GELD ODER BRIEF

Gazprom hat noch viele Baustellen

Von Eduard Steiner, Moskau Börsen-Zeitung, 27.1.2017 462 Meter soll der Lachta-Turm in die Höhe ragen - so hoch wie kein zweites Gebäude in Europa - und nach der Vorgabe des Kremls das Headquarter des Gazprom-Konzerns beherbergen, das daher im...

Gazprom hat noch viele Baustellen

Von Eduard Steiner, Moskau462 Meter soll der Lachta-Turm in die Höhe ragen – so hoch wie kein zweites Gebäude in Europa – und nach der Vorgabe des Kremls das Headquarter des Gazprom-Konzerns beherbergen, das daher im kommenden Jahr aus Moskau nach St. Petersburg übersiedelt. Dem Turm nach zu urteilen, will Gazprom nach wie vor hoch hinaus. Dabei sind die Zeiten, in denen der weltweit größte Gaskonzern vor Kraft kaum gehen konnte, längst vorbei. Der Verfall des Ölpreises, den der russische Gaspreis mit einer Verzögerung von sechs bis neun Monaten abbildet, macht – vor allem seit dem Vorjahr – zu schaffen. Gazprom plane, die Dividenden bis 2019 einzufrieren und das Volumen der Anleihen von den diesjährigen 288 Mrd. Rubel (4,5 Mrd. Euro) im kommenden Jahr auf 705 Mrd. Rubel zu erhöhen, schrieb dieser Tage die Agentur Bloomberg unter Verweis auf das Dreijahresbudget, das vom Aufsichtsrat im Dezember abgesegnet worden ist. Außerdem wolle Gazprom dieses Jahr Aktiva für 350 Mrd. Rubel abstoßen. Gazprom kommentierte die Information nicht. Geld benötigtGazprom braucht Geld, schließlich gilt es, milliardenschwere Infrastrukturprojekte wie die Pipeline nach China und in die Türkei sowie den Ausbau der Ostseepipeline Nord Stream zu stemmen. Was die Dividende betrifft, so hat Gazprom schon im Vorjahr eine Ausnahme von der staatlichen Regelung erhalten, 50 % des Gewinns an die Aktionäre auszuschütten. Gazprom zahlte nur ein Viertel aus.Blickt man auf das Volumen des Exports, von dem Gazprom de facto lebt, weil die Preise im Inland, wo ganze drei Fünftel des produzierten Gases realisiert werden, keinen nennenswerten Profit zulassen, so zeigt sich ein paradoxes Bild: Noch nie hat das Unternehmen so viel in seinen Hauptmarkt Europa verkauft wie 2016. Unterm Strich waren es 179,3 Mrd. Kubikmeter. Das lag freilich nicht nur an den kalten Temperaturen. Es lag vor allem daran, dass russisches Gas aufgrund der erwähnten Preisdynamik zuletzt spottbillig war.Die Steigerung des Exportvolumens im ganzen Jahr um 12,5 % und in den ersten drei Quartalen um satte 28 % (auf 161 Mrd. Kubikmeter) schlägt sich daher nur eingeschränkt im Finanzergebnis nieder. So stieg der Umsatz im Europageschäft zwischen Januar und September lediglich um 8 % und im gesamten Konzerngeschäft nur um 3 % auf 4,3 Bill. Rubel, wie das Unternehmen kürzlich bekannt gab. Der Gewinn kletterte in den ersten drei Quartalen 2016 um 5 % auf 709,3 Mrd. Rubel. Immerhin wurde auch im dritten Quartal, in dem der Preis am niedrigsten war, ein Gewinn erzielt, nachdem im Vergleichszeitraum 2015 noch ein Verlust erlitten worden war. Der Währungseffekt infolge des im Vorjahr gestiegenen Ölpreises und der gesunkenen Kapitalflucht war dafür mitverantwortlich. Demgegenüber blieb der freie Cash-flow auch im dritten Quartal negativ, in den ersten neun Monaten aber dank dem ersten Quartal positiv. Möglich wurde das, indem der Konzern seine Investitionen in den ersten neun Monaten um 8 % in Rubel bzw. um 21 % in Dollar gekürzt hat.Durch die vorjährige Dynamik hat Gazprom ihren Marktanteil in Europa wieder gesteigert und deckt ein Drittel des europäischen Bedarfs. Weil die Preise etwas anziehen, werden die Verkaufsvolumina 2017 etwas zurückgehen.Ohnehin darf der Verkaufserfolg in Europa nicht darüber hinwegtäuschen, dass Gazprom viele Baustellen hat. Da ist zum einen die Tatsache, dass der Absatz in den Sowjet-Nachfolgestaaten aus diversen Gründen – darunter im Fall der Ukraine auch eindeutig politischen – sinkt. Auch im Inland sieht Gazprom sich einer geringeren Nachfrage gegenüber. Das lag zuletzt einerseits an der schweren Rezession, andererseits aber auch am Faktum, dass die wenigen Konkurrenten expandieren und – weil Gazprom auf dem Exportmonopol sitzt – immer lauter nach Gleichberechtigung rufen.Zuletzt tat das abermals Igor Setschin, Chef des landesweit größten Ölkonzerns Rosneft, Mitte dieser Woche. Rosneft will mit ihrem Großaktionär BP Gas nach Europa liefern und hat dafür bereits eine Absichtserklärung für ein Jahresvolumen von 7 bis 20 Mrd. Kubikmeter unterzeichnet, sagte ein Verantwortlicher des britischen Konzerns am Mittwoch. Die bisherigen Lockerungen des Exportmonopols taten Gazprom nicht weh, weil sie sich nur auf den Export von Flüssiggas (LNG) beziehen, wo Gazprom schwach aufgestellt ist. Bei allen anderen Exporten ist Gazprom die Rolle des Zwischenhändlers gesichert. Aber Setschin ist einer der mächtigsten Männer in Russland und wird – gemeinsam mit dem privaten Gaskonzern Novatek – Gazproms Vorrechte maximal verringern wollen.Im Übrigen hat Gazprom ihre diversen Konflikte mit Westeuropa noch nicht beilegen können. Zwar sind Annäherungen nicht unmöglich, wie die Entwicklung beim Kartellstreit und die Entscheidung der EU vom Herbst zeigt, Gazprom einen stärken Zugriff auf die Pipeline Opal in Deutschland zu genehmigen. Später freilich stellte sich der Europäische Gerichtshof auf Antrag Polens gegen die Opal-Entscheidung. Ausbau in der SchwebeAuch der Ausbau, sprich die Verdoppelung der Kapazität von Nord Stream bleibt in der Schwebe. Gazprom und die europäische Gasbranche machen Druck, um den Widerstand in der EU gegen mehr russisches Gas zu überwinden. Die steigende Nachfrage in Europa erfordere jetzt Investitionsentscheidungen, mahnte Gazprom-Vizechef Alexandr Medwedjew.Die Aktie stieg im Vorjahr im Einklang mit dem russischen Leitindex um mehr als 50 %. Seit Jahresbeginn stockt sie. Im Vergleich zu den Höchstständen aus der Zeit vor der Finanzkrise ist sie heute in etwa ein Viertel wert. Laut Bloomberg-Daten empfehlen 3 von 14 Analysten die Aktie zum Kauf. Acht sagen “Halten”, drei “Verkaufen”. Das Konsens-Kursziel liegt bei 5,03 Dollar. Die Aktie wurde gestern bei 4,96 Dollar gehandelt.