TECHNISCHE ANALYSE

Gesundes Kräftesammeln bei Gold

Von Jörg Scherer *) Börsen-Zeitung, 11.9.2019 "Nach Golde drängt, am Golde hängt doch alles", lässt Goethe Margarethe in Faust I feststellen. An den Finanzmärkten schlägt sich diese Erkenntnis in dem ordentlichen Anstieg des Edelmetalls der letzten...

Gesundes Kräftesammeln bei Gold

Von Jörg Scherer *)”Nach Golde drängt, am Golde hängt doch alles”, lässt Goethe Margarethe in Faust I feststellen. An den Finanzmärkten schlägt sich diese Erkenntnis in dem ordentlichen Anstieg des Edelmetalls der letzten Monate nieder. Erst in den vergangenen Handelstagen ist dem Goldpreis ein wenig die Puste ausgegangen. “Gesunde Verschnaufpause” oder “Trendwende”? Für Edelmetallinvestoren ist das – um bei Faust zu bleiben – derzeit die Gretchenfrage.Beginnen möchten wir unsere charttechnische Bestandsaufnahme mit den langfristigen Goldcharts. Während der letzten fünf Jahre hat das Edelmetall in schöner Regelmäßigkeit wichtige Hochs bei rund 1 370 Dollar ausgebildet. Mit dem Spurt über diese nahezu deckungsgleichen Jahreshochs, gelang eine ganz wichtige Weichenstellung. Schließlich liegt damit auf Monatsbasis eine abgeschlossene Schulter-Kopf-Schulter-Umkehr vor (siehe Chart). Aus der Höhe des beschriebenen Trendwendemusters ergibt sich ein kalkulatorisches Anschlusspotenzial von rund 300 Dollar. Auf dem Weg zum Ausschöpfen des diskutierten Kurspotenzials definiert der Kreuzwiderstand aus den verschiedenen Tiefs bei rund 1 520 Dollar bzw. der Parallelen zum Aufwärtstrend seit Ende 2015 (aktuell bei 1 566 Dollar) ein wichtiges Etappenziel. Vor diesem Hintergrund liefert die aktuelle Chartkonstellation Anlegern durchaus Argumente für das jüngste Durchatmen. Kurzfristiger HemmschuhKurzfristig dürfte diese sogar anhalten, denn das Ausmaß an spekulativen Longpositionen befindet sich aktuell – gemessen an den jüngsten CFTC-Daten – nahezu auf Rekordhoch. Gleichzeitig ist das Gold-Sentiment derzeit bereits rückläufig. Mit anderen Worten: Das jüngste Verlaufshoch bei 1 557 Dollar wurde nicht mehr seitens einer verbesserten Stimmungslage bestätigt.Darüber hinaus trägt der RSI dem Goldpreisanstieg der letzten Monate mit einem Vorstoß in überkauftes Terrain Rechnung. Um die Gefahr eines strategischen Fehlausbruchs gar nicht erst aufkommen zu lassen, sollte der Goldpreis in Zukunft nicht mehr unter das Hoch von September 2017 bei 1 358 Dollar zurückfallen. Dieses Level markiert die Schwelle zwischen einem “gesunden Kräftesammeln” und einer “ungesunden Trendwende” nach Süden. Der langfristige Chartverlauf des Edelmetalls besitzt allerdings noch eine weitere Dimension: So trägt die gesamte Verschnaufpause seit dem Rekordhoch von 2011 bei 1 920 Dollar im langfristigen Kontext letztlich die Züge einer trendbestätigenden Korrekturflagge. Im Verlauf des Jahres 2018 wurde dieses Konsolidierungsmuster sogar lehrbuchmäßig zurückgetestet. Auf Sicht der nächsten zwei bis drei Jahre lässt die beschriebene Flagge sogar auf “mehr” als das diskutierte Anschlusspotenzial von 300 Dollar hoffen. Selbst ein Anlauf auf das zuvor angeführte Allzeithoch erscheint perspektivisch möglich.Unabhängig von diesem strategischen Blickwinkel verleihen dem Edelmetall in Anschluss an ein Luftholen auch zyklische bzw. saisonale Argumente Rückenwind. Auf Basis der Daten seit 1971 haben wir untersucht, wie sich der Goldpreis typischerweise in Vorwahljahren der USA entwickelt. Im Durchschnitt beschert das Vorwahljahr Goldinvestoren ein zweistelliges Kursplus bei einer Trefferquote von 67 %. Das heißt, acht der zwölf Vorwahljahre seit 1971 konnte der Goldpreis mit Kursgewinnen beenden. Im Ergebnis stellt das Vorwahljahr unter saisonalen Gesichtspunkten den zweitbesten Teilabschnitt im vier Jahre umspannenden US-Wahlzyklus dar. Innerhalb dieses guten Zeitraumes sticht die zweite Jahreshälfte sogar nochmals positiv hervor, die lediglich im September/Oktober durch eine seitliche Schiebezone unterbrochen wird. Auch der Auftakt ins kommende US-Wahljahr fällt traditionell positiv aus. Steilvorlage für GoldminenAlles in allem befindet sich der Goldpreis unseres Erachtens in der Phase eines gesunden Kräftesammelns. Solange eine wirkliche Trendwende ausbleibt, stellt die beschriebene Ausgangslage eine Steilvorlage für den Nyse Arca Gold Bugs dar. Rein charttechnisch betrachtet haben die Goldminentitel den doppelten Pullback – einmal an die Kernunterstützung bei 150 Punkten und einmal an den Abwärtstrend seit Sommer 2016 – als Sprungbrett genutzt. Aus charttechnischer Sicht liegt zudem ein nach oben aufgelöster “bullisher Keil” vor. Diesem Kursmuster folgte mit dem Sprung über die Kumulationszone aus dem langfristigen Abwärtstrend seit dem Jahr 2011 sowie dem gleitenden Durchschnitt der letzten 38 Monate bei 173/184 Punkten das nächste charttechnische Ausrufezeichen.Per Saldo gewinnt eine langfristige Bodenbildung mehr und mehr an Konturen, zumal die beschriebenen Ausbrüche durch ein neues MACD-Kaufsignal bestätigt werden. Der Nyse Arca Gold Bugs macht aktuell aber auch unter relativen Gesichtspunkten eine gute Figur. Schließlich liegt im Ratio-Chart zwischen den Goldminen und dem breiten US-Markt – gemessen an der Kursentwicklung des S&P 500 – der Bruch des Abwärtstrends seit 2011 sowie ein abgeschlossener Doppelboden vor. Die Phase der Underperformance zum S&P 500 dürfte deshalb endgültig beendet sein. Vielmehr sollten sich die Goldminen in Zukunft besser als der Gesamtmarkt entwickeln. *) Jörg Scherer ist Leiter Technische Analyse bei HSBC Deutschland.