GastbeitragAktien

Die Geister-Rally am Aktienmarkt

Von aktueller Basis aus betrachtet hat sich das Risiko-Chance-Profil für den deutschen Aktienmarkt insgesamt nicht unbedingt verbessert. Für einen weiteren Kursanstieg in der Breite bräuchte es positive Überraschungen.

Die Geister-Rally am Aktienmarkt

Die Geister-Rally am Aktienmarkt

Aktuell macht sich eine gewisse Ratlosigkeit unter Börsenstrategen breit. Hartnäckige Inflationsraten, eine drohende Rezession, Krieg in Europa und eine Vielzahl weiterer Belastungsfaktoren trüben die Stimmung der Investoren. So weit, so erwartbar. In diesem Umfeld ist der Dax in den ersten vier Monaten des Jahres allerdings um rund 14% gestiegen und hat damit die im Oktober begonnene Erholung fortgesetzt. Ähnlich sieht es auch in weiten Teilen Europas und an der US-Technologiebörse Nasdaq aus. Das wiederum passt nicht so ganz ins Bild.

Belastbare Gründe für den starken Jahresstart liegen nicht auf der Hand. Wenn auch vereinzelt auf den deutlichen Rückgang der Inflation hingewiesen wird, lässt sich dem entgegenhalten, dass 7 bis 8% Teuerung alles andere als beruhigend sind. Die Kerninflation bleibt hartnäckig, und solange das so ist, werden die Zentralbanken ihre restriktive Geldpolitik auch nicht lockern. Dass der Konsum angesichts der hohen Inflation nicht stärker leidet, mag vor allem Nachholeffekten aufgrund der Lockdowns geschuldet sein. Die während der Pandemie stark gestiegene Sparquote ist in den letzten Quartalen wieder deutlich rückläufig, und verfügbares Einkommen wird – aufgrund der gestiegenen Preise zwangsweise – vermehrt konsumiert. Auf Unternehmensebene, z. B. in der Autoindustrie, ermöglicht die Entspannung der Lieferketten vielfach ein zügigeres Abarbeiten der aufgelaufenen Auftragsbestände, so dass sich rezessive Tendenzen allenfalls im Auftragseingang zeigen. In Summe alles Gründe, die mehr nach „es hätte ja noch schlimmer kommen können“ klingen als nach einem tragfähigen Fundament für steigende Aktienkurse. Entsprechend überrascht sind viele Investoren. Angesichts der nach über zehn Jahren Null- und Niedrigzins fast schon vergessen geglaubten Rückkehr der Anleiherenditen war die aggressive Positionierung in Aktien erstmals nicht mehr alternativlos. So sind viele Anlegergruppen derzeit eher untergewichtet in Aktien. Je länger die Kurse steigen, umso größer ist der Leidensdruck, der wiederum durch die schrittweise Kapitulation der Bären weitere Nachfrage erzeugen könnte.

Die Inflationsrate bleibt in den nächsten Monaten das Maß aller Dinge. Auf Jahresbasis pendeln sich die Erwartungen für 2023 zwischen 6% und 7% ein, und auch 2024 wird das EZB-Ziel von 2% im Konsens der Bankenvolkswirte mit aktuell 2,8% nicht erreicht. Zuletzt gab es aber auch positivere Signale: Mit mehreren Preissenkungen in Folge hat Tesla den sprunghaft gestiegenen Autopreisen ein vorläufiges Ende bereitet, und auch für die deutschen Hersteller darf in der Folge die Rückkehr der Rabatte erwartet werden. Edeka hat einer ganzen Reihe von Markenanbietern im Nahrungsmittelbereich den Kampf angesagt und hat damit begonnen, Produkte mit aus Sicht des Händlers ungerechtfertigten Preiserhöhungen auszulisten. Und mit dem Auslaufen der coronabedingten Nachholeffekte wird der Konsument auch in der Breite selektiver werden. Das haben zum Beispiel auch Konzertveranstalter zuletzt erfahren. 

Von aktueller Basis aus betrachtet hat sich das Risiko-Chance-Profil für den deutschen Aktienmarkt insgesamt nicht unbedingt verbessert. Für einen weiteren Kursanstieg in der Breite bräuchte es positive Überraschungen bei den oben genannten Belastungsfaktoren. Mit den vom Konsens erwarteten 6% Gewinnwachstum dieses Jahr und weiteren 11% 2024 ist den Dax-Unternehmen allerdings schon eine sportliche Aufgabe gestellt worden. Hier zu überraschen, dürfte zumindest nicht einfach werden. Zugutehalten kann man dem deutschen Markt, dass er mit dem rund 12-Fachen der erwarteten Gewinne 2023 alles andere als ambitioniert bewertet ist.

Selektion bleibt Trumpf

Betrachtet man die Gewinner und Verlierer des Dax seit Jahresbeginn, wird vor allem eines deutlich: Nach den Jahren, in denen die Liquiditätsflut der Zentralbanken fast alle Boote gehoben hat, dominiert aktuell die Einzeltitelauswahl wieder die Portfoliorendite. Weder an der Spitze des Dax noch bei den Schlusslichtern ist ein Sektortrend erkennbar. Für Analysten und aktive Portfoliomanager die Chance, sich in dieser etwas diffusen Lage zu differenzieren.


Pascal Spano

Leiter Research Metzler Capital Markets