„Dem Reflation Trade dürfte die Luft ausgehen“
Kai Johannsen.
Herr Rieger, in den USA wurde unter der Trump-Administration zum Jahreswechsel ein 900-Mrd.-Dollar-Konjunkturprogramm zur Bekämpfung der Covid-19-bedingten Wirtschaftskrise verabschiedet. Der neue Präsident Joe Biden legte nach und stellte ein 1,9 Bill. Dollar schweres Konjunkturpaket in Aussicht. Reicht das zur Ankurbelung der US-Volkswirtschaft?
Die Summen sind gigantisch, und es stellt sich sogar die Frage, ob das nicht zu viel des Guten ist. Die USA kommen besser durch die Krise und dürften anders als Europa diesen Winter keine zweite Rezession erleben. Die privaten Einkommen sind durch die diversen Stützungsmaßnahmen seit vorigem Jahr sogar deutlich gestiegen. Gleichzeitig sind die Ausgaben bedingt durch die Lockdowns zurückgegangen. Im Ergebnis haben sich immense „Corona-Ersparnisse“ von über 1,5 Bill. Dollar gebildet. Wenn die Lockdowns vorbei sind und das Vertrauen zurückkehrt, dürfte das einen zusätzlichen Nachfrageimpuls bringen. Selbst wenn Biden bei seinem Konjunkturprogramm Abstriche machen muss, braucht man sich über die US-Konjunktur wenig Sorgen zu machen.
Die Fed flankiert die Maßnahmen der Regierung. Rechnen Sie mit weiteren Fed-Kaufprogrammen?
Die Fed hat stets gefordert, die Fiskalpolitik müsse mehr machen. Da dies nun der Fall ist und die Inflationserwartungen gestiegen sind, stehen bei der Fed weitere Lockerungsschritte erst mal nicht auf dem Programm. Die Bemühungen der US-Notenbank dürften in nächster Zeit darauf abzielen, Spekulationen über eine Reduzierung der Anleihekäufe zu unterbinden.
An den Märkten setzen viele auf eine Wirksamkeit der Maßnahmen und damit auf den Reflation Trade. Sind Sie auch vom Reflation Trade überzeugt?
In den kommenden Monaten dürfte die Teuerungsrate in den USA deutlich anziehen, bis auf 2,5% in der Kernrate und fast 3% bei der alle Güter und Dienstleistungen umfassenden Inflationsrate. Dahinter stecken jedoch coronabedingte Sondereffekte. Hinzu kommt, dass Produktionsengpässe und der Sparüberhang in einzelnen Bereichen für höhere Preise sorgen. Entscheidend ist jedoch, dass all diese Effekte temporär sein dürften. Ein nachhaltiger Preisschub ist in den nächsten Jahren angesichts von geringem Lohndruck in einer insgesamt unterausgelasteten Wirtschaft nicht zu erwarten. Die Reflationsstimmung dürfte sich zwar an den Märkten im Frühjahr noch etwas verstärken. In der zweiten Jahreshälfte dürfte dem Reflation Trade dann aber wieder einmal die Luft ausgehen.
Halten Sie es für möglich, dass Fed-Chef Powell über höhere Leitzinsen die Maßnahmen seiner Vorgängerin Yellen konterkariert?
Zinserhöhungen dürften auf absehbare Zeit kein Thema sein, zumal die Fed mit ihrem neuen Inflationsdurchschnittsziel nach dem Unterschießen der vergangenen Jahre nun ein temporäres Überschießen anstrebt.
Und wie sieht es mit den Anleihekäufen aus?
Die heiklere Frage dürfte in der Tat sein, wie es der Fed gelingt, sich ohne größere Verwerfungen aus den Anleihekäufen zurückzuziehen. In 2013 haben erste Hinweise darüber zu einem massiven Ausverkauf bei US-Treasuries geführt. Die Erfahrungen aus diesem sogenannten Taper Tantrum sprechen dafür, dass die Fed den Ausstieg länger hinauszögert und sehr behutsam agieren wird. Wir rechnen mit unveränderten Anleihekäufen bis ins erste Halbjahr 2022.
Wo sehen Sie die zehnjährige Treasury-Rendite Mitte und Ende dieses Jahres?
Bis zur Jahresmitte rechnen wir mit einem Anstieg bis auf 1,5%, am Ende des Jahres prognostizieren wir 1,2%.
Kommen wir zur Eurozone: Gewaltige Stimulierungsmaßnahmen laufen auch hier. Die Impfprogramme sind angelaufen. Welche Konjunkturentwicklung erwarten Sie für die Eurozone in diesem und im nächsten Jahr?
Nach einem sehr harten Winter darf ab Frühjahr mit einer Entspannung gerechnet werden, wobei neue Mutationen oder Probleme bei den Impfstoffen diese Entwicklung verzögern könnten. Durch den saisonalen Rückgang der Neuinfektionen und Impffortschritte bei den besonders gefährdeten Bevölkerungsgruppen sollte es jedenfalls möglich sein, die Corona-Restriktionen zu lockern, bevor Herdenimmunität erreicht ist. Die Wirtschaftsbelebung nach der ersten Infektionswelle macht dann Mut.
Besteht das Risiko, dass bei den konjunkturellen Hilfen in diesem Jahr nochmals nachgelegt werden muss?
Durch die Verlängerung der Lockdowns werden einige Soforthilfen wohl aufgestockt werden müssen. Anlass für ein weiteres Konjunkturpaket sehe ich nicht. In der Pandemie haben sich auch in der Eurozone enorme „Corona-Ersparnisse“ aufgebaut. Wenn die Lockdowns enden und sich das Vertrauen in die Konjunkturerholung festigt, dürften die rekordhohen Sparvolumen auch hier einen erheblichen Nachfrageimpuls entfalten. Deutschland profitiert zudem durch seine Exportabhängigkeit von der besseren Entwicklung in China.
Die EZB ist auch gefordert. Reicht das PEPP, oder muss noch einmal nachgebessert werden?
Der Fußabdruck der EZB ist enorm. Wir schätzen, dass die EZB unter dem PEPP und PSPP in diesem Jahr die gesamten Nettoemissionen an Euro-Staatsanleihen absorbieren wird. Zum Vergleich: Die Fed dürfte nur etwa ein Drittel des Nettoangebots an US-Treasuries aufkaufen. Von daher sollte der beschlossene PEPP-Rahmen ausreichen, solange am Markt keine Zweifel über die Entschlossenheit der EZB entstehen.
Sollte es konjunkturell nicht so laufen wie erwartet und sollte es Probleme bei Impfkampagnen geben, könnte die EZB noch mal gefordert sein. Ist es möglich, dass die Bondkaufprogramme dann auch auf Sub-Investment-Grade-Bonds ausgeweitet werden?
Die Vergangenheit hat gezeigt, dass man bei der EZB nichts ausschließen sollte. Ich denke aber, die Hürde für die EZB ist sehr hoch, Junk Bonds in die Bilanz zu nehmen. Die Fed hat dies auch nur gemacht, nachdem sie vom Finanzministerium eine Absicherung erhalten hat. Ich kann mir nur schwer vorstellen, dass sich die Euro-Staaten auf ein entsprechendes System einigen können.
EZB-Chefin Lagarde hat wiederholt betont, dass die günstigen Finanzierungsbedingungen für Unternehmen und andere Emittenten erhalten werden müssen – preserving favourable financing conditions. Ist das schon eine Zinskurvenkontrolle in der Eurozone?
Aus praktischen und rechtlichen Gründen kann die EZB keine formale Zinskurvenkontrolle einführen, auch wenn manche das gerne täten. In der Praxis versucht die EZB daher, die Renditen und Spreads über verbale Vorgaben und Kaufvolumen zu steuern. Insbesondere die flexibleren Käufe im Rahmen des PEPP ermöglichen es der EZB, Volumen dorthin zu lenken, wo die Spread-Entwicklungen ihrer Meinung nach nicht gerechtfertigt sind. So kaufte sie etwa im Frühjahr mehr Peripherieanleihen, als die Spreads unter Druck gerieten und Ausländer liquidierten, was wieder ausgeglichen wurde, als sich die Märkte beruhigten.
Wo sehen Sie die zehnjährige Bundrendite per Jahresmitte und Jahresende?
Zur Jahresmitte rechnen wir mit –0,3%, am Jahresende wieder mit –0,5%.
Wie weit könnte der Einlagensatz noch gesenkt werden?
Durch sogenannte „kompensierende Innovationen“ hat die EZB die effektive Zinsuntergrenze nach unten verschoben. Langfristkredite an Banken bis zu minus 1% und Freigrenzen beim Strafzins bewirken, dass der Nutzen von weiteren Zinssenkungen als größer erachtet wird als die negativen Nebeneffekte. Laut EZB-Studien besteht beim Einlagensatz noch Spielraum bis etwa –1%. Sofern der Euro nicht unangemessen aufwertet oder die Inflationsaussichten sich dramatisch verändern, ist jedoch nicht damit zu rechnen, dass die EZB die Zinsen weiter senken wird. Zinserhöhungen hingegen sind über viele Jahre hinweg sehr unwahrscheinlich.
Der Sechs-Monats-Euribor ist unter den Einlagensatz gefallen. Was löst das im Depositengeschäft mit Institutionellen aus?
Diese Entwicklung unterstreicht, dass Termingeldeinlagen von institutionellen Kunden mittlerweile für die allermeisten Banken zu einem großen Kostenfaktor geworden sind. Sie haben keinerlei regulatorischen Wert in den Bankbilanzen, und da so gut wie alle Banken mittlerweile ihre Freigrenzen voll ausschöpfen, müssen sie bei der EZB dafür –0,5% bezahlen. Da gleichzeitig im Zuge der Geldmengenexplosion während der Pandemie die Einlagen bei den Banken massiv angestiegen sind, sind die Banken im Pricing immer defensiver geworden. Eine Normalisierung mit einer positiven Geldmarktlaufzeitenprämie ist zu erwarten, wenn sich das Einlagenwachstum normalisiert oder die EZB die Freigrenzen erhöht.
Ein weiter Blick in die Zukunft: Wann rechnen Sie mit einem Einschwenken der EZB auf eine restriktivere Geldpolitik? Kommt das noch unter Lagarde?
Der massive Anstieg der Verschuldung während der Pandemie dürfte der EZB über Jahre hinweg die Hände binden. Damit die Schulden tragfähig bleiben und keine „Schuldendeflation“ entsteht, dürften die Zinsen auch dann noch sehr niedrig oder gar negativ bleiben, wenn die Inflation anzieht. Die Realzinsen, das heißt Zinsen nach Abzug der Inflation sind bereits jetzt tief negativ und können damit noch weiter fallen.
Das Interview führte