Im InterviewWolf von Rotberg

"Es gibt eine Diskrepanz zu dem, was an den Märkten eingepreist ist"

Die Finanzmärkte befinden sich gegenwärtig in einem Spannungsfeld zwischen Konjunkturschwäche und der Hoffnung auf baldige Leitzinssenkungen der großen Notenbanken. Wolf von Rotberg, Equity Strategist bei J. Safra Sarasin, erläutert, wie sich Anleger in dieser Situation positionieren sollten und wo Chancen liegen.

"Es gibt eine Diskrepanz zu dem, was an den Märkten eingepreist ist"

Im Interview: Wolf von Rotberg

"Es gibt eine Diskrepanz zu dem, was an den Märkten eingepreist ist"

Aktienstratege von J. Safra Sarasin hält die Leitzinserwartungen für zu optimistisch – Zunächst europäische Aktien empfohlen

Von Dieter Kuckelkorn, Frankfurt
ku Frankfurt

Die Finanzmärkte befinden sich gegenwärtig in einem Spannungsfeld zwischen Konjunkturschwäche und der Hoffnung auf baldige Leitzinssenkungen der großen Notenbanken. Wolf von Rotberg, Equity Strategist bei J. Safra Sarasin, erläutert, wie sich Anleger in dieser Situation positionieren sollten und wo Chancen liegen.

Herr von Rotberg, wie stellt sich Ihrer Meinung nach vor dem Hintergrund von anstehenden Zinssenkungen der großen Notenbanken das Umfeld für die Märkte dar?

Wir gehen in unseren Prognosen davon aus, dass die Fed und die EZB in der zweiten Jahreshälfte 2024 mit ihren Zinssenkungen beginnen. Damit besteht natürlich eine gewisse Diskrepanz zu dem, was derzeit in den Märkten eingepreist ist. Wir gehen davon aus, dass der Rückgang der Inflation nicht mehr so dynamisch verläuft wie bisher, weil es nach wie vor die strukturellen Inflationstreiber gibt. Daher werden die Zentralbanken dem gegenwärtigen Pricing an den Märkten entgegenwirken wollen.

Und wie sehen die Konjunkturperspektiven aus?

Wir glauben, dass der eigentliche Abschwung in den USA erst im zweiten oder dritten Quartal 2024 einsetzen wird, so dass dann die Zentralbanken auch damit beginnen werden, die Zinsen zu senken.

Rechnen Sie noch damit, dass es in den USA zu einer Rezession kommen wird?

In unserer Prognose gehen wir noch von einer leichten Rezession in den USA aus, die nun im zweiten und dritten Quartal einsetzen könnte, damit später als noch vor einiger Zeit erwartet. Im Rückblick muss man sagen, dass 2023 in den USA besser verlaufen ist als allgemein erwartet, was wir vor allem auf den fiskalischen Stimulus zurückführen, der mit Blick auf das hohe Defizit im Staatshaushalt von 6,5 bis 7% so nicht zu erwarten war. Auch der private Konsum in den USA entwickelte sich sehr gut angesichts einer im internationalen Vergleich sehr niedrigen Sparquote.

Werden diese Tendenzen anhalten?

Vermutlich werden wir 2024 einen gegenläufigen Effekt sehen, mit einem etwas geringeren Defizit und einem nachlassenden fiskalischen Impuls. Dadurch bekommen wir wohl eine deutliche Abkühlung im Konjunkturzyklus. Außerdem werden die Zinserhöhungen wohl noch ihre Wirkung entfalten, deren zeitliche Verzögerung bekanntlich schwer abzuschätzen ist.

Was erwarten Sie für die Konjunktur in der Eurozone?

Für die Eurozone gehen wir im kommenden Jahr von einem Wirtschaftswachstum von 0,5% aus. Auch hier sind wir etwas vorsichtiger beispielsweise als der Internationale Währungsfonds, der 0,9% erwartet. Problematisch sind in der Eurozone die steigenden Zinskosten, die auch die fiskalischen Spielräume einschränken, insbesondere in Deutschland. Allerdings dürfte Europa davon profitieren, dass es in China zu einer gewissen konjunkturellen Stabilisierung kommt.

Wie lautet Ihre Prognose für China?

Für China gehen wir von einem Wirtschaftswachstum von 4,5% aus, mit der Perspektive, dass Maßnahmen der Regierung für eine gewisse Beschleunigung darüber hinaus sorgen könnten. Für China ist es dabei eine Herausforderung, dass sich das Wachstumsmodell ändert, und zwar weg von einem Wachstum, das vom Immobilienmarkt getrieben wird, hin zu einer Stützung strategisch wichtiger Sektoren. Daher ist zu erwarten, dass China zu einem exportgetriebenen Wachstumsmodell zurückkehren wird. China wird damit den globalen Konjunkturzyklus stabilisieren, aber nicht mehr den weißen Ritter spielen wie nach der Finanzkrise.

Wie sehen damit die Perspektiven für die Aktienmärkte aus?

Nun, wir sind weiter vorsichtig, was die Perspektiven für das erste Halbjahr betrifft. So sind US-Aktien derzeit relativ teuer, vor allem mit Blick auf den Fixed-Income-Markt. Wenn man sich die Renditen am US-Aktienmarkt ansieht, so ist der Spread gegenüber Anleihen auf dem tiefsten Niveau seit 20 Jahren angekommen. Auf Basis der Konsensschätzungen für die kommenden zwölf Monate kann man von ungefähr 5,8% Rendite für Aktien ausgehen bei einer Rendite zehnjähriger Staatsanleihen von kürzlich noch 4,5% und jetzt ungefähr 4,2%. Die niedrige Risikoprämie bei Aktien ist nur dann gerechtfertigt, wenn sich das Wachstum in den USA hält, weil diese Risikoprämie stets relativ gut mit dem Anstieg des Bruttoinlandsproduktes korreliert. Sollte sich das Wachstum aber abschwächen, ist die niedrige Risikoprämie nicht mehr zu rechtfertigen, weil dann nur ein relativ niedriger Anstieg der Gewinne zu erwarten ist. Allerdings dürften die Zinsen in den USA sinken, dies ist neben einem Anstieg der Gewinne grundsätzlich die andere Art, wie sich die Risikoprämie erhöhen könnte. Letztlich muss man aber festhalten, dass Anleihen derzeit besser aussehen als Aktien. Dies spricht für eine zunächst vorsichtige Positionierung am Aktienmarkt. In der zweiten Jahreshälfte 2024 dürften sich die Aktien dann besser entwickeln, was dann einen guten Einstiegszeitpunkt darstellen würde.

Welche Regionen wären ab der zweiten Jahreshälfte für Aktienanleger besonders interessant?

Ab dem zweiten Halbjahr ist wahrscheinlich wieder der US-Aktienmarkt besonders interessant, wenn es vorher, wie wir erwarten, zu einer gewissen Normalisierung kommt. Momentan haben wir eine taktische Präferenz für Aktien aus der Eurozone, wo die Bewertungen derzeit extrem attraktiv sind, weil die Erholung in China Europa in die Hände spielt. Zudem trägt die Schwäche des Euro den europäischen Aktienmarkt.

Wie sind Ihrer Meinung nach die Aussichten für die Aktienmärkte der Emerging Markets?

In China sehen wir eine gewisse Erholung auf der Makroseite. Wir glauben aber, dass dort momentan die Risiken für die einzelnen Sektoren sowie für Einzelaktien nur schwer abzuschätzen sind, unter anderem aufgrund des regulatorischen Umfelds. Wir können derzeit beobachten, dass einzelne Sektoren extrem unter Druck geraten, ohne dass dies eine zyklische Makrokomponente hätte. Das bedeutet für uns, dass wir für den chinesischen Markt recht vorsichtig bleiben, wegen der schwer abschätzbaren Risiken. Für die Emerging Markets ex China sind wir recht zuversichtlich gestimmt. Wir gehen davon aus, dass sich der Dollar im Jahresverlauf wegen der schlechter laufenden US-Wirtschaft abschwächen wird, was den Zentralbanken in den Schwellenländern einen gewissen Spielraum gibt, die Zinsen zu senken, weil der Druck durch einen starken Dollar, der auf Schulden aus den Emerging Markets lastet, schwächer wird. Wir rechnen damit, dass sich die Aktienmärkte der Schwellenländer außerhalb Chinas relativ solide entwickeln werden. Aber auch hier muss man differenzieren, die Märkte der rohstofflastigen Länder werden sich vermutlich nicht so positiv entwickeln. Märkte wie Mexiko, Korea und Taiwan erscheinen uns hier besonders attraktiv.

Nun kann man den chinesischen Markt auch über Bande spielen. So sind ja viele europäische Aktien in einem hohen Maß vom Chinageschäft abhängig.

Ja, dies ist einer der Gründe, weshalb wir davon ausgehen, dass sich Aktien aus der Eurozone zunächst besser entwickeln werden. Es gibt Aktien mit einem hohen China-Engagement, aber gerade im verarbeitenden Gewerbe ist der europäische Konjunkturzyklus in einem gewissen Maß von China abhängig. Dies ist praktisch für uns der präferierte Weg, um von der Makro-Erholung in China zu profitieren.

Wäre mit Blick auf das große China-Engagement der dortigen Unternehmen auch der japanische Aktienmarkt interessant?

Das China-Engagement spielt hier weniger eine Rolle. Vielmehr gehen wir davon aus, dass ein schwächerer Yen zu einer besseren Performance japanischer Aktien führen wird. 2023 haben wir eine extreme Schwäche des Yen gesehen, die vor allem durch eine Veränderung der Zinsdifferenz zu den USA und dem Rest der Welt zustande kam. In Japan sind die Zinsen extrem niedrig geblieben, so dass der Yen mehr und mehr zu einer Funding-Währung geworden ist. 2024 dürfte der Yen mit fallenden Zinsen in den USA und anderen Teilen der Welt stark ansteigen, was einen massiven Gegenwind für japanische Aktien bedeutet. Wir haben daher japanische Aktien nicht in unserem Anlagefokus

Welche Sektoren bevorzugen Sie derzeit an den Aktienmärkten?

Wir sind momentan eher defensiv positioniert, mit einem sich abschwächenden Konjunkturzyklus. Innerhalb der defensiven Sektoren haben wir eine gewisse Präferenz für Unternehmen, die ein höheres Schuldenniveau aufweisen und damit ein höheres Leverage. Wir denken da an Bereiche wie Versorger und erneuerbare Energien. Diese Unternehmen verfügen über langfristige Verträge, was die Einnahmen betrifft. Sie leiden daher stark unter steigenden Zinsen und der Inflation, da sich die Einnahmen nicht im gleichen Maße anpassen. Zudem gibt es auf der Finanzierungsseite häufig hohe Verschuldungsgrade, was in Zeiten steigender Zinsen Probleme bei der Rentabilität der Projekte macht. Durch die sinkenden Zinsen wird dieser Sektor wieder sehr viel attraktiver.

Gibt es weitere interessante Sektoren?

Kurzfristig sehen wir zudem mit fallenden Zinsen Erholungen in Bereichen wie zum Beispiel Small Caps in den USA. Allerdings muss man bei diesen Aktien bei der erwarteten Konjunkturabschwächung im zweiten und dritten Quartal dann wieder sehr vorsichtig sein, weil die Small Caps deutlich zyklisch sind.

Wie beurteilen Sie denn die Anlageperspektiven bei Anleihen insbesondere im Vergleich zu Aktien?

Bonds sehen relativ attraktiv aus im Vergleich zu Aktien, was die Bewertungen angeht und mit Blick auf die nach unten weisenden Zinsen vor dem Hintergrund einer schwachen Konjunktur. Anleihen sind die sicherere Anlage im Vergleich zu Aktien und man erhält als Investor inzwischen ja auch wieder deutlich bessere Renditen, als das in der Vergangenheit der Fall war. Das gilt für praktisch alle Klassen von Anleihen wie Staatsanleihen und Unternehmensbonds. Innerhalb der Zinsstruktur bevorzugen wir die mittleren Restlaufzeiten, bei den US-Treasuries also die fünf- bis zehnjährigen Laufzeiten.

Bevorzugen Sie bei Unternehmensanleihen Investment Grade oder High Yield?

Vor dem Hintergrund, dass wir eine zyklische Abschwächung erwarten, würden wir Investment Grade bevorzugen. Wir erwarten aber auch keine massive Ausweitung der Spreads im High-Yield-Bereich, da der Abschwung relativ moderat bleiben sollte.

Zur Person: Wolf von Rotberg ist seit 2020 als Equity Strategist bei der schweizerischen Bank J. Safra Sarasin tätig, wo er die Aktienmärkte von einer Top-Down-Perspektive analysiert und taktische und strategische Empfehlungen für die globalen Aktienmärkte, Regionen und Sektoren abgibt. Vor seinem Wechsel zu J. Safra Sarasin war er ab 2018 als Aktienstratege bei UBS Wealth Management in Zürich tätig und ab 2009 als Aktienstratege bei der Deutschen Bank in London. Studiert hat er Finance und Economics in Barcelona und Freiburg.

Das Interview führte Dieter Kuckelkorn. Eine längere Fassung des Interviews finden Sie online unter www.boersen-zeitung.de.