Britischer Leitindex wird 40

Der FTSE 100 in der Midlife-Crisis

Der FTSE 100 ist diese Woche 40 Jahre alt geworden. Er steckt in der Midlife-Crisis. Die Performance seit Auflegung war mäßig – Zukunftsunternehmen gehen nach New York.

Der FTSE 100 in der Midlife-Crisis

FTSE 100 in der Midlife-Crisis

Der britische Leitindex wird 40 Jahre alt – Performance bleibt hinter Vergleichsindizes zurück

Der FTSE 100 ist im Januar 1984 an den Start gegangen. Nun steckt er mitten in der Midlife-Crisis. Die Kursperformance war über die 40 Jahre seiner Existenz hinweg eher mäßig. Andere Börsenplätze versuchen, Unternehmen abzuwerben. Wachstumsfirmen wie den Chipdesigner Arm zieht es nach New York.

hip London

Als die London Stock Exchange (LSE) im Januar 1984 den FTSE 100 auflegte, um den FT 30 abzulösen, privatisierte Margaret Thatcher Staatsunternehmen. Der „Big Bang“ warf seinen Schatten voraus. Der elektronische Handel und das Geschäft mit Derivaten steckten noch in den Kinderschuhen. Seitdem ist der mit 1.000 Punkten an den Start gegangene Index auf zuletzt 7.716 Punkte gestiegen. Der jährliche Kursgewinn ohne Dividenden lag im Schnitt bei 5,2% und damit deutlich über dem Anstieg des britischen Einzelhandelspreisindex. Er warf mehr ab als Gold oder britische Staatsanleihen (Gilts).

Keine Kursrakete

Allerdings blieb seine Performance deutlich hinter dem S&P 500 und dem Dax, der Dividenden enthält, zurück. Das Gewicht britischer Aktien im MSCI World hat sich seit der Jahrtausendwende mehr als halbiert. Apple bringt als Einzelwert mehr auf die Waage. Das schwache Abschneiden mag damit zu tun haben, dass Banken, Versicherer und Bergbaugesellschaften im „Footsie“ großes Gewicht haben, Technologiewerte dagegen kaum eine Rolle spielen. Das 21. Jahrhundert ist gewissermaßen an ihm vorbeigegangen.

Trend zum Delisting

Der britische Chipdesigner Arm entschied sich bei seinem Börsen-Comeback für ein Listing an der Nasdaq in New York. Der Bergwerksbetreiber BHP verschob seine Hauptnotierung nach Australien. Der Baustoffhersteller CRH und der Klempner-Ausstatter Ferguson verabschiedeten sich Richtung Wall Street. Im vergangenen Jahr wurden in London 40 börsennotierte Namen nach P2P-Deals (Public to Private) vom Kurszettel gestrichen, darunter Dechra Pharmaceuticals, der Zahlungsabwickler Network International und LXI Reit. Dechra wurde vom Finanzinvestor EQT geschluckt, Network International von Brookfield. LXI Reit wurde von einem strategischen Käufer, Secure Income Reit, akquiriert.

Niedrige Bewertungen locken

M&A-Experten rechnen damit, dass ihnen angesichts niedriger Bewertungen noch viele folgen werden. „Es gibt ein paar hervorragende börsennotierte britische Unternehmen, die weiterhin unterbewertet aussehen“, sagte John Farrugia, Co-Chef der Investmentbank Cavendish, dem Gratisblatt „City A.M.“ „Wir erwarten weitere P2Ps, wenn die öffentlichen Märkte nicht anfangen sich zu erholen.“ Kein Wunder, dass in der britischen Metropole bange Fragen aufkommen.

Zahlreiche Rückschläge

„Der FTSE 100 scheint zu seinem 40. Geburtstag unter einer Vertrauenskrise zu leiden“, konstatierte Susannah Streeter, Head of Money & Markets bei Hargreaves Lansdown. „Anleger zeigen ihm die kalte Schulter, rivalisierende Handelsplätze versuchen, Mitgliedsunternehmen abzuwerben.“ Es habe in den vergangenen Jahren zahlreiche Rückschläge gegeben, vom Brexit über das auf den EU-Austritt folgende innenpolitische Durcheinander bis hin zum rasanten Anstieg der Teuerungsrate. Doch statt sich in Pessimismus zu ergehen, sollte man sich besser die Vorzüge des Börsenbarometers vor Augen führen, das mit einer Marktkapitalisierung von 1,9 Bill. Pfund in der ersten Liga spiele.

Nur wenige Pleiten

Von den Gründungsmitgliedern sind noch 26 im Index enthalten. Davon tragen 14 noch den ursprünglichen Namen. Aus Royal Bank of Scotland wurde Natwest, aus Commercial Union der Versicherer Aviva, Reed International verwandelte sich in RELX. Whitbread hat zwar ihren Namen nicht geändert. Aus der Gesellschaft, die 1742 als Brauerei anfing, ist aber ein ganz anderes Unternehmen geworden. Zuletzt verkaufte sie die Kaffeehauskette Costa Coffee an Coca-Cola. Nun betreibt sie vornehmlich die Hotelkette Premier Inn.

Anlegerschutz funktioniert

Nur drei Gründungsmitglieder gingen pleite, was man als Beleg für den Anlegerschutz werten mag, den Investoren am Main Market der LSE genießen. Es waren British & Commonwealth Shipping, Ferranti und die Baumarktkette MFI, die den Markt nach einem Management Buy-out bereits hinter sich gelassen hatte, bevor sie in der Finanzkrise unterging.

Aus Sicht von Mark Makepeace, der das LSE-Indexgeschäft FTSE Russell aufbaute, befindet sich der FTSE 100 an einem Wendepunkt. Um angesichts des Klimawandels und anderer Herausforderungen relevant zu bleiben, müsse London neue Firmen anziehen.

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