GELD ODER BRIEF

Die Disney-Aktie hängt an der US-Kaufkraft

Von Dieter Kuckelkorn, Frankfurt Börsen-Zeitung, 17.7.2020 Immer dann, wenn das Copyright für die wohl berühmteste Maus aller Zeiten - Micky Maus von Disney - auszulaufen drohte, hat es hektische Aktivitäten in Washington gegeben. Mittels eines...

Die Disney-Aktie hängt an der US-Kaufkraft

Von Dieter Kuckelkorn,FrankfurtImmer dann, wenn das Copyright für die wohl berühmteste Maus aller Zeiten – Micky Maus von Disney – auszulaufen drohte, hat es hektische Aktivitäten in Washington gegeben. Mittels eines neuen Gesetzes wurde das Copyright jeweils verlängert. Zuletzt war das 1998 der Fall, als ein Gesetz mit dem Spitznamen “Mickey Mouse Protection Act” noch einmal ein paar Jahrzehnte Urheberrechtsschutz drauflegte. Gute Beziehungen in die Politik zahlen sich für einen US-Konzern halt aus. Dieser Schutz läuft nun aber 2024 aus, bislang gibt es keine neuen Anstrengungen in Washington, für eine nochmalige Verlängerung zu sorgen. Dies dürfte daran liegen, dass Disney längst ein breit diversifiziertes und gut aufgestelltes Unterhaltungs- und Medienimperium ist, das kaum noch auf die 1928 geschaffene Comicfigur und ihre Ertragskraft angewiesen ist. GötterdämmerungTrotz der für 2024 zu erwartenden Götterdämmerung, dass also die Chinesen nun auch noch ungestraft Micky Maus nachmachen dürfen, sind die Analysten für den Konzern sehr positiv gestimmt. Laut Bloomberg raten von 20 Banken derzeit 18 zum Kauf der Aktie. Nur zwei Experten legen ihren Kunden nahe, sich von dem Titel zu trennen. Allerdings ist angesichts eines Kursniveaus von rund 120 Dollar das Kurspotenzial nach Einschätzung der Analysten eher dürftig. Mit einem durchschnittlichen Zwölf-Monats-Zielkurs von 122,36 Dollar würde sich lediglich ein Ertragspotenzial von 2,5 % ergeben.Der Mediengigant mit Erlösen (2019) von 69,9 Mrd. Euro besteht aus vier großen Geschäftsbereichen: die traditionellen Studios, die Fernseh- und Radio-Networks, die Unterhaltungsparks und ähnliche Aktivitäten sowie die Streaming-Dienste, mit denen Disney zu den wenigen Konzernen gehört, die sich mit dem im November in den USA gestarteten Dienst “Disney plus” gegen die Schwergewichte Netflix und Amazon Video behaupten können. Im Wettbewerb kommt es vor allem auf Content an. Hier gibt es Vieles, womit Disney glänzen und Kunden für seinen Streaming-Dienst “Disney plus” anziehen kann: von den mit Blick auf die inhaltlichen Aussagen eher schlichten, aber enorm erfolgreichen Marvel-Filmen und -Serien bis hin zum Star-Wars-Megageschäft. J.P. Morgan spricht jedenfalls von “meteorhaftem Wachstum bei den Digitalabonnenten und den überlegenen Inhalten” von Disney.Gelegentlich ist am Markt auch schon spekuliert worden, es könne irgendwann einmal eine Fusion von Disney und Netflix geben. Ein solcher Zusammenschluss würde aber wohl erheblichen kartellrechtlichen Gegenwind zu spüren bekommen, vor allem in Europa. Außerdem wäre Disney das Unternehmen, das übernommen würde. Emporkömmling Netflix erreicht eine Marktkapitalisierung von 231 Mrd. Dollar, Traditionskonzern Disney derzeit nur 209 Mrd. Dollar. In der Coronakrise sind die Themenparks und verwandte Aktivitäten natürlich ein Sorgenkind. Im ersten Quartal hatte der Konzern einen hohen Verlust von 1,4 Mrd. Dollar hinzunehmen, da die Parks geschlossen werden mussten und auch die Kreuzfahrtschiffe in den Häfen blieben. Das Ganze sorgte auch noch für negative Publicity, weil Erbin Abigail Disney das Unternehmen öffentlich dafür kritisierte, dass es weiterhin Dividenden zahlte sowie Boni fürs Spitzenmanagement über insgesamt 1,5 Mrd. Dollar, während 100 000 Angestellte zeitweilig keinerlei Gehalt mehr bekamen und zusehen mussten, wie sie über die Runden kommen. Aktuell muss Disneyland Hongkong wegen der Pandemie wieder geschlossen werden, nachdem der Park nur einen Monat wieder in Betrieb war. Und ob sich die Kreuzfahrtindustrie jemals wieder in der Krise erholen wird, ist fraglich – schließlich sind die Schiffe perfekte Inkubatoren für Seuchen aller Art.Letztlich hat die Aktie die Krise aber recht gut gemeistert. Anfang des Jahres stand sie noch bei rund 150 Dollar, um dann im Rahmen der Pandemie bis auf knapp 86 Dollar nachzugeben. Inzwischen notiert der Titel wieder mit etwas mehr als 120 Dollar – womit aber wie bei vielen anderen Aktien hinsichtlich der Nachhaltigkeit der Erholung eine V-förmige Konjunkturentwicklung vorausgesetzt wird.Optimistisch gestimmt sind jedenfalls die Analysten von J.P. Morgan. “Unsere langfristig positive Einstellung gegenüber Disney ist unverändert”, betonten sie auf dem Höhepunkt der Coronakrise und versahen die Aktie mit einem Kursziel von 135 Dollar. Allerdings weisen sie auch auf eine Reihe von Risiken hin, die gegenwärtig bestehen. So könne es sein, dass die Streaming-Initiativen noch mehr attraktive Inhalte und Marketinginvestments benötigen, so dass sich der Zeitpunkt des Erreichens der Gewinnschwelle weiter nach hinten verschiebe.Außerdem sei nicht auszuschließen, dass die Parks, die Kreuzfahrtschiffe und die Studios über längere Zeit mit einer niedrigeren Kapazität laufen müssen und dass es auch noch länger dauert, bis es wieder Live-Sportereignisse geben wird. Ferner würde Disney auch unter einer schweren und längeren Rezession leiden: Wenn eine große Zahl von Amerikanern an den Ausgabestellen für kostenlose Lebensmittel anstehen muss, ist kein Geld mehr da für digitale Berieselung und die Traumwelten von Disney. Für das dritte Quartal gehen die Analysten von Needham jedenfalls von einem Umsatzrückgang im Vorjahresvergleich von 35 % und von einem Ergebnis je Aktie von – 0,65 Dollar aus, das sich mit einem entsprechenden Wert für das dritte Quartal 2019 von 1,35 Dollar vergleicht.Letztlich liegt das größte Risiko für Disney wohl darin, dass sich die wirtschaftliche Situation der momentan noch zahlungskräftigen Schichten der Bevölkerung in den USA und auch weltweit, auf die Disney angewiesen ist, weiter verschlechtert. Wenn das Geld knapp wird, werden zuerst nicht unbedingt notwendige Ausgaben wie Unterhaltung gestrichen. Disney hängt somit auf Gedeih und Verderb an der Kaufkraft der unterhaltungswilligen Massen.