GELD ODER BRIEF

Fusionsgerüchte treiben die Nexi-Aktie an

Von Gerhard Bläske, Mailand Börsen-Zeitung, 11.9.2020 Der Aktienkurs des italienischen Zahlungsdienstleisters Nexi ist seit Mitte März um mehr als 70 % gestiegen. Getrieben wird er von anhaltenden Gerüchten um eine mögliche Fusion mit dem ebenfalls...

Fusionsgerüchte treiben die Nexi-Aktie an

Von Gerhard Bläske, MailandDer Aktienkurs des italienischen Zahlungsdienstleisters Nexi ist seit Mitte März um mehr als 70 % gestiegen. Getrieben wird er von anhaltenden Gerüchten um eine mögliche Fusion mit dem ebenfalls italienischen Spezialisten für elektronische Zahlungssysteme Sia. Angeblich gibt es Gespräche zwischen dem Sia-Großaktionär, der mehrheitlich staatlichen Förderbank Cassa Depositi e Prestiti (CDP), die 49,5 % hält, mit den Nexi-Aktionären Advent, Bain und Clessidra, die ihre Interessen in der Holding Mercury UK Holdco gebündelt haben. Mercury kontrolliert 33,5 % des Nexi-Kapitals.Politisch würde ein solcher Zusammenschluss innerhalb der italienischen Regierung große Unterstützung erfahren. Denn Rom verstärkt sein Gewicht in der Wirtschaft, ob bei der Schaffung eines monopolistischen Glasfasernetzes, der Verstaatlichung von Autobahnen, des Stahlwerks von Taranto und der Fluglinie Alitalia oder bei der Mailänder Börse. Durch einen Zusammenschluss von Nexi und Sia entstünde ein großer nationaler Champion. Sollten die derzeitigen Gespräche scheitern, könnte Sia nach dem für Frühjahr geplanten Börsengang immer noch ein Übernahmeangebot vorlegen. Sia-CEO Nicola Cordone hat mehrmals offen erklärt, für eine Großfusion zu sein. Erhebliche DifferenzenSia ist mit einem Umsatz von 733 Mill. Euro und einem bereinigten Bruttobetriebsergebnis (Ebitda) von 258 Mill. Euro (jeweils 2019) deutlich kleiner als Nexi, das 2019 auf Erlöse von 984 Mill. Euro und ein bereinigtes Ebitda von 503 Mill. Euro kam. Und mit einer Börsenbewertung von rund 9,5 Mrd. Euro ist Nexi auch in dieser Hinsicht viel größer als Sia, deren Wert auf 3,2 Mrd. Euro geschätzt wird. Es gibt jedoch erhebliche Differenzen bei der Bewertung des (noch) nicht börsennotierten Unternehmens.Es ist viel Bewegung in der Branche – und das nicht nur wegen des Skandals um Wirecard und dessen Folgen. In dem Markt, der in den USA von Worldpay, Global Payment und Total System Services beherrscht wird, hat es zuletzt etliche Veränderungen gegeben. Die französische Worldline steigt durch die Übernahme des ebenfalls französischen Payment-Spezialisten Ingenico zur globalen Nummer vier auf. Der Aktienkurs der niederländischen Adyen ist regelrecht explodiert und hat das Unternehmen zu einer gewaltigen Börsenkapitalisierung katapultiert. Auch die dänische Nets und die von den Sparkassen und Worldline kontrollierte Payone sowie Heidelpay und Computop mischen mit.Doch die Coronakrise hat auch die Zahlungsdienstleister getroffen. Nexi verzeichnete im März und April eine kräftige Umsatzdelle. Der Umsatz ging im zweiten Quartal um 16 % zurück. Im ersten Halbjahr insgesamt reduzierte er sich um 6,3 % auf 478,7 Mill. Euro, das bereinigte Ebitda lag mit 261,8 Mill. Euro um 3,9 % unter Vorjahr und der Nettogewinn sank um 14 % auf 101,2 Mill. Euro. Inzwischen erholen sich die Umsätze des mit 2,3 Mrd. Euro verschuldeten Unternehmens. Analysten von Mediobanca Securities sehen die Rückgänge im Rahmen der Erwartungen und beurteilen die jüngste Entwicklung positiv, vor allem weil die Kartenumsätze mit italienischen Kunden wieder deutlich ansteigen und Nexi die Kosten massiv gesenkt hat. Bis dato seien 27 % der geplanten Einsparungen in Höhe von 100 Mill. Euro realisiert worden. Positive Impulse kämen auch von den von Rom geplanten Steuersenkungen bei digitalen Zahlungen. Dennoch hat das Unternehmen die Guidance ausgesetzt. Bisher war Nexi mittelfristig von einem jährlichen Umsatzanstieg um 5 bis 7 % und einem Ebitda-Zuwachs um 13 bis 16 % ausgegangen.Die Analysten von Mediobanca Securities sehen in einer Fusion eine starke industrielle Logik. Sie sei der beste Weg, um im dynamischen internationalen Wettbewerb bestehen zu können und einen starken nationalen Champion zu schaffen, der über eine stabile finanzielle Infrastruktur verfügen würde. Das Kursziel für Nexi wird auf 17 (derzeit: 15) Euro gesetzt bei einer “Outperform”-Einschätzung. Auch bei Barclays ist Nexi auf “Übergewichten” mit einem Kursziel von 17 Euro. Die Deutsche Bank ist sogar noch optimistischer und glaubt an gute Wachstumsperspektiven. Das Kursziel wurde auf 18 Euro festgelegt. Die Analysten von Equity sehen das Nexi-Potenzial ebenfalls als vielversprechend an. Ein Zusammenschluss würde nach ihrer Ansicht die Position Nexis in der Wertschöpfungskette stärken, Synergien von 100 Mill. Euro schaffen und die Kundenstruktur diversifizieren. Von den 21 Analysten, die Nexi regelmäßig im Auge haben, geben elf eine Kaufempfehlung ab und zehn raten zum Halten. Das durchschnittliche Kursziel für die nächsten zwölf Monate liegt bei 16,36 Euro.Nexi, die im April 2019 mit einem Kurs von 9 Euro an den Aktienmarkt gingen, mit einem Emissionserlös von 2 Mrd. Euro das größte europäische IPO im vergangenen Jahr war und zum Börsengang mit 5,7 Mrd. Euro bewertet wurde, ist vor allem im Einzelhandelsgeschäft stark, bietet aber nach Einschätzung von Experten technisch eher veraltete Plattformen an. Grundsätzlich besteht das Geschäftsmodell der Zahlungsdienstleister darin, als Mittler zwischen Händler und Kunden zu garantieren, dass bei elektronischen Zahlungen das Geld auch fließt. Für die Übernahme des Ausfallrisikos erhält der Zahlungsdienstleister entweder Gebühren je Transaktion oder eine Miete für das sogenannte POS-Gerät. Offene FragenSollte tatsächlich ernsthaft über eine Fusion Nexis mit Sia verhandelt werden, ist vorher noch eine Reihe von offenen Fragen zu klären. Es geht etwa um die künftige Governance, die Nutzung technologischer Plattformen und vor allem um Bewertungsfragen. Offen ist auch, wie sich Sia-Hauptkunde Unicredit zu einem solchen Vorhaben stellen würde. Denn Konkurrent Intesa Sanpaolo ist im Dezember 2019 bei Nexi eingestiegen und kontrolliert etwa 10,5 % des Kapitals, mit dem man eine enge strategische Partnerschaft eingegangen ist.