Geldpolitik

Erdogan löst Talfahrt bei Türkei-Bonds aus

Der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan hat am 20. März Zentralbankgouverneur Naci Agbal entlassen. Agbal war erst vor vier Monaten ins Amt gekommen, um das Vertrauen in die Lira wiederherzustellen, und hatte die Geldpolitik deutlich...

Erdogan löst Talfahrt bei Türkei-Bonds aus

Von Janis Hübner *)

Der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan hat am 20. März Zentralbankgouverneur Naci Agbal entlassen. Agbal war erst vor vier Monaten ins Amt gekommen, um das Vertrauen in die Lira wiederherzustellen, und hatte die Geldpolitik deutlich gestrafft. Der Kurs der Lira notierte in den Monaten nach seiner Ernennung bis zu seiner Entlassung gegenüber dem Dollar 17% fester. Als letzte Amtshandlung hatte er am 18. März den Leitzins überraschend deutlich um 200 Basispunkte (BP) auf 19% angehoben. Offenbar hatte er für diesen Schritt nicht die Rückendeckung des Präsidenten, der ihn nur zwei Tage später entließ und damit die Lira erneut auf Talfahrt schickte.

Mehr Transparenz

Agbal hatte für mehr Transparenz in der Geldpolitik gesorgt. Ausländische Portfolioinvestoren waren zurückgekehrt, und türkische Haushalte und Unternehmen hatten das Tempo ihrer Gold- und Devisenkäufe verlangsamt. Was ein Zentralbankchef in dieser Zeit erreichen kann, hat er erreicht. Allerdings hätte er mehr Zeit benötigt, um die überhitzte Wirtschaft wirksam abzubremsen, die noch immer von der Ausweitung der Kreditvergabe in der Anfangsphase der Coronakrise getrieben wird. Der nachfragebedingte Inflationsdruck ist daher weiterhin hoch, und die Leistungsbilanz weist nach wie vor ein hohes Defizit aus.

Eine Aufgabe für mehrere Jahre wäre es gewesen, die Märkte davon zu überzeugen, dass die türkische Zentralbank tatsächlich unabhängig ist. Erst wenn dies überzeugend gelänge, könnten die Inflationserwartungen so verankert werden, dass das Erreichen des Inflationsziels von 5% realistisch würde. Und erst dann würden türkische Haushalte und Unternehmen wieder Vertrauen in ihre Landeswährung fassen, die Goldkäufe stoppen und ihre Devisenguthaben auflösen. Diesen Weg zu gehen, hätte allerdings auch bedeutet, sich für einige Jahre mit einem geringeren Wirtschaftswachstum zu begnügen, was für Erdogan nicht in Frage kam.

Treuer Gefolgsmann

Der neue Zentralbankgouverneur Sahap Kavcioglu gilt als treuer Gefolgsmann Erdogans, der sich in der Vergangenheit wie Erdogan für niedrige Zinsen starkgemacht hat. Nach seiner Ernennung hat er sich zwar dazu bekannt, bei geldpolitischen Entscheidungen den Inflationsausblick und Kapitalströme zu berücksichtigen. Das spricht dafür, dass er den Spielraum für Zinssenkungen als gering sieht. Er hat aber auch erklärt, sich beim Realzinsniveau an vergleichbaren Ländern orientieren zu wollen. Das deutet eher auf schnelle Zinssenkungen hin, möglicherweise schon auf der kommenden Sitzung am 15. April. Doch unabhängig davon, wie schnell die Leitzinsen nun gesenkt werden: Es ist kaum darauf zu hoffen, dass unter Präsident Erdogan die türkische Geldpolitik dauerhaft auf Geldwertstabilität und das Erreichen des Inflationsziels ausgerichtet wird.

Eine Kehrtwende hat Erdogan nicht nur mit Blick auf die Geldpolitik vollzogen. Auch die diplomatischen Beziehungen mit dem Westen werden einer neuen Belastungsprobe unterzogen. Die türkische Staatsanwaltschaft hat ein Verbotsverfahren gegen die kurdische HDP, die drittgrößte Partei des Landes, eingeleitet und die Türkei hat die Istanbul-Konvention zum Schutz von Frauen vor Gewalt verlassen. Beide Schritte werden vor allem in der EU scharf kritisiert. Die ohnehin schlechten Beziehungen der Türkei zu den USA könnten einen weiteren Schlag erhalten, wenn US-Präsident Joe Biden seine Ankündigung wahr macht und als erster US-Präsident die Tötung der Armenier während des Ersten Weltkriegs als Völkermord einstuft.

Schlechte Bonität

Die Ratingagenturen stufen die Bonität der Türkei schon seit längerer Zeit als schlecht ein. Fitch vergibt ein „BB–“ und hat den Ratingausblick im Februar auf stabil angehoben. Die Begründung für die Anhebung war unter anderem die Erwartung einer Fortführung der stabilitätsorientierten Geldpolitik. Für den Fall einer Abkehr von diesem Kurs droht Fitch mit einer Herabstufung. S&P vergibt ebenfalls einen stabilen Ausblick, liegt aber mit „B+“ eine Stufe unter Fitch. Besonders kritisch ist die Einstufung von Moody’s mit „B2“ und einem negativen Ausblick. Sollte sich in den kommenden Monaten zeigen, dass die türkische Zentralbank ihre ohnehin geringen Währungsreserven einsetzt, um die Lira zu stützen, könnte auch Moody’s eine weitere Herabstufung vornehmen.

Die Spreads türkischer Eurobonds haben sich im Zuge der jüngsten Unsicherheit ausgeweitet. Der EMBIG-Spread der Türkei stieg um 125 BP auf 550 BP. Das hohe Spread-Niveau spiegelt die schlechten Fundamentaldaten der Türkei wider. So zählt die Fremdwährungsverschuldung von Staat und Unternehmen zu den höchsten der Welt. Zudem weist die türkische Leistungsbilanz seit Beginn der Coronakrise ein hohes Defizit aus, das über Kapitalzuflüsse finanziert werden muss. Die türkische Zentralbank hat sich unter dem Vorgänger Agbals zudem massiv über Swap-Geschäfte bei türkischen Banken Dollar geliehen, um mit diesen Devisen die Lira zu stützen. Die Netto-Währungsreserven sind mittlerweile sogar negativ. Ohne den Puffer hoher Währungsreserven, den viele andere Schwellenländer aufgebaut haben, ist die Türkei auf den Zugang zum internationalen Finanzmarkt angewiesen.

Dass die Spreads türkischer Eurobonds nicht ein noch höheres Ausfallrisiko signalisieren, liegt daran, dass sich die türkische Wirtschaft in der Vergangenheit als sehr widerstandsfähig erwiesen hat. Rezessionen werden schnell überwunden und türkische Banken konnten sich in der Vergangenheit auf stabile Geschäftsbeziehungen ins Ausland verlassen. Zudem ist der türkische Staat mit rund 40% des Bruttoinlandsproduktes (BIP) nicht sehr hoch verschuldet. Die Zinsbelastung des Staates liegt bei knapp 3% des BIP, und die Staatsverschuldung ist daher tragbar. Eine Restrukturierung der türkischen Schulden wäre aufgrund des hohen Anteils türkischer Gläubiger für Erdogan politisch eine Katastrophe, die ihn das Amt kosten würde.

Große Ablehnung

Die Türkei wäre grundsätzlich in der Lage, ihre Probleme durch eine stabilitätsorientierte Geld- und Fiskalpolitik in den Griff zu bekommen. Daher erscheint es eher unwahrscheinlich, dass auf dieses Mittel verzichtet werden würde, falls die Wirtschaft in eine schwere Zahlungsbilanzkrise rutschen sollte, die den Gang zum ungeliebten Internationalen Währungsfonds nötig machen würde. Auch die Möglichkeit von Kapitalverkehrskontrollen wird immer wieder diskutiert. Auch hier gilt, dass sie in der Bevölkerung auf große Ablehnung stoßen würden und wohl ebenfalls die Wiederwahl Erdogans unmöglich machen würden.

Mit der nächsten Präsidentschaftswahl, die spätestens 2023 stattfinden wird, verbinden viele Investoren die Hoffnung auf einen politischen Wechsel und stabilere Verhältnisse. Bis dahin wird es volatil bleiben.

*) Janis Hübner ist im Makro-Research der DekaBank tätig.