Kalin Anev Janse

„Das Kapital des ESM wird von Jahr zu Jahr grüner“

Der CFO über nachhaltiges Investieren, eine noch stärkere Integration von ESG-Kriterien in Anlageprozesse, Social-Bond-Emissionen und Krisenlehren

„Das Kapital des ESM wird von Jahr zu Jahr grüner“

Kai Johannsen.

Herr Anev Janse, was sind Ihre persönlichen Lehren aus der Covid-19-Pandemie?

Die Pandemie hat uns die Fragilität des Lebens gezeigt. Es war eine Gesundheitskrise sowie eine wirtschaftliche Krise. Als Vater von zwei Kleinkindern schaue ich durch die Augen meiner Kinder in ihre Zukunft. Wir müssen lernen, solche Notfälle künftig schneller und globaler gemeinsam zu bekämpfen. Und wir sollten uns auf die großen Krisen konzentrieren, die vor uns liegen: Klimawandel, Verlust der Biodiversität und negative Auswirkungen der Ungleichheit. Als CFO sehe ich, wie unsere Finanzsysteme uns helfen können, in Unternehmen, Projekte und Institutionen zu investieren und diese großen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Themen zu adressieren, die die nächsten Jahrzehnte prägen werden. Wir haben dies mit dem starken Aufkommen von Social Bonds zur Bekämpfung der Covid-19-Krise und einem ständig wachsenden Markt für grüne Anleihen gesehen.

Und was sind die Lehren aus Sicht des ESM/EFSF?

Wir haben gesehen, wie Europa in dieser Krise schnell gehandelt hat: die schnelle geldpolitische Reaktion aus dem EZB-PEPP-Programm in Höhe von 1,85 Bill. Euro, die erste europäische fiskalische Reaktion von ESM/EU/EIB in Höhe von 540 Mrd. Euro und 750 Mrd. Euro bei Next Generation EU. Wir haben gezeigt, dass wir als Europäer am stärksten sind, wenn wir gemeinsam handeln. Aber es geht über unseren eigenen Kontinent hinaus. Während die Impfprogramme in Europa zunächst langsamer als anderswo begannen, gehört Europa heute weltweit zur Spitzengruppe. Im März 2021 hat Europa über Covax genauso viele Impfstoffe nach Laos wie in den Mitgliedsstaat Luxemburg geliefert. Bis Mai hatte Europa mehr als 400 Millionen Impfstoffe hergestellt, von denen die Hälfte weltweit ausgeliefert wurde. Als ESM spielen wir unsere eigene Rolle in der Architektur Europas. Wir haben die Pandemie-Krisenhilfe in Höhe von 240 Mrd. Euro für die Länder des Euro-Währungsgebiets eingerichtet und unsere ESG-Investitionen aufgestockt.

Der ESM ist eine der ersten EU-Institutionen, die nachhaltig ist. Was streben Sie im Bereich Nachhaltigkeit an, was möchten Sie der Öffentlichkeit zeigen?

Wir haben die ESG-Aspekte zu einer unserer obersten Prioritäten gemacht, da es schon immer Teil unserer DNA war, bevor es in größerem Kontext populär wurde. Im Jahr 2011, während der Euro-Finanzkrise, haben wir Anleihen begeben, die zur wirtschaftlichen und sozialen Stabilität beigetragen haben, lange bevor das Rahmenwerk für Social Bonds entworfen wurde. Als Institution für 19 europäische Länder und 340 Millionen Bürger wollten wir uns zu den höchsten Standards des öffentlichen Dienstes und der Environmental Social Governance – also ESG – verpflichten.

Der ESM hat seine ESG-Aktivitäten deutlich ausgeweitet. Können Sie diese Schritte des ESM näher erläutern?

Der ESM ist im Jahr 2020 Unterzeichner der Prinzipien der Vereinten Nationen für verantwortungsvolles Investieren – den UN-PRI – geworden. Es gilt als das führende globale Netzwerk für ESG-Investoren. Der ESM bezieht ESG-Kriterien in seine Anlageprozesse ein, um verantwortungsvolle Anlagepraktiken weiter voranzutreiben. Wir bekennen uns zu verantwortungsvollem Investieren und verfolgen dennoch die Kernziele Bonität, Liquidität und Rendite. Wir haben unsere Investitionen in gekennzeichnete Anleihen wie grüne, soziale und nachhaltige Bonds aufgestockt: 475 Mill. Euro im Jahr 2018, mehr als 1 Mrd. Euro im Jahr 2019 und wir haben sie auf 4,5 Mrd. Euro im Jahr 2020 erhöht, während der ESG-Markt in der gleichen Zeit von 171 Mrd. Euro im Jahr 2018 auf 484 Mrd. Euro im Jahr 2020 angewachsen ist, also etwas mehr als das 2,8-Fache. Wir haben im gleichen Zeitraum zehnmal mehr investiert. Nicht nur der ganze Kuchen ist größer geworden, wir haben auch ein größeres Stück vom Kuchen abbekommen. Dies ist eine bedeutende Verpflichtung für uns.

Können Sie Beispiele konkreter Investments nennen?

Die Anlagen des ESM in entsprechend gekennzeichneten Anleihen wurden mit verschiedenen ökologischen und sozialen Zielen diversifiziert. Unsere Green-Bond-Investitionen reichen von der Finanzierung nachhaltiger Verkehrssysteme mit dem Ziel der Reduzierung von Treibhausgasemissionen und einer nachhaltigen urbanen Transformation bis hin zu solchen, die auf die Biodiversität durch Wasseraufbereitung, Reinigung von Abwasser oder Energierückgewinnung aus Abwasser abzielen.

Was sind Ihre nächsten Schritte in Sachen Nachhaltigkeit?

Wir wollen noch weiter gehen und ESG-Kriterien noch besser in unseren Anlageprozess integrieren. Wir implementieren einen Monitoring- und Scoring-Prozess für unsere Investitionen unter Berücksichtigung der UN Sustainable Development Goals – den SDG – sowie der eigenen ESG-Prioritäten des ESM. Wir bauen ein internes Rahmenwerk und Analysen auf und arbeiten mit spezialisierten Ratingagenturen zusammen, die ESG-Faktoren überwachen. Dann betrachten wir die EU-Taxonomie als einen entscheidenden Schritt in Richtung nachhaltiger Finanzen, der Europa als führende Volkswirtschaft bei grünen Initiativen und Investitionen positioniert. Wir sind der Plattform für nachhaltige Finanzen der Europäischen Kommission beigetreten, um die Zukunft mitzugestalten. Da die Taxonomie eng mit Initiativen zum Klimawandel verbunden ist, könnte sie sich möglicherweise auf der Umweltseite unseres ESG-Ansatzes widerspiegeln. Der ESM hat sich der nachhaltigen Finanzierung sehr bewusst verschrieben und damit sein Engagement als Investor und Emittent in ESG-Angelegenheiten verstärkt.

Der ESM hat 2020 ein Rahmenwerk für die Emission von Social Bonds geschaffen. Wie funktioniert dieses System?

Im Rahmen von Europas erster Reaktion auf die Coronakrise im Frühjahr 2020 haben wir ein neues Instrument geschaffen, die Pandemic Crisis Support – PCS – mit einem Volumen von bis zu 2% des BIP der Mitgliedstaaten des Euroraums und einem potenziellen Gesamtvolumen von 240 Mrd. Euro. Es zielt auf die Gesundheitskosten im Zusammenhang mit Covid-19 ab, und bietet sich deshalb für die Emission von Social Bonds an.

Wie funktioniert das in der Praxis konkret?

Sollte ein Land eine Pandemie-Krisenunterstützung beantragen, muss es einen Pandemie-Reaktionsplan ausfüllen, in dem die Gesundheits-, Heilungs- und Präventionskosten in direktem Zusammenhang mit der Covid-19-Pandemie aufgeführt sind. Das Geld kann recht breit eingesetzt werden: Krankenhäuser, Heilung und Rehabilitation, ambulante und rehabilitative Pflege, Diagnostik, Arzneimittel, Vorsorge, Gesundheitsverwaltung und gesundheitsbezogene Langzeitpflege – und natürlich Impfprogramme. Wir haben ein Social-Bond-Framework entwickelt, das den grundlegenden Social-Bond-Prinzipien der ICMA entspricht. Es wurde von der ESG-Ratingagentur Sustainalytics überprüft. Wir werden die Verwendung der Erlöse veröffentlichen, damit die Anleger wissen, dass das Geld für soziale Zwecke verwendet wird, was dann letztendlich den Social Bond rechtfertigt.

Wird der ESM in Zukunft einer der größten Emittenten von Social Bonds?

Das hängt davon ab, wie unsere Instrumente nachgefragt werden. Das PCS steht bis Ende 2022 zur Verfügung. Bislang ist es noch nicht zum Einsatz gekommen und dient als Schutz für die Länder des Euro-Währungsgebiets. Die Europäische Kommission hat sich mit dem Sure-Programm zum größten Emittenten von Social Bonds entwickelt. Wir müssen sehen, wie es sich die nächsten 18 Monate weiter entwickelt. Wenn sich die Spreads ausweiten, könnten sich die Länder dafür entscheiden, die Pandemie-Krisenunterstützung in Anspruch zu nehmen.

Mit welchen Fragen treten Investoren an Sie als nachhaltige Institution heran und noch wichtiger als bedeutender Anleiheemittent?

Fast jedes Investorenmeeting dreht sich heutzutage um ESG – gleichgültig ob wir nun mit Investoren aus Japan oder Norwegen sprechen. Wir haben gesehen, dass sich die Diskussion von „Umwelt“ auf „Sozial“ und „Governance“ ausgeweitet hat. Die Pandemie war ein Katalysator für das S in ESG, einige der Covid-19-Reaktionen wurden durch soziale Anleihen finanziert. Dies hat der ESM im Austausch mit unseren eigenen Investoren, die unseren ESG-Ansatz zunehmend in ihren Entscheidungsprozessen berücksichtigen, hautnah erlebt. Anleger fordern Informationen zu unseren internen Praktiken, Richtlinien und der Governance an, die einen hohen Standard der ESG-Best Practices gewährleisten. Unser CO2-Fußabdruck-Bericht zieht viel Aufmerksamkeit auf sich. Der Bericht überwacht und misst den CO2Fußabdruck, der sich aus den internen Operationen des ESM ergibt, und leitet die Ausarbeitung von Maßnahmen zur Verbesserung seiner Umweltpraktiken ein. Und die Zahlen sprechen für sich. Unsere ESG-Webseiten gehören zu den meistbesuchten Teilen der ESM-Website.

Wo wollen Sie als nachhaltige Institution in zwei und fünf Jahren stehen? Was steht diesbezüglich auf Ihrer Agenda?

Es ist gut, sich Ziele zu setzen, und noch besser sie zu übertreffen. Das eingezahlte Kapital des ESM wird von Jahr zu Jahr grüner. Wir haben 80 Mrd. Euro an eingezahltem Kapital, ein Teil ist bei den Zentralbanken des Euroraums hinterlegt und ein anderer am Markt angelegt. Der investierte Teil stieg von 34 Mrd. Euro im Jahr 2019 auf 45 Mrd. Euro im Jahr 2020. In der Tat sind unsere ESG-Investitionen im vergangenen Jahr deutlich angestiegen. Künftig beabsichtigt der ESM, ESG-Kriterien weiter in seinen Anlageprozess zu integrieren und europäische Initiativen in diesem Bereich zu unterstützen.

Der ESM investiert das eingezahlte Kapital also grün und nachhaltig: Was sind die größten Herausforderungen als nachhaltiger Investor an den Finanzmärkten, insbesondere in der sogenannten Übergangsphase.

In hochwertige ESG-Anlagen investieren zu können, ist immer eine Herausforderung. Dank der Arbeit an einer EU-Taxonomie haben wir die Möglichkeit, uns darüber zu verständigen, was Qualität ist und was nicht. Beim Aufbau unserer Anlageportfolios achten wir darauf, sogenanntes Greenwashing oder auch Socialwashing-Assets zu vermeiden. Mit der Unterzeichnung bei der UN-PRI­ zeigen wir, wie wichtig dieses Thema für uns ist.

Ist Europa in Sachen Green und Sustainability allen anderen voraus?

Ja. Derzeit werden mehr als 1,5 Bill. Euro an ESG-Assets auf dem internationalen Kapitalmarkt gehandelt, wobei 50% auf Euro lauten und nur 27% auf Dollar. Die Hauptemittenten kommen ebenso aus Europa wie die Hauptinvestoren. Europäische Länder, von Deutschland bis Italien, haben grüne Anleihen ausgegeben. Im April wurde dies durch das Klimaabkommen der Europäischen Union verstärkt, das die EU verpflichtet, die Treibhausgasemissionen bis 2030 mehr als zu halbieren und bis 2050 Nettoemissionen von Null zu erreichen, sowie die Ankündigung der EU-Taxonomie. Im selben Monat haben wir in meinem Blog mit Columbia-Rechtsprofessorin Anu Bradford, der Autorin von „The Brussels Effect: How the European Union Rules the World“, erklärt, warum die EU-Green-Regulierung und die EU-Taxonomie ein Goldstandard werden könnten und warum global tätige Unternehmen sich daran halten könnten und gleichzeitig diese neuen Vorschriften in die Welt hinaus exportieren könnten. Umgekehrt hat das US-Finanzministerium keine grünen Anleihen emittiert, und der Dollar hinkt dem Euro als Währung bei der Emission oder Investition in ESG-Finanzierungen hinterher.

Der Grund dafür?

Unter dem ehemaligen Präsidenten Donald Trump versuchten die USA, ESG-Investitionen aktiv einzuschränken. Nun setzen die USA unter Joe Biden auf Aufholjagd. Somit ist die EU bei den weltweiten Bemühungen um den Wiederaufbau einer nachhaltigen Wirtschaft nach der Pandemie führend. Die Lösung der Pandemie- und Klimawandelkrise erfordert globale Anstrengungen, aber Europa kann als Katalysator für eine solche Transformation dienen.

Das Interview führte

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