Corporate-Verschuldung tragfähig bei Gegenwind?
Von Markus Roß und Stephan Sporkmann *)Derzeit steht Unternehmen ein breites Spektrum an Risiken ins Haus. Hierzu zählen der ungewisse Ausgang der Handelsstreitigkeiten zwischen den USA und China beziehungsweise Europa, die zu erwartenden Belastungen aus einem wie auch immer gearteten Brexit sowie unberechenbare politische Akteure. Wenngleich die wenigsten Prognostiker mit einer Rezession rechnen, ist zumindest von einer Verlangsamung der konjunkturellen Dynamik auszugehen. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, wie wetterfest die Unternehmensbilanzen auch für stürmische Zeiten aufgestellt sind. Neuer HöchststandHierzu haben wir das Verhältnis von Nettofinanzschulden (bilanzielle Verschuldung, bereinigt um liquide Mittel) zu Ebitda betrachtet. Trotz einiger Einschränkungen, so werden beispielsweise Pensions- und Leasingverpflichtungen nicht berücksichtigt, stellt diese Verhältniskennziffer (Verschuldungsfaktor oder “Leverage”) eine zentrale Kennzahl in der Bonitätsanalyse dar. Auf welche Weise sich diese im Zeitverlauf entwickelt, kann Aufschluss über die Schuldentragfähigkeit eines Unternehmens geben. Als Grundgesamtheit der Analyse dienen die Nichtfinanzkonzerne des Stoxx 600 und des S&P 500. Nachdem die europäischen Konzerne die Nettoverschuldung 2017 per saldo leicht reduziert hatten, stand im vergangenen Jahr ein klarer Anstieg der aggregierten Verschuldung um 9 % zu Buche. Damit lagen die Nettoschulden der Stoxx-600-Unternehmen nach den bisherigen Rekordjahren (2008 und 2016) auf einem neuen Höchstniveau. Durchschnittlicher Faktor Da der Verschuldungsanstieg jedoch von einer freundlichen Gewinnentwicklung begleitet wurde (aggregiertes Ebitda: plus 6 %), lässt sich für die europäischen Unternehmen ein weitgehend unveränderter durchschnittlicher Verschuldungsfaktor ableiten (1,48x nach 1,42x im Vorjahr). In den USA setzte sich der Schuldenboom der letzten Jahre auch 2018 fort: Die amerikanischen Corporates erhöhten die Nettoverschuldung im vergangenen Jahr per saldo um deutliche 20 %. Die Ebitda-Dynamik der amerikanischen Konzerne (plus 9 %) konnte hiermit nicht Schritt halten. In der Folge kletterte der durchschnittliche Verschuldungsfaktor von 1,43x auf 1,57x. Allerdings prägen sowohl in den USA als auch in Europa wenige Großkonzerne die Entwicklung der aggregierten Nettoverschuldung maßgeblich. Unter Ausschluss dieser “Ausreißer” sank der durchschnittliche Leverage in Europa und in den Vereinigten Staaten moderat um jeweils 0,06x.Die maßgeblichen Verschuldungstreiber sind Aktienrückkäufe, Dividenden, Investitionsausgaben (Capex) und Übernahmeaktivitäten. Während sich die europäischen Corporates 2018 mit Blick auf die Capex-Niveaus (plus 4 %) äußerst diszipliniert zeigten, war bei der Aktionärsvergütung hinsichtlich der Dividendenausschüttungen (plus 13 %), aber vor allem mit Blick auf Aktienrückkäufe (plus 55 %) eine expansivere Gangart zu beobachten. Der deutliche Anstieg war dabei rund zur Hälfte auf die zehn dahingehend “großzügigsten” Unternehmen zurückzuführen: Zahlreiche Ölkonzerne initiierten beispielsweise Rückkäufe, um die infolge der Nutzung von Scrip-Dividenden entstandenen Verwässerungseffekte auszugleichen. Mit Blick auf die M&A-Datenbestände von Bloomberg überstieg das Volumen der abgeschlossenen Übernahmetransaktionen im Jahr 2018 in Europa (Stoxx 600: etwa 220 Mrd. Euro) den Wert des Vorjahres deutlich (80 Mrd. Euro). Die Übernahme von Monsanto durch Bayer ist hier als prominentes Beispiel zu nennen.Auch bei den amerikanischen Corporates zeigten die Aktienrückkäufe die größte Dynamik (plus 51 %). Dabei waren auch hier die zehn aktivsten Aktienankäufer – darunter hauptsächlich Technologie- und Pharmakonzerne – für die Hälfte des Anstiegs verantwortlich. Allein Apple erhöhte die Buybacks um 40 Mrd. US-Dollar auf 73 Mrd. US-Dollar. Diesen Trend dürfte die von der Trump-Administration verabschiedete US-Steuerreform begünstigt haben, welche unter anderem die steuergünstige Rückführung der zuvor im Ausland gehaltenen Gewinne ermöglichte. Die Dividendenausschüttungen zogen vergleichsweise moderat um 6 % an. Deutlich dynamischer präsentierten sich die Investitionsaktivitäten (plus 14 %), wobei insbesondere die Öl- und Gaskonzerne – nach Jahren der Sparsamkeit – wieder mehr Geld ausgaben. Überdies intensivierten zahlreiche “Tech”-Unternehmen die Investitionstätigkeit. Nicht zuletzt trieb der Faktor M&A (unter anderem Übernahme von Time Warner durch AT&T) auch in den USA die Verschuldung im Jahresvergleich in die Höhe (2018: 630 Mrd. Euro; 2017: 370 Mrd. Euro). Positiver Blick nach vornVorausschauend zeichnen die Konsensschätzungen für die aggregierte Ergebnisentwicklung ein freundliches Bild. Während für die von uns betrachteten europäischen Unternehmen 2019 im Schnitt eine Ebitda-Steigerung von über 9 % und im nächsten Jahr ein nur leicht niedrigerer Zuwachs von rund 7 % erwartet werden, fallen die entsprechenden Prognosen für die US-Corporates (2019: plus 17 %; 2020: plus 9 %) sogar noch optimistischer aus. Angenommen, der Schuldenstand bleibt konstant, verspricht dieses anhaltend positive Gewinnmomentum hinsichtlich der künftigen Schuldentragfähigkeit noch mehr Flexibilität. Wird für die Nettoverschuldung in den kommenden Jahren die durchschnittliche Wachstumsrate der vergangenen fünf Perioden zugrunde gelegt (Europa: plus 5 %; USA: plus 18 %), ergäbe sich in Kombination mit den Konsensgewinnschätzungen für die europäischen Unternehmen immer noch eine leicht verbesserte Schuldentragfähigkeit. Mit Blick auf die amerikanischen Corporates würde die positive Ergebnisentwicklung allerdings überkompensiert. Ein weiterer Leverage-Anstieg wäre die Folge. Die Schuldentragfähigkeit würde sich wenig überraschend klar verschlechtern, wenn die Gewinndynamik abflaut und sich der Verschuldungstrend der vergangenen Jahre sowohl in Europa als auch in den Vereinigten Staaten fortsetzt. Gewinntrend unsicherZusammenfassend lässt sich festhalten, dass der 2018 sowohl bei den europäischen als auch den US- Konzernen zu beobachtende Leverage-Anstieg auf einen Verschuldungsaufbau bei wenigen Unternehmen zurückzuführen ist. Die Schuldentragfähigkeit der meisten betrachteten Konzerne präsentierte sich stabil. Die erneut freundlichen Gewinnaussichten suggerieren finanzielle Flexibilität. Das breite Spektrum an Unsicherheitsfaktoren lässt den Gewinntrend indes ungewiss erscheinen. Daher bleibt abzuwarten, ob die Unternehmen auf etwaige stürmische Zeiten mit einer konservativeren Finanzpolitik reagieren und ihre Bilanzen damit rechtzeitig wetterfest machen. *) Markus Roß und Stephan Sporkmann sind Senior Credit Analysten der DZ Bank.