben getrieben. Der Nikkei 225 ist nämlich preisgewichtet, so dass nominal teure Titel ein höheres Gewicht erhalten. Dadurch erreichte Fast Retailing einen Nikkei-Anteil von bis zu 11,5 %; im Oktober 2019 waren es nach Nikkei-Angaben noch 10,5 %. Zum Vergleich: Im Topix mit über 2 100 Unternehmen besitzt die Textilgruppe nur ein Gewicht von 0,4 %.Die hohe Quote im Nikkei muss nicht kritisch sein – Samsung Electronics repräsentierte kürzlich 30 % des Kospi 200 in Südkorea. Doch 47 % der Aktien von Fast Retailing sind im Besitz von Gründer Yanai und seiner Familie, was die Zahl der frei handelbaren Aktien stark beschränkt. Unterm Strich bedeutet dies laut dem freien Analysten Travis Lundy, dass die Notenbank über ihre Indexfonds nun mehr als 20 % von Fast Retailing kontrolliert. Behält die Bank of Japan (BoJ) ihr Kauftempo bei, erwirbt sie jedes Jahr weitere 1,5 Prozentpunkte dieser freien Anteile. Daraus ergibt sich für die Besitzer der Aktie das Risiko, dass die BoJ ihre Fondskäufe zurückfährt. Aus Misstrauen könnte es dann am Aktienmarkt zu überproportionalen Verkäufen des schwersten Titels kommen. Dieses Risiko ist ziemlich real: Im letzten Drittel des abgelaufenen Jahres hat die Bank of Japan tatsächlich weniger Fonds gekauft, parallel ging es mit dem Kurs von Fast Retailing bergab, obwohl der Nikkei 225 in dieser Zeit stieg. Ein direkter Zusammenhang ist jedoch schwer nachzuweisen.Dessen ungeachtet bleibt die Wachstumsstory des Unternehmens intakt. Gründer Yanai treibt seit Jahren die Internationalisierung konsequent voran. Auf Fünfjahressicht wuchsen die Einnahmen im Schnitt um 10,6 % und der Gewinn je Aktie um 16,8 % jährlich. 2019 expandierte Fast Retailing nach Indien, Vietnam und Italien. In Deutschland betreiben die Japaner inzwischen neun Geschäfte. Das Auslandsgeschäft legte trotz einiger Rückschläge in schwierigen Märkten wie den USA seit Beginn der Expansion vor rund 20 Jahren stetig zu und machte im ersten Geschäftsquartal 2017/18 erstmals mehr als die Hälfte der Einnahmen aus. Abgesehen von einem Rückgang um 0,2 im Jahr 2017 bewegen sich die Auslandsumsätze seit zehn Jahren jedes Quartal nach oben.Seine Zielvorgabe von 3 Bill. Yen (25 Mrd. Euro) Umsatz zum Ende des Geschäftsjahres 2020, also im August 2021, hat Yanai nicht zurückgenommen. Laut den Schätzungen von Nomura wird er das Ziel jedoch erst zwei Jahre später erreichen und trotzdem die angestrebte Weltmarktführung nicht übernehmen, da auch Inditex und H&M wachsen. Jedoch führt dieser Vergleich ohnehin in die Irre. Im Widerspruch zum eigenen Namen setzt Fast Retailing nämlich auf “slow fashion”. Man wendet für ein einzelnes Produkt bis zu ein Jahr auf; Schnitt, Material und Farben sollen zeitlos und hochwertig sein. Dagegen wechselt die Konkurrenz das Produktangebot viel schneller und setzt sich dem Auf und Ab des Modezyklus stärker aus.Ein wenig beachtetes Risiko ist die ungeklärte Nachfolge für Yanai, der inzwischen schon 70 Jahre alt ist. Zum Jahreswechsel zog sich Yanai nach über 18 Jahren aus dem Verwaltungsrat von Softbank zurück, was ein Tribut an sein Alter gewesen sein könnte. Zwar sitzen seine zwei Söhne Koji (42) und Kazumi (45) seit 2018 inzwischen im Verwaltungsrat, aber über ihre operativen Fähigkeiten ist wenig bekannt. Yanai betonte jedoch vor 16 Monaten, seine übrigen Top-Manager könnten Fast Retailing genauso gut führen wie er.