GASTBEITRAG ZUR SERIE: ANLAGETHEMA IM BRENNPUNKT (143)

Die Zeit ist reif für verstärkte Investments in Small Caps

Börsen-Zeitung, 14.11.2020 Die Nobelpreisträger Eugene Fama und Kenneth French haben 1993 die Existenz der sogenannten Size- oder Small-Cap-Prämie nachgewiesen. Die Ratio dahinter war damals, dass Nebenwerte risikoreicher und illiquider als...

Die Zeit ist reif für verstärkte Investments in Small Caps

Die Nobelpreisträger Eugene Fama und Kenneth French haben 1993 die Existenz der sogenannten Size- oder Small-Cap-Prämie nachgewiesen. Die Ratio dahinter war damals, dass Nebenwerte risikoreicher und illiquider als Börsenunternehmen mit einer großen Marktkapitalisierung sind, so dass sie den Anlegern eine zusätzliche Kompensation für die Übernahme dieses Risikos in Form einer zusätzlichen Rendite bieten sollten. Andere Studien zeigten zudem schon damals, dass Small Caps langfristig auch risikoadjustiert eine Überrendite generieren. Der Begriff Small Cap wird dabei für Unternehmen mit einer relativ kleinen Marktkapitalisierung verwendet, nach unserem Verständnis zwischen 500 Mill. und 5 Mrd. Euro. Um 250 % zugelegtDie Entwicklung europäischer Small Caps seit der Jahrtausendwende passt in das Bild. Sie haben um mehr als 250 % zugelegt – und damit fünfmal stärker als Large Caps. In den letzten 20 Kalenderjahren haben sie in 14 Fällen besser als größer kapitalisierte Unternehmen abgeschnitten. Allerdings gibt es auch Phasen relativ schlechterer Entwicklungen wie zum Beispiel während der Finanzkrise 2007 bis 2008.Betrachtet man die relative Entwicklung von Small und Large Caps mehr im Detail, fallen die in der Regel etwas höheren maximalen Verluste von Nebenwerteindizes auf. Dies war auch dieses Jahr im Zuge der Coronakrise zu sehen: Europäische Large Caps verloren von der Spitze knapp 35 %, während Small Caps um mehr als 38 % nachgaben. Nebenwerte kommen hingegen häufiger besser aus Krisen heraus. Etwa 2009, als europäische Small Caps sich knapp 24 % besser entwickelten als Large Caps. Und auch dieses Jahr liegen Small Caps trotz des größeren Einbruchs während der Coronakrise wieder vorne.Die Gründe dafür sind vielfältig. Allen voran ist die höhere Zyklizität aufgrund einer anderen Sektorstruktur der Small Caps zu nennen. Wenn europäische Small Caps schlechter als ihre größeren Pendants abschneiden, liegt dies auch daran, dass Small Caps teilweise jüngere Unternehmen sind, die wenig oder gar keinen Gewinn erwirtschaften und/oder über niedrigere Kapitalpuffer als Large Caps verfügen. Das ist vor allem in schwierigen Zeiten ein Risiko, da sie eher auf die Ausgabe von Aktien angewiesen sind, um sich frisches Kapital zu beschaffen. In Zeiten von Abschwüngen sind Anleger jedoch weniger bereit, neu ausgegebene Aktien zu kaufen, um ein Unternehmen über Wasser zu halten, was die Finanzierungsrisiken für das Unternehmen erhöht. Zudem sind sie oft von wenigen Produkten und Kunden abhängig. Dies macht sie empfindlich gegenüber einer erheblichen wirtschaftlichen Abschwächung. Large Caps hingegen haben in der Regel starke Marktpositionen und leiden weniger unter einem Abschwung. Darüber hinaus haben Small Caps tendenziell eine höhere operative Hebelwirkung als Large Caps, d. h., Nebenwerte haben höhere Fixkosten im Verhältnis zu den Gesamtkosten. Die variablen Kosten sind hingegen niedriger, so dass der Deckungsbeitrag für jede zusätzlich verkaufte Einheit einen relativ hohen Gewinn für das Unternehmen ermöglicht.Auch in Jahren starker Euro-Aufwertung schneiden europäische Small Caps tendenziell besser ab als Large Caps. Dies liegt zum einen daran, dass sie 70 % ihrer Umsätze in Europa erzielen, während Large Caps ihre Umsätze nur zu rund 40 % in Europa erwirtschaften. Für Überseeexporteure verschlechtern sich die Wettbewerbschancen, da ihre Waren auf dem Weltmarkt bei einem steigenden Euro teurer werden. Zum anderen geht eine Euro-Aufwertung oft mit einer Verbesserung der Weltkonjunktur einher – wie beispielsweise 2017. Ein positives Umfeld für die tendenziell zyklischeren Nebenwerte. Der Anteil an Industrieunternehmen ist beispielsweise im Small-Cap-Index beinahe doppelt so hoch wie im Large-Cap-Index. Oft WeltmarktführerDie größere Innovationsfreude und die stärkeren Wachstumschancen von kleineren Unternehmen sind die Haupttreiber der langfristig relativ besseren Entwicklung von Small Caps. Häufig investieren sie mehr in Forschung und Entwicklung als ihre größeren Pendants. Kleinere Unternehmen sind oft inhabergeführt. Vorstände sind entsprechend oftmals stark an den von ihnen geführten Unternehmen beteiligt, was die Interessen mit den Aktionären in Einklang bringt. Zudem sind sie oft in ihrem jeweiligen Nischensegment Weltmarktführer und erzielen dort deutliche Gewinne. Sie sind sogenannte “Pure Plays”, die bestimmte Anlagethemen unverwässert darstellen. Standardwerte sind hingegen häufig Mischkonzerne, die ihre höchsten Gewinnwachstumsraten bereits hinter sich haben. Deshalb zeigen Nebenwerte im Vergleich zu Standardwerten oft überproportionale Wachstumsraten. Sie profitieren von einer niedrigen Umsatz- und Gewinnbasis. Übernahmekandidaten Weitere wesentliche Treiber der langfristigen Outperformance von Nebenwerten sind neben einer Illiquiditätsprämie eine höhere Übernahmewahrscheinlichkeit durch andere Unternehmen. Nebenwerte sind attraktive Übernahmekandidaten: Spezielles Know-how wird akquiriert, neue Nischenmärkte mit überproportionalen Wachstumsraten werden erschlossen. Das anhaltend niedrige Zinsumfeld sowie hohe Barmittelbestände bei Standardwerten begünstigen dabei Übernahmen besonders stark.In der Vergangenheit boten Small Caps bessere Möglichkeiten zur profitablen Aktienselektion als Large Caps, und das ist noch immer der Fall. Das liegt zum einen daran, dass die paarweise Korrelation zwischen Small Caps deutlich niedriger als bei Large Caps ist. Zum anderen gibt es deutlich mehr ETFs und damit verwaltetes Kapital auf Large-Cap-Indizes. Kaufen oder verkaufen Investoren Indexfonds, so beeinflussen diese Flows alle Indexbestandteile gleichermaßen. Zudem weisen Nebenwerte höhere unternehmensspezifische Risiken auf – sie hängen oft nur von einem Endmarkt ab und sind regional und produkttechnisch nicht so diversifiziert wie größere Mischkonzerne. Das hat auch zur Folge, dass einzelne Nebenwerte deutlich volatiler als Blue Chips sein können, Small-Cap-Indizes jedoch aufgrund der geringeren Korrelation der Benchmark-Bestandteile nicht unbedingt volatiler als Large-Cap-Indizes sind.Kleinere Unternehmen bekommen darüber hinaus weniger Aufmerksamkeit durch Aktienanalysten und Medien. Folglich haben Anleger weniger Einblick in die Geschäftsmodelle und Unternehmenskultur. Dadurch ergeben sich Ineffizienzen in der Aktienbewertung. Für aktive Anleger bietet das die Chance auf höhere Erträge. Das liegt auch daran, dass das Investment-Universum bei europäischen Nebenwerten riesig ist. Den ca. 250 Unternehmen mit einer Marktkapitalisierung von mehr als 10 Mrd. Euro stehen mehr als 6 000 Börsenunternehmen mit einer Marktkapitalisierung von weniger als 5 Mrd. Euro gegenüber. Bei ESG im NachteilZwei große Flow-Trends dürften Nebenwerte in den nächsten Jahren beeinflussen. Unterstützend wirkt die gestiegene Nachfrage nach thematischen Investments. Small Caps finden sich häufig in Themenfonds wieder, da diese oft verlangen, dass ein gewisser Mindestumsatzanteil (zum Beispiel 50 %) in bestimmten Trendfeldern wie Robotics oder künstlicher Intelligenz erzielt werden muss. Da Small Caps häufig Pure Plays auf gewisse Sektoren sind, werden sie überproportional bei Themenfonds eingesetzt. Etwas nachteilhaft für Small Caps dürfte hingegen der ESG-Trend sein, jedenfalls wenn dieser passiv über ETFs abgebildet wird. Diese verwenden häufig das ESG-Rating großer Indexanbieter. Kleinere Unternehmen verfügen oft nicht über die gleichen Ressourcen wie Large Caps, über ihre ESG-Aktivitäten mit den Ratingagenturen zu kommunizieren. Entsprechend erhalten sie oft zu Unrecht schlechtere ESG-Ratings, was zu einer niedrigeren ESG-Flow-Nachfrage führen dürfte. Wie sieht die relative Entwicklung von Small zu Large Caps nach Risiko-Adjustierung aus, also wenn man die Rendite ins Verhältnis zur Volatilität setzt? Auch da haben die Nebenwerte in den letzten beiden Jahrzehnten die Nase vorn. Von 2010 bis 2020 lag beispielsweise das Rendite-Risiko-Verhältnis von europäischen Small Caps bei 0,63, bei Large Caps stand es bei 0,48. Im Jahrzehnt davor haben Large Caps eine negative Rendite erwirtschaftet, während Small Caps zulegen konnten. Die Volatilität auf Indexebene war dabei im Zeitraum 2000 bis 2010 für Large Caps sogar höher als für Small Caps. Im anschließenden Jahrzehnt besaßen Small Caps eine leicht höhere Schwankungsbreite.Insgesamt schätzen wir europäische Small Caps als attraktiv ein. Kleinere Unternehmen dürften von einer synchronen weltweiten Wirtschaftserholung nächstes Jahr profitieren. Zudem spricht auch die Saisonalität klar für Nebenwerte: Historisch betrachtet haben sich Small Caps insbesondere von Oktober bis April deutlich besser entwickelt als Large Caps. Die Zeit ist also unserer Meinung nach reif, um sowohl langfristig als auch taktisch vermehrt auf Nebenwerte zu setzen. Zuletzt erschienen: – Familienunternehmen bieten attraktive Anlagechance (142), Pictet Asset Management Für die EZB geht es um die Glaubwürdigkeit (141), H&A Global Asset Management Ulrich Urbahn, Leiter Multi Asset Strategy & Research bei Berenberg