"Da haben viele sich sehr blutige Nasen geholt"
Im Interview: Marc Decker
"Da haben viele sich sehr blutige Nasen geholt"
Der Aktienstratege der Quintet Private Bank erklärt, warum Erneuerbare-Energie-Aktien so schlecht laufen und was er für die Zukunft erwartet
Tobias Möllers, Frankfurt
Der Klimawandel ist in aller Munde, Aktionäre von Erneuerbare-Energie-Titeln profitieren davon allerdings nicht. Die Branche entwickelt sich schlechter als der Markt. Marc Decker, Leiter Aktien bei der Quintet Private Bank, weiß, warum das so ist, und erklärt, wo er Licht am Horizont sieht.
Klimawandel, Klimakrise, Klimapolitik – blickt man auf Schlagzeilen, die Politik und Gesellschaft aktuell mehr denn je beschäftigen, könnte man annehmen, dass für Unternehmen aus dem Bereich erneuerbare Energien goldene Zeiten anstehen. Dem ist aber nicht so. Haben Sie dafür eine Erklärung?
Dafür gibt es einen ganzen Strauß von Gründen. Wir haben im ersten Quartal 2020 nach dem Corona-Crash bis hin zum ersten Quartal 2021 eine sehr gute Performance von Erneuerbare-Energie-Aktien gesehen – das war teilweise beeindruckend. Im Zuge von Corona und auch dem Ukraine-Krieg wurden dann aber Lieferengpässe ein großes Thema. Gerade Anlagenbauer und Entwickler litten unter Lieferengpässen bei Vorfertigungsprodukten. Darüber hinaus sehen wir, dass sich seit Anfang 2022 mit dem Anstieg von Anleiherenditen auch eine Veränderung der Refinanzierungsseite negativ auf den Sektor niederschlug. Dazu kommt, dass es immer Zyklen gibt. Anleger, gerade Privatanleger, springen auf bestimmte „Hot Stock“-Themen an. Als dann „Energiewende, wir müssen hier was tun!“ vonseiten der EU und der Bundesregierung als Ziel ausgegeben wurde, haben sich gerade auch Privatanleger gesagt: „Darauf muss ich setzen! Das ist der Trend für die nächsten Jahrzehnte.“ Und das ist auch richtig, das wird der Trend der nächsten Jahrzehnte sein, aber bei zu optimistischen Wachstums- und Ertragserwartungen ist eben auch mit einem hohen Enttäuschungspotenzial zu rechnen.
Viele Analysten haben Anlegern Unternehmen wie Plug Power, Enphase, NEL, Vestas Wind seit Jahren empfohlen. Nicht wenige dieser Titel liegen heute 50% und mehr unter Wasser. Sehen Sie hier Licht am Horizont?
Der immer wieder gern bemühte Satz „This time it’s different“ dient manchem Marktteilnehmer dazu, hohe Bewertungslevels zu rechtfertigen. Meistens zeigt sich aber, dass es auch diesmal nicht so anders ist als sonst, auch wenn Übertreibungsphasen durchaus lange andauern können. Dies sehe ich aber für den Sektor der Erneuerbaren jetzt nicht mehr.
Was wäre denn Ihr Favorit bei Clean Energy?
Ich finde, es gibt schon sehr spannende Geschäftsmodelle da draußen. Orsted zum Beispiel ist wahrscheinlich der sauberste Name, den man bei Windenergie finden kann. Und dann gibt es in Amerika auch noch Next Era Energy. Die sind ähnlich aufgestellt und haben auch einen starken Fokus auf Windenergie, aber da ist auch Atom drin, was zumindest für einige deutsche Betrachter ein No-Go ist. Ich denke, aus volkswirtschaftlicher Sicht ist es wichtig, sich zu überlegen, wie setzt sich ein Energiemix zusammen und was macht Sinn und was brauche ich, um meine Energiepreise im Griff zu halten.
Wenn man sagt, ich möchte auf Clean Energy setzen, ist Orsted einer der besten Namen dafür, weil sie eine bestimmte Größe haben, schon lange am Markt sind und eine hervorragende Expertise bei der Projektentwicklung für solche Windkraftanlagen haben. Nichtsdestotrotz wurde die Aktie am Markt regelrecht abgestraft. Zugleich ist so eine Aktie, die massiv unter Druck gekommen ist, ein schönes Beispiel, um sich zu fragen, ist das der richtige Zeitpunkt, um einzusteigen? Die Antwort ist: nicht zwangsläufig. Ist es dann der richtige Zeitpunkt, um auszusteigen? Glaube ich auch nicht. Wir befinden uns da gerade im Niemandsland. Ich denke, aktuell ist noch die Zeit, um die Entwicklung zu beobachten und auf klarere Sicht zu warten.
Nehmen wir mal an, da ist eine Ausschreibung und Orsted gewinnt ein Projekt und setzt das dann um, dann wird so ein Projekt auch kalkuliert. Aber den Wert eines solchen Projekts vorab richtig zu kalkulieren, das ist unfassbar schwer, wenn nicht gar unmöglich, da man Projektphasen beurteilen muss. Die ganze Analystenschar, die da draußen sitzt und an Modellen bastelt und mit Durchschnittskapitalkosten prüft, wie man sich dem annähern kann, hat Probleme mit der Einschätzung von Projektrisiken und -kosten. Im Falle von Orsted habe ich den Eindruck, dass da sehr viel Wachstum, was vorher eingepreist war, jetzt einfach ausgepreist ist.
Sind wir denn inzwischen bei einer fairen Bewertung von Erneuerbare-Energie-Titeln angekommen, oder drohen noch weitere Abschläge?
„Love Babys“ oder „Hot Stocks“, auf die die Kleinanleger en masse aufgesprungen sind, wie etwa bei Plug Power, haben mitunter zu abstrusen Bewertungen geführt. Vor allem amerikanische Aktien wurden am Anfang so gehypt, dass man sich schon verwundert die Augen gerieben hat. Es war eigentlich klar, dass einige korrigieren müssen, denn diese Wachstumsaussichten waren einfach sehr optimistisch und noch dazu optimistisch bepreist. Da haben viele sich sehr blutige Nasen geholt. Ob nun eine faire Bewertung erreicht ist, lässt sich so pauschal nicht sagen. Es gibt schon einige Unternehmen, deren Geschäftsmodelle überzeugend laufen und die sich wohl auch in Zukunft tragen. Dennoch glaube ich, dass derzeit das Marktumfeld für solche Titel nicht besonders gut ist. Teilweise auch, weil noch immer viel zu hohe Bewertungen auf den Aktien liegen – man sieht ja, dass Gewinnschätzungen über die letzten Quartale immer weiter zurückgenommen wurden, und ich glaube, da sind wir noch nicht am Ende des Tunnels angelangt.
Gestörte Lieferketten und stark gestiegene Rohstoffpreise machten Windturbinenbauern wie Siemens Gamesa zuletzt das Leben schwer. Hier winkt nun eine Erholung, oder?
Ja, die Lieferketten haben sich auf jeden Fall merklich entspannt, auch wenn sie noch nicht wieder da sind, wo sie mal waren. Auch bei den Rohstoffpreisen haben wir eine Entspannung gesehen, das ist aber auf der anderen Seite auch gleich wieder ein Risiko. Stichwort China: Die letzten makroökonomischen Zahlen haben nicht so gut ausgesehen, aber wenn China auf den Wachstumspfad zurückkommt und dementsprechend auch wieder Rohstoffe verkonsumiert und die Rohstoffpreise dann wieder raufgehen, dann wird das die Margen von Windenergieunternehmen recht unmittelbar belasten.
Zudem haben Sie auch bereits einige neue Risiken ausgemacht, oder?
Ja. Nehmen wir die Konkurrenzsituation. Wir haben schon gesehen, dass in Italien zum Beispiel Aufträge im Turbinenbau für Windkraftanklagen durch chinesische Firmen an Land gezogen worden sind. Die sind einfach günstiger und auch die Qualitätskarte kann man nicht mehr zwangsläufig spielen. Ich denke schon, dass die europäischen Produkte qualitativ teils noch einen Vorteil haben, aber nicht mehr den ausschlaggebenden. Nicht mehr so, dass man sagt, das wird durch eine Preiskonzession nicht abgedeckt.
Verstärkter Druck kommt auch aus den USA, wodurch man in Europa sozusagen zwischen Hammer und Amboss gerät. Auf der einen Seite graben die Chinesen die Marktanteile ab, und auf der anderen Seite haben wir in den USA Joe Bidens Infrastruktur-Investitionsprogramm, wovon sehr viel auch in grüne Energien fließen soll. Das bringt natürlich schon Druck auf die europäischen Anbieter.
Wie werden sich die europäischen Renewables denn in nächster Zeit schlagen?
Das ist ein bisschen vergleichbar mit der Entwicklung im Solarbereich vor 20 Jahren. Da waren deutsche Firmen wegweisend und marktführend und dann kamen billigere Produkte aus China und haben die deutschen Anbieter weggefegt. Die politischen Entscheidungsträger in Europa sollten sich schon fragen, ob sie eine Wiederholung dieser Situation wollen. Aktuell ist die politische Unterstützung überschaubar – und die Regulierung genau das Gegenteil.
Angesichts hoher Wachstums- und Gewinnerwartungen bei Erneuerbaren wurde dieser Sektor auch für andere Player aus dem Energiebereich attraktiv. Neue Akteure traten auf den Plan, und diese könnten jetzt den Erfolg der Platzhirsche durchaus gefährden. Damit sind wir bei der Konkurrenz, die aus dem alten, fossilen Bereich nun in das Spektrum der Erneuerbaren reingeht – „Big Oil“. Der Ölsektor muss seine Geschäftsmodelle modifizieren, um auch mit Blick auf ESG-Vorgaben zu überleben. Darum bewegen die sich natürlich auch hinein in die Erneuerbaren. Der Vorteil, den die Ölriesen haben, ist, dass sie relativ tiefe Taschen haben. Und mit dem Ukraine-Krieg und der Renaissance fossiler Brennstoffe haben sie entsprechende Margen aufgebaut und können die jetzt reinvestieren in die Erweiterung ihres Geschäftsmodells in Richtung erneuerbare Energien. Die haben einfach das Kapital!
Sie kommen in einem Kommentar zur Erneuerbaren-Branche von Ende Juni zu dem Schluss, dass es „derzeit keinen triftigen Grund gibt, sich hier zu engagieren“. Das klingt hart. Bleiben Sie dabei, oder sehen Sie auch Unternehmen, die noch positiv überraschen könnten?
Ich bleibe bei der Aussage. So erstrebenswert die Transformation ist, so klar scheint derzeit auch, dass die fossilen Energien ihre Renaissance zunächst einmal weiter fortsetzen werden. Das hängt auch damit zusammen, dass viele gerade einsehen müssen, dass wir an den Fossilen gar nicht vorbeikommen, solange die Transformation noch nicht abgeschlossen ist. Das sehen wir auch am Kapitalmarkt gerade: Zwar wurden Ölaktien im Gegensatz zu der unfassbaren Performance im letzten Jahr zuletzt auch zu niedrigeren Kursen gehandelt, aber wenn ich mir auf der anderen Seite die Erneuerbaren ansehe, dann wurden die noch viel mehr abgestraft.
Wir haben das letztens erst gesehen, als ein Projekt in Nord- und Ostsee – von der Bundesnetzagentur ausgeschrieben – eben nicht an Orsted gegangen ist, sondern an Total Energies und BP.
Eine Transformation hin zu Erneuerbaren wird von der Politik anders als in früheren Jahren ja inzwischen forciert. Sehen Sie dadurch bessere Chancen für Wind, Wasserstoff oder auch die CCS-Technologie zur Karbonspeicherung?
Diese Technologie ist perspektivisch eine gute Option im Management von CO2-Emissionen. Allerdings gibt es gerade in Deutschland wieder regulatorische Vorbehalte. Aber grüne Technologien insgesamt sind ein intakter Megatrend, werden stetig effizienter und besser, und so bin ich fest davon überzeugt, dass hier am Ende auch für Investoren noch einiges zu holen sein wird.
Die Transformation geht insgesamt voran, und zwar unaufhaltsam und mit einer starken Rolle Europas. Der Anteil Europas am globalen CO-Ausstoß ist zwar – Stichwort Kohlekraftwerke in China – eher gering, aber es besteht kein Zweifel, dass wir unseren Teil beitragen müssen.
Dass die Chinesen derweil nach ihren negativen Erfahrungen mit Smog alles daransetzen, auf Elektroautos umzuschalten und erneuerbare Energien in den Fokus zu rücken, sorgt auch dort für starke Kräfte in Richtung Transformation.
Ein Risiko hingegen sehe ich dann, wenn es keinen systematischen Plan für die Transformation gibt. Auch hierzulande würde man sich wünschen, dass eine ganzheitliche Betrachtung unter Berücksichtigung der Wettbewerbsfähigkeit unserer Unternehmen vorgenommen würde.
Seit Jahresanfang hat der European Renwable Total Return Index 12% verloren. Auf der fossilen Seite haben wir ein Plus von 5% seit Jahresanfang, also 17 Prozentpunkte Differenz. Noch viel heftiger sieht es aus, wenn man seit den Hochständen vom Jahreswechsel 20/21 guckt. Seitdem haben Erneuerbare 32% verloren, bei Global Oil haben wir dagegen ein Plus von 160%. Das ist natürlich schon Wahnsinn! Der Markt gibt da eigentlich die Antwort.
Sehen Sie auch für die Zukunft bei den fossilen, althergebrachten Energieunternehmen mehr Potenzial?
Ja. Ich sehe da definitiv noch mehr Potenzial, weil wir uns – was Energieträgerversorgung betrifft – in einem nicht ausgeglichenen geopolitischen Umfeld befinden. Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine hält an, was auch bedeutet, dass Russland als Lieferant sozusagen disqualifiziert ist. Dann haben wir die chinesischen Ansprüche auf Taiwan, die letztlich auch ein geopolitisches Risiko für viele Betreiber von Windparks vor der Küste Taiwans bedeuten. Dies sind nur zwei Beispiele. Für Titel aus dem Renewables-Umfeld sind die mittelfristigen Aussichten nicht ermutigend. Dagegen hat ein Ölkonzern wie Exxon – auch wenn man die Effekte der außerordentlichen Ölpreise infolge des Ukraine-Kriegs herausrechnet – im zweiten Quartal das zweitstärkste zweite Quartal der letzten Dekade hingelegt. "Big Oil" ist derzeit obenauf, und daran wird sich kurzfristig wenig ändern. Langfristig kommen die Erneuerbaren definitiv wieder. Hoffentlich dann mit realistischen Wachstumsszenarien und weniger Kursübertreibungen.
Zur Person: Marc Decker ist Leiter Aktien von Quintet, der Muttergesellschaft der Münchener Privatbank Merck Finck. Decker hat eine langjährige Erfahrung im Portfoliomanagement, unter anderem bei der DWS sowie bei Meag, der Anlagegesellschaft des Munich-Re-Konzerns. Zudem war er als Portfoliomanager und Vorstand der Fondsboutique Skalis auch unternehmerisch tätig. Decker ist Diplom-Betriebswirt und CAIA-Charterholder.
Das Interview führte Tobias Möllers.