Geld oder BriefSportartikelindustrie

Die Aufholjagd von Adidas

Seit Bjørn Gulden den Vorstandsvorsitz übernommen hat, wächst das Vertrauen der Investoren in die Aktie des Sportartikelkonzerns. Sie setzen auf eine klare Wende.

Die Aufholjagd von Adidas

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Die rasante Aufholjagd von Adidas

Von Joachim Herr, München

Die Adidas-Aktie hat zwei miserable Jahre hinter sich. 2022 halbierte sich der Börsenwert des Sportartikelkonzerns nahezu. In diesem Jahr sieht es ganz anders aus: Mit einem Anstieg um bisher gut ein Drittel zählt Adidas zu den Besten im Dax. Bis zum Jahreshoch im Juni ging es sogar 42% aufwärts. Dabei bezeichnet der Vorstandsvorsitzende Bjørn Gulden 2023 als Übergangsjahr für das Unternehmen. Aber klar, an der Börse wird die Zukunft gehandelt.

Der Blick für die nahe Zukunft richtet sich auf die Zahlen für das zweite Quartal, die Adidas am 3. August veröffentlichen will. In diesen Tagen erhöhten gleich mehrere Aktienanalysten ihre Kursziele, die der Deutschen Bank und von HSBC auf 220 Euro – von zuvor 190 und 200 Euro. 220 Euro trauen der Aktie auch die Branchenexperten von Berenberg zu. Sie sind auf längere Sicht besonders optimistisch: „Wir denken, dass Adidas erst am Beginn einer aufregenden mehrjährigen Turnaround-Story steht.“ Die Analysten der Deutschen Bank formulieren es ähnlich: Neben H&M und Marks & Spencer biete Adidas eine der reizvollsten Turnaround-Stories in der europäischen Konsumgüterbranche.

Wiederbelebung einer Marke

Die erhoffte Wende zum Besseren ist vor allem mit dem Namen Gulden verbunden. Unter seinem Vorgänger Kasper Rorsted hatten sich zuletzt die Schwierigkeiten von Adidas gehäuft und verschärft – der Kursabstieg war das Spiegelbild. Als sich im November 2022 der Wechsel von Gulden als Rorsteds Nachfolger von Puma zum großen Nachbarn im fränkischen Städtchen Herzogenaurach abzeichnete und wenige Tage später feststand, genügte die Personalie, um dem Aktienkurs mächtig Auftrieb zu geben. In gut einer Woche legte er mehr als 40% zu.

Gulden genießt nach seinen erfolgreichen neuneinhalb Jahren als Vorstandschef von Puma einen enormen Vertrauensvorschuss der Investoren. Dem Norweger und ehemaligen Fußball-Profi wird zugetraut, die vielfältigen Schwierigkeiten von Adidas in den Griff zu bekommen. Gulden hat nach Ansicht der Analysten der Deutschen Bank der ältesten und zweitgrößten Sportartikelmarke der Welt wieder Leben eingehaucht. Sie erwarten, dass das Wachstum im nächsten Jahr Fahrt aufnimmt.

“Aus dem Gröbsten heraus”

Mit sichtbaren Fortschritten rechnen die Analysten der Schweizer Bank UBS schon im Bericht über das zweite Quartal – trotz eines weiterhin herausfordernden Marktes: „Adidas hat noch nicht alles durchgestanden, aber ist zumindest aus dem Gröbsten heraus.“ Das gelte etwa für den Bestand an „Yeezy“-Schuhen, von denen sich seit der beendeten Kooperation mit dem Skandal-Rapper und Designer Kanye West (Ye) etliche Millionen Paar in Lagern auftürmen.

Die Analysten von J.P. Morgan erwarten zudem, dass sich die Geschäftslage in China und den USA verbessert und sich die insgesamt hohen Lagerbestände reduziert haben. Mit dem Inventarproblem kämpfen auch die Konkurrenten, da wegen der Engpässe in den Warenlieferungen nach der ersten Phase der Corona-Pandemie die Unternehmen höhere Mengen von ihren Schuh- und Bekleidungsproduzenten in Asien bestellt hatten. Zu viel, wie sich dann herausstellte. Mit Rabattaktionen arbeiten Adidas & Co. daran, die Halden nach und nach abzubauen. Dem Weltmarktführer Nike ist das zuletzt gelungen, jedoch auf Kosten des Ertrags.

Rabatte in der Branche

Im vierten Quartal des vergangenen Geschäftsjahres, das am 31. Mai endete, nahm der Umsatz von Nike dank des mit Preisabschlägen geförderten Verkaufs um 5% auf 12,8 Mrd. Dollar zu. Doch die Bruttomarge sank um 1,4 Punkte auf 43,6%, der Gewinn vor Steuern ging um 9% auf 1,25 Mrd. Euro zurück. Der Lagerbestand war mit 8,5 Mrd. Dollar zwar so hoch wie ein Jahr zuvor, jedoch verringerte er sich kontinuierlich in den vier Quartalen des vergangenen Jahres. Startpunkt waren 9,7 Mrd. Dollar am Ende der ersten drei Monate.

Dass der Branchenprimus nun die Verkäufe ohne Rabatte steigern will und Ende Juni ankündigte, die Preise im Durchschnitt um immerhin niedrige einstellige Prozentwerte zu erhöhen, kam an der Börse auch Adidas und Puma zugute. Eine Entspannung auf der Preisseite wäre auch für die deutschen Konkurrenten von Vorteil.

Lösung für „Yeezy“

Für das „Yeezy“-Problem hat Adidas mittlerweile eine Lösung gefunden. Seit Ende Mai werden die Sneaker im Online-Handel und via App verkauft. Ein erheblicher Beitrag der Einnahmen soll Organisationen gespendet werden, die sich zum Beispiel gegen Diskriminierung und Diffamierung von Juden wenden. Da die Option, die Schuhe zu vernichten, ausbleibt, dürften die negativen Folgen für das Betriebsergebnis von Adidas in diesem Jahr geringer ausfallen, als für den schlimmsten Fall angekündigt worden ist. Auch das stützte den Aktienkurs in den vergangenen Wochen.

Die kurzfristigen Aussichten für Adidas hätten sich verbessert, meinen die Analysten von Hauck Aufhäuser. Allerdings halten sie die aktuelle Bewertung der Aktie für angemessen und empfehlen einen Verkauf mit einem Kursziel von nur 85 Euro. Skeptisch sind auch die Branchenbeobachter von der Baader Bank. Sie erhöhten das Ziel von 133 auf 140 Euro, halten aber an der Einstufung „Reduzieren“ fest. Erwartet werde ein schwaches zweites Quartal. Grund dafür sei außer den hohen Lagervorräten eine verhaltene Nachfrage.

Gedämpfte Nachfrage erwartet

Ähnliches ist von Goldman Sachs in einer Studie zum Einzelhandel zu lesen. Die Haushalte in Europa hätten zwar im ersten Quartal dieses Jahres mehr Barmittel zur Verfügung gehabt als erwartet, schreiben die Analysten der Investmentbank. Doch für das kommende Jahr rechnen sie wegen der steigenden Zinsen mit einem deutlich geringeren Anstieg der Barmittel. Die Experten von J.P. Morgan stellen sich für das zweite Halbjahr auf eine gedämpfte Nachfrage der Verbraucher ein. Jüngste Konjunkturdaten aus China deuten auf eine schwache Binnennachfrage hin. In dem sehr wichtigen Markt ist die Gefahr einer Deflation gestiegen.