Ermittlungen gegen Carsten Kengeter ziehen sich hin
Von Christopher Kalbhenn, FrankfurtCarsten Kengeter dürfte sehnlichst auf den Tag warten, an dem das Insiderhandels-Ermittlungsverfahren gegen ihn zum Abschluss kommt. Ein Jahr nachdem er mit der Ankündigung seines Rücktritts als Vorstandsvorsitzender der Deutschen Börse die Reißleine gezogen hat, weil das Amtsgericht Frankfurt den Deal mit der Staatsanwaltschaft zur Einstellung des Verfahrens abgelehnt hatte, sieht es so aus, als müsste er sich noch eine Weile gedulden. Auf Anfrage erklärte die Staatsanwaltschaft gestern, dass nach wie vor ermittelt werde, ohne sich zur voraussichtlichen Dauer zu äußern. Im zurückliegenden Monat hat das Bundeskabinett die Befragung des Bundestagspräsidenten und ehemaligen Bundesfinanzministers Wolfgang Schäuble als Zeugen durch die Staatsanwaltschaft genehmigt. Auch zur Frage, ob die Befragung bereits stattgefunden hat, äußerte sich die Staatsanwaltschaft gestern nicht.Dass Schäuble befragt wurde oder noch wird, zeigt, dass die Staatsanwälte weiterhin der Frage nachgehen, wie weit die Fusionsgespräche mit der London Stock Exchange (LSE) bereits gediehen waren, als Kengeter jenen verhängnisvollen Aktienkauf tätigte. Kurz die wesentlichen Fakten: Am 14. Dezember 2015 kaufte Kengeter im Rahmen eines für ihn vorgesehenen Vergütungspakets 60 000 Aktien der Deutschen Börse im Wert von 4,5 Mill. Euro. Nur rund zwei Monate später, am 23. Februar 2016, gaben die Deutsche Börse und die LSE ihr Fusionsvorhaben bekannt. Am 1. Februar 2017 musste die Deutsche Börse mitteilen, dass die Staatsanwaltschaft gegen Kengeter wegen des Verdachts des Insiderhandels Ermittlungen eingeleitet hatte. Diese erklärte: “Der Anfangsverdacht gegen den Beschuldigten resultiert aus Gesprächen, die in der Zeit von Juli/August bis Anfang Dezember 2015 durch die Leitungsebenen der DBAG und der ,London Stock Exchange Group plc` (LSE) geführt wurden und eine mögliche Fusion beider Unternehmen sowie die Frage des möglichen Sitzes der Holdinggesellschaft zum Inhalt hatten.” Dem Beschuldigten werde zur Last gelegt, Mitte Dezember 2015 in Kenntnis dieser bis damals nicht veröffentlichten Vertragsgespräche, welche die Staatsanwaltschaft als Insiderinformation im Sinne des Wertpapierhandelsgesetzes werte, Aktien der Deutschen Börse erworben zu haben. Die Wohnung und der Arbeitsplatz seien durchsucht worden mit dem Ziel, den Gang der Fusionsverhandlungen bis zum 23. Februar 2016 zu klären.Im Kern geht es um die Frage, wie glaubwürdig die Aussage der Deutschen Börse beziehungsweise Kengeters ist, dass die Fusion mit der LSE zum damaligen Zeitpunkt nur eine von mehreren strategischen Optionen gewesen sei – wobei sich im Übrigen die Frage stellt, was denn die anderen Optionen waren oder wie gleichwertig diese waren. Daher ist auch der damalige Bundesfinanzminister Schäuble ein wichtiger Zeuge. Denn Kengeter hat am 1. September und am 3. November 2015 mit Schäuble über das Fusionsvorhaben gesprochen. Kurz nach dem zweiten Treffen sandte die Deutsche Börse Schäuble ein Papier zu, in dem unter anderem die Standortfrage erörtert wurde. Bekannt geworden ist mittlerweile auch, dass Kengeter den CEO der LSE, Xavier Rolet, bereits am 27. März 2015 zum ersten Mal getroffen hat und vor der Aktientransaktion 15 Treffen von Managern beider Börsenbetreiber stattgefunden haben.Auch für die Staatsanwaltschaft ist das Verfahren heikel, nachdem der von ihr angeregte Deal vor einem Jahr vom Amtsgericht abgelehnt worden ist. Sofern erneut eine Geldbuße ins Rennen geworfen werden sollte, wird deren Höhe hoch genug ausfallen müssen, um von der BaFin geäußerte Bedenken gegen den damaligen Deal auszuräumen und den neuen, höhere Bußen fordernden europäischen Normen zu genügen.Ein schnödes Bereicherungsmotiv Kengeters – also ein Versuch, durch den Verkauf der erworbenen Aktien kurz nach Bekanntgabe des Fusionsplans einen schnellen Gewinn einzufahren – kann wiederum ausgeschlossen werden. Abgesehen davon, dass Kengeter bereits recht wohlhabend war, ist der Verkauf der Aktien frühestens im kommenden Jahr möglich. Der Kauf wurde den gesetzlichen Vorschriften entsprechend gemeldet. Das verheerende Timing ist auch darauf zurückzuführen, dass Kengeter die Aktien im Rahmen eines Co-Performance-Investment-Plans erwarb, der bis zum 31. Dezember 2015 befristet war.Ein Vorwurf bleibt aber auf jeden Fall: Kengeter und der Aufsichtsratsvorsitzende, Joachim Faber, hätten angesichts der Fusionsgespräche völlig unabhängig von einer rein juristischen Bewertung ein Gespür dafür haben müssen, dass auf den Aktienkauf hätte verzichtet werden müssen. Gerade das Management eines Börsenbetreibers darf nicht einmal ansatzweise in den Verdacht des Insiderhandels kommen.