GELD ODER BRIEF

IAG wird die Krise überleben

Von Andreas Hippin, London Börsen-Zeitung, 20.3.2020 Glücklicherweise ist niemand gezwungen, unter den derzeitigen Marktbedingungen Aktien von Fluggesellschaften zu kaufen. Es lohnt sich allerdings, einmal darüber nachzudenken, welche Airlines am...

IAG wird die Krise überleben

Von Andreas Hippin, LondonGlücklicherweise ist niemand gezwungen, unter den derzeitigen Marktbedingungen Aktien von Fluggesellschaften zu kaufen. Es lohnt sich allerdings, einmal darüber nachzudenken, welche Airlines am besten aufgestellt sind, um die Covid-19-Epidemie zu überleben. Die International Consolidated Airlines Group, kurz IAG, gehört dazu. Die Muttergesellschaft von British Airways und Iberia verfügt über ein erfahrenes Managementteam, das die Lektionen von 2001 und 2008 gelernt hat. Die Gruppe dürfte in der Lage sein, von der zu erwartenden Fortsetzung der Branchenkonsolidierung und dem Scheitern schwächerer Wettbewerber zu profitieren.Zuletzt wurde Flybe zahlungsunfähig. Europas größte Regionalfluggesellschaft, die unter anderem die Shetland-Inseln anflog, machte zwar den Virus für ihr Scheitern verantwortlich, allerdings hatte sie schon lange mit Liquiditätsproblemen zu kämpfen.Eine Reihe britischer Fluggesellschaften kündigte an, dass große Teile ihrer Flotte am Boden bleiben werden. IAG-Chef Willie Walsh beschloss, “angesichts der außerordentlichen Umstände” doch noch nicht so schnell in den Ruhestand zu gehen. Sein Nachfolger Luis Gallego wird sich weiterhin um Iberia kümmern. Der von den USA verhängte Einreisestopp für Europäer wirkt sich drastisch auf das Transatlantikgeschäft der Gruppe aus, in dem deutlich höhere Margen zu verdienen waren als auf dem heiß umkämpften Markt für Kurzstreckenflüge in Europa. Cash is KingJetzt geht es um Liquidität und Flexibilität bei den Kosten, um die Barreserven zu schützen. Treibstoffkosten lassen sich vergleichsweise einfach reduzieren, die Belegschaft dagegen nicht so schnell. IAG bezifferte ihre Liquidität per 12. März inklusive nicht in Anspruch genommener Finanzierungszusagen auf 9,3 Mrd. Euro. Das Management will die Kapazitäten im ersten Quartal – gemessen in verfügbaren Sitzkilometern – im Vorjahresvergleich um 7,5 % reduzieren. Im April und Mai sollen sie dann um mehr als 75 % zurückgefahren werden. “Wir haben in den vergangenen Wochen über unsere Airlines hinweg einen wesentlichen Rückgang der Buchungen verzeichnet und gehen davon aus, dass die Nachfrage bis weit in den Sommer hinein schwach bleiben wird”, sagte Walsh. Wenn nötig, werde man weitere Einschnitte vornehmen.Viele Sell-Side-Analysten haben noch nicht auf die jüngsten Entwicklungen reagiert. Bloomberg zufolge bewerten 27 die Aktie mit “Kaufen”, zwei mit “Halten” und einer mit “Verkaufen”. Gerald Khoo, der Luftfahrtexperte von Liberum Capital, hat seine Kaufempfehlung mit Blick auf die “extreme kurzfristige Ungewissheit” und “die wesentlichen Veränderungen des Ausblicks auf täglicher Basis” vorerst ausgesetzt. “Wir halten immer noch die Airlines mit den stärksten Bilanzen und attraktivsten Positionen für die langfristigen Überlebenden und Gewinner der Coronavirus-Krise”, schrieb er den Kunden des Brokers. Dazu rechnet er neben Ryanair auch IAG.Andere machten sich gar nicht erst die Mühe, ihre Empfehlungen zu ändern. Alex Paterson vom Broker Peel Hunt nannte IAG “einen wahrscheinlichen Nutznießer der unvermeidlichen Fortsetzung der Rationalisierung der Branche”. Möglicherweise könne Walsh den Preis für die im November eingeleitete Übernahme von Air Europa nachverhandeln. Sollte die dritte Start- und Landebahn des Londoner Flughafens Heathrow nicht gebaut werden, käme auch dies IAG zugute. Das Projekt war zuletzt vom Court of Appeal, einem Berufungsgericht, verboten worden, weil die Regierung von Theresa May bei der Genehmigung ihre Verpflichtungen im Rahmen des Pariser Klimaschutzabkommens nicht ausreichend berücksichtigt habe. Mays Nachfolger Boris Johnson ist ein bekannter Startbahngegner.IAG verfügt mit Qatar Airways über einen starken Ankeraktionär. Die Fluggesellschaft aus dem Emirat am Persischen Golf stockte ihre Beteiligung im vergangenen Monat von 21,4 auf 25,1 % auf. Seit ihrem Einstieg vor fünf Jahren hat sie Schritt für Schritt ihren Anteil an dem Konzern erhöht, der von Willie Walsh überhaupt erst zusammengezimmert wurde. Praktisch seit der Gründung 2011 ist er Chief Executive von IAG.Nachdem es British Airways nicht geschafft hatte, einen Deal mit Air France, KLM oder einem anderen Partner einzutüten, fädelte der ehemalige Pilot damals den Zusammenschluss mit der spanischen Iberia ein. Wenig später folgte die Übernahme seines früheren Arbeitgebers Aer Lingus. British Airways war damit die größte Fluggesellschaft in einer paneuropäischen Gruppe, die sich auch den Billigflieger Vueling schnappte. Dank Walsh war IAG schneller in diesem Segment präsent als die Rivalen Air France-KLM und Lufthansa. Allerdings belasteten die schwächere Entwicklung bei den Billigfliegern der Gruppe und ein Pilotenstreik bei British Airways die Geschäfte. Auch die sozialen Unruhen in Chile wirkten sich auf die Nachfrage aus. Im abgelaufenen Jahr ging das operative Ergebnis um 5,7 % auf 3,29 Mrd. Euro zurück. Das Unternehmen hatte bereits im September 2019 mitgeteilt, dass der bereinigte Gewinn um 215 Mill. Euro niedriger ausfallen würde als im Vorjahr (3,49 Mrd. Euro). Am Ende schlug sich IAG etwas besser. Es war eine andere Zeit.Mitte Februar stabilisierte sich die Asien-Pazifik-Nachfrage, die nach dem Ausbruch des Coronavirus in China eingebrochen war, einigermaßen. Dafür waren Flüge nach Mailand plötzlich nicht mehr gefragt. Die Ausbreitung der Seuche in Italien sorgte für einen Dämpfer im Europageschäft. Viele Passagiere traten ihre Flüge gar nicht erst an. Interessanterweise blieb die Nachfrage für Flüge nach Teneriffa stabil, obwohl von dort Covid-19-Fälle gemeldet wurden. Miami wurde stark nachgefragt, also leitete das Management einen Teil der Kapazitäten, die sonst ins Reich der Mitte geflogen wären, nach Florida um. Nachdem viele Länder ihre Grenzen geschlossen haben, um eine weitere Ausbreitung des Virus zu stoppen, kommt der Flugbetrieb weitgehend zum Erliegen. Die Gruppe könnte in mehreren Ländern Staatshilfen beantragen, die sicher auch bewilligt würden. IAG wird überleben. Und wer weiß: Vielleicht wird nach der Krise das Thema Flugscham viel weniger wichtig genommen als das Bedürfnis nach einem gepflegten Strandurlaub.