Geld oder BriefHensoldt

Ein Ritt auf der Rüstungswelle

Die Verteidigungsindustrie lässt sich nur schwerlich mit der Logik der Börse erfassen. Die Aufträge sind sehr langfristig, und die einzelnen Quartale sind wenig aussagekräftig. Der Kurs von Hensoldt hat sich seit der Erstnotiz 2020 trotzdem verdreifacht.

Ein Ritt auf der Rüstungswelle

GELD ODER BRIEF

Hensoldt reitet auf der Welle

Von Michael Flämig, München

Die Verteidigungsindustrie ist für den Kapitalmarkt ein schwieriges Terrain. Dies lässt sich an den Kursturbulenzen rund um die Hensoldt-Aktie zeigen. Als der Hersteller von Rüstungselektronik, der zu Europas führendem plattformunabhängigen Anbieter von Sensorlösungen mit globaler Reichweite werden will, am 23. Februar sein vorläufiges Jahresergebnis vorlegte, sauste der Kurs um 7% in die Tiefe. Die Umsatzprognose 2024 wurde als enttäuschend angesehen.

Nachdem die Investoren über das Wochenende die Daten studiert hatten, korrigierten sie ihre Einschätzung. Schon am nächsten Handelstag erreichte der Kurs wieder sein vorheriges Niveau von gut 33 Euro. Hierzu mag beigetragen haben, dass Warburg Research das Kursziel für Hensoldt von 34,00 auf 39,50 Euro anhob und die Aktie weiterhin zum Kauf empfahl.

Volatile Quartale

Das Beispiel zeigt: Die Verteidigungsindustrie lässt sich nur schwerlich mit der Logik der Börse erfassen. Es handelt sich um ein sehr langfristiges Geschäft. Die Aufträge werden über lange Zeiträume abgearbeitet, stammen aus völlig unterschiedlichen Waffensystemen und sind daher strukturell schwer zu verstehen. Bis vor dem Großangriff Russlands auf die Ukraine schien es außerdem so zu sein, dass große institutionelle Anleger aus ESG-Überlegungen zunehmend die Finger von Rüstungsinvestments lassen würden.

Als hemmender Faktor kommt hinzu, dass die Industrie in der ökonomischen Logik ihrer staatlichen Auftraggeber denken muss. Dies bedeutet nicht zuletzt, dass die Orders meist in Richtung Jahresende abgerechnet werden. Für die Anleger ist dies misslich, weil die Zahlen der ersten Jahreshälfte wenig aussagekräftig sind.

Dies zeigt das Beispiel Hensoldt im vergangenen Jahr. Nach zwei Quartalen hatte das Unternehmen aus Taufkirchen bei München einen bereinigten operativen Gewinn (Ebitda) von 82 Mill. Euro eingefahren. Dies entsprach einer Marge von nur 11%. Im Gesamtjahr aber sollten rund 19% erreicht werden. Selbst nach neun Monaten schien das Ziel kaum erreichbar, meldete der Vorstand doch 15%.

Zeitenwende im Februar 2022

Doch diese Indikationen erwiesen sich wieder einmal als irreführend: Letztlich übertraf Hensoldt mit 19,9% das Jahresziel sogar, der Umsatz stieg auf 1,8 Mrd. Euro. „Wir konnten im Berichtsjahr durch eine weiter verbesserte operative Projektabwicklung wichtige Fortschritte erzielen und unser profitables Wachstum fortsetzen“, stellte Finanzvorstand Christian Ladurner bei Vorlage der vorläufigen Jahreszahlen fest. Mit dem Kauf des Systemintegrators ESG (330 Mill. Euro Umsatz, 14% Ebitda-Marge) wird dieses Wachstum nun auch anorganisch unterstützt.

Hensoldt ist seit dem 25. September 2020 an der Börse notiert, die Firma wurde vom US-Finanzinvestor KKR in den öffentlichen Handel geschickt. Der Tag der Erstnotiz endete enttäuschend: Der Kurs sauste ausgehend vom Ausgabepreis in Höhe von 12 Euro zeitweise um 12% nach unten. Bis zum 23. Februar 2022 schwankte das Papier um das Niveau des Ausgabepreises, zudem limitierte der geringe Streubesitz den Spielraum. Aktuell beträgt er 52%.

Doch als die Menschheit am 24. Februar 2022 mit dem brutalen Angriffskrieg des Diktators Wladimir Putin auf die Ukraine konfrontiert war, veränderte sich auch die Welt der Rüstungshersteller. Der Hensoldt-Kurs sprang schon am ersten Kriegstag auf 14,08 Euro, wenige Tage später wurde die Schallmauer von 20 Euro durchbrochen. Im April 2023 folgte der bisherige Höchststand von 36,98 Euro. Hensoldt reitet auf der Welle der verstärkten Verteidigungsausgaben.

Analysten gespalten

Bei der aktuellen Bewertung muss es nicht bleiben, wenn es nach den Analysten geht. Warburg markiert das obere Ende der Kursziele. Der Rüstungsboom spiegele sich allmählich in der finanziellen Entwicklung wider, ist Analyst Christian Cohrs überzeugt. Citi liegt mit 37,70 Euro leicht unter dem Warburg-Wert.

Nicht jeder ist so zuversichtlich für die Hensoldt-Bewertung. J.P. Morgan stuft die Aktie mit „Neutral“ und einem Kursziel von 28 Euro ein, Morgan Stanley kommt sogar auf nur 24 Euro. Unter dem aktuellen Kurs liegen auch Kepler Cheuvreux und Oddo (jeweils 30 Euro). 2024 wird ein prägendes Jahr für Hensoldt: Thomas Müller übergibt Anfang April den Vorstandsvorsitz an Oliver Dörre.